BUCH
Judith Vogt, 04.08.2017
Am Ende des letzten Artikels zum Thema legendäre Science-Fiction habe ich darüber nachgedacht, dass es gefühlt wenig Science-Fiction Autorinnen gibt. Ja, gefühlt – denn es gibt sie durchaus, aber wenn man über ältere Science-Fiction nachdenkt, fallen einem vornehmlich Männernamen ein – und das trotz Mary Shelley und ihrem Frankenstein und der moderne Prometheus. Mit diesem Briefroman schuf Shelley den Archetypen des künstlichen Menschen. Und der ist niemals out, wenn man einen Blick Richtung Westworld oder die Fortführung von Blade Runner wirft (als Hommage heißen übrigens auch die Automatenmenschen in meinen beiden Steampunkromane „Shellys“).
Science-Fiction gilt trotz der Urahnin Shelley als Männerdomäne, nach wie vor darf man sich anhören, dass Frauen nicht gern „Technisches“ lesen, dass die Science vor der Fiction weibliche Leser abschreckt. Da kann man nun natürlich die Gegenfrage stellen: Ist Science-Fiction tatsächlich immer techniklastig in einem Maße, dass es auf alle ohne Maschinenbaudiplom abschreckend wirkt?
Wieviel Science-Fiction ist denn überhaupt technische Spekulation, und wieviel ist in die Zukunft gerichtetes Gedankenspiel?
Visionen der Zukunft
Wegweisende Science-Fiction aus weiblicher Feder beschäftigt sich häufig mit der Frage, ob wir jemals in einer wahrhaft gleichberechtigten Gesellschaft leben werden. Von da aus zweigen viele Fragen ab: Wie wird eine zukünftige Gesellschaft mit Kindern umgehen? Ist eine Zivilisation ohne Männer denkbar oder erstrebenswert?
Frauen zeichnen dabei die Zukunft nicht zimperlicher als ihre männlichen Kollegen. Durch die weibliche Perspektive birgt die Dystopie Der Report der Magd (The Handmaid’s Tale) von Margaret Atwood Abgründe, die auf sehr unbehagliche Weise an die Wunschträume so mancher republikanischer Politiker erinnern, wie dieses Video beweist.
Auch P.D. James ist Im Land der leeren Häuser (The Children of Men) von Gedanken um Fremdbestimmung, Überwachung und Fortpflanzung umgetrieben. Was wäre, wenn wir nicht mehr in der Lage wären, uns fortzupflanzen? Wie schnell würde die Gesellschaft niedergehen, wenn ihr jede Perspektive fehlt?
Das bereits in einem Vorgänger-Artikel erwähnte Lagune von Nnedi Okorafor beleuchtet unsere westlich geprägten Science-Fiction-Narrative aus einer anderen Perspektive und fügen einer nahen Zukunft faszinierende Elemente anderer Kulturen hinzu. Auch die anderen Romane von Okorafor sind empfehlenswert, jedoch zurzeit nur auf Englisch erhältlich.
Weit entfernte Planeten aus Frauenfeder
Doch auch Autorinnen verlassen die Erde und machen sich auf den Weg in andere Galaxien: Becky Chambers Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten habe ich bereits in meinem ersten Science-Fiction-Artikel erwähnt – eine leichte, optimistische und gut durchdachte Space Opera, die dank Crowdfunding zum verdienten Erfolg und auch zur Verlagsveröffentlichung gelangt ist. Im Herbst erscheint mit Zwischen zwei Sternen der zweite Roman im gleichen Universum bei Fischer TOR.
Fantasy-Altmeisterin Ursula K. LeGuin hat mit Die linke Hand der Dunkelheit eine Welt erschaffen, die nur ein Geschlecht kennt, und denkt sich demzufolge all die Konflikte, Vorurteile und Machtkämpfe, die mehrere Geschlechter mit sich bringen, weg. Doch auch diese Gesellschaft ist nicht eitel Sonnenschein, denn es gibt andere Formen von Macht. LeGuin setzt sich gekonnt mit der „Was wäre wenn“-Frage auseinander.
Alice Sheldon, die unter dem Pseudonym James Tiptree, Jr. schrieb, erschuf gleich mehrere hochphilosophische Werke um Existenz und Bewusstsein, beispielsweise Die Mauern der Welt hoch. Der James-Tiptree-Jr.-Award wird alljährlich für Werke der Science-Fiction und Fantasy verliehen, die Geschlechterrollen aufbrechen, untersuchen und erweitern.