Fantasy

„A Conspiracy of Ravens“ – Über Krähen und Raben in der Fantasy

„A Conspiracy of Ravens“ – Über Krähen und Raben in der Fantasy

Nicola Alter, 21.08.2017

Raben und Krähen sind ganz besondere Tiere, zumindest in der Fantasyliteratur: Als Spione, Unglücksbringer, schlechte Omen oder kluge Begleiter spielen sie seit Jahrhunderten eine herausragende Rolle in unserer Geschichtenwelt. Woran liegt das nur? 

Natürlich, auch Drachen spielen eine große Rolle in der Fantasy, so sehr so gar, dass sie zum Symbol für das Genre geworden sind. Da diese imaginären Kreaturen ausschließlich im Reich der Fantasie anzutreffen sind, ist das auch verständlich. Dennoch fällt auf, dass die deutlich bescheideneren Krähen oder Raben fast genauso häufig in Büchern und Filmen auftauchen – wenn auch manchmal in einer eher symbolischen Kapazität oder im Hintergrund. Grund genug, sich diese viel zu wenig gewürdigten Vögel in der spekulativen Literatur näher anzuschauen.

Krähen, Raben, Amseln ... wo liegt da der Unterschied?

Zuerst sollten wir vielleicht ein paar Dinge klären. Krähen und Raben gehören beide zur Gattung Corvus, zu der etwa auch die Dohle gehört. Alle diese Vögel werden gemeinsam als Rabenvögel (Corvidae) bezeichnet. Es ist nicht immer ganz einfach, sie auseinander zu halten, vor allem da sehr viele verschiedene Unterarten weltweit den Namen ‚Krähe’ oder ‚Rabe’ erhalten haben. Allgemein sind Raben aber größer und zeigen Unterschiede bei der Schnabelform, den Halsfedern, im Ruf und auch im Verhalten.

In der Fantasy gibt es nur wenig Unterschiede zwischen den beiden Unterarten, und ich vermute am Ende geht es dabei einzig darum, was im jeweiligen Fall in den Ohren des Autors besser klingt. Die „dreiäugige Krähe“ im Lied von Eis und Feuer etwa wurde in der Fernsehvariante Game of Thrones zum „dreiäugigen Raben“.

Auch die Amsel ist im Übrigen auch ein beliebter Vogel in der Fantasy. Eine Amsel stammt aus der Familie der Drosseln, ist viel kleiner als Rabenvögel und sieht ganz anders aus. Aber der englische Begriff „black bird“ (Amsel) wird wegen der Einfachheit der Zuschreibung, aufgrund des schwarzen Gefieders, gerne als Ausdruck genommen, um jegliche Vögel dieser Farbe zu beschreiben, eben auch Raben und Krähen.

Cover und Titel

Man braucht nicht lange im Fantasy-Regal zu suchen, um einen Rabenvogel zu entdecken, in Form oder Namen. Hier ist eine Reihe mit Abbildungen von Covern, auf denen es vor Raben und Krähen nur so wimmelt. Und hier ist eine Liste mit Büchern, die sie benennt:

 

  • Six of Crows – Leigh Bardugo (keine Übersetzung)
  • Wenn der Rabe ruft – Maggie Stiefvater
  • Master of Crows – Grace Draven (keine Übersetzung)
  • Krähenjagd – Anne Bishop
  • Die Krähe – Aliosn Croggon
  • Follow the Crow – B.B. Griffith (keine Übersetzung)
  • Das Lied von Eis und Feuer 7: Zeit der Krähen – George R. R. Martin
  • Crow Moon – Anne McKerrow (keine Übersetzung)
  • Die Wild Crow-Reihe – Jacob Grey
  • Blackbirds – Chuck Wendig
  • Black Bird of the Gallows – Meg Kassel (keine Übersetzung)
  • Der Turm der Raben – Kate Forsyth
  • Rabenzauber – Patricia Briggs
  • A Gathering of Ravens – Scott Oden (keine Übersetzung)

Warum sind Krähen und Raben so beliebt in der Fantasy?

Zum Teil liegt es sicher an ihren Eigenschaften. Als Aasfresser mit schwarzem Gefieder werden sie oft mit dem Tod, der Dunkelheit und schlechten Omen in Verbindung gebracht. Als intelligente Kreaturen haben sie oftmals eine Reputation für Weisheit, Trickserei und die Macht der Weissagung. Raben wurden dabei beobachtet, wie sie Probleme lösen und andere Tiere imitieren. Darüber hinaus sind sie gerade als Jungvögel unglaublich spielerisch und neugierig. Sie erinnern sich an die Vorräte anderer Vögel und plündern diese aus. Sie wurden sogar dabei beobachtet, wie sie so tun, als ob sie selber Vorräte anlegen, um andere Raben auszutricksen.

Ohne Zweifel hat auch ihre Angewohnheit sich auf Fenstersimsen und Gebäuden niederzulassen, sich in der Nähe von menschlichen Siedlungen und Kampfschauplätzen aufzuhalten, dazu geführt, dass sie einen bedeutenden Platz im menschlichen Geschichtenfundus erlangt haben.

Symbolik und Mythologie

Krähen zählen zu den wichtigsten symbolischen Tieren in den Mythologien, Religionen und Kulturen überall auf der Welt. Es überrascht also nicht, dass sie über die Jahrhunderte den Weg in die Literatur gefunden haben und somit auch ganz besonders in der Fantasy anzutreffen sind, die sich ja oftmals auf Legenden und Mythen bezieht. Hier sind ein paar dieser symbolischen Beziehungen von Krähen in unterschiedlichen Kulturen:

Norwegisch: Die zwei Raben Huginn und Muninn fliegen umher und sammeln für den Gott Odin Informationen. Sie agieren als seine Boten. Odin wird manchmal der Rabengott genannt und Raben sind häufig auf nordischen Bannern, Rüstungen und Schmuck zu finden.

Schwedisch: Raben wird nachgesagt, dass sie die Geister von ermordeten Personen seien.

Irisch: Morrigan, die zumeist mit dem Schicksal, Tod, Kampf, und der Prophezeiung des Untergangs in Verbindung gebracht wird, erscheint oftmals in der Form eines Raben.

Walisisch: Der König Brân der Gesegnete (in Übersetzung „die gesegnete Krähe“) wird mit Krähen assoziiert, mit Tod und Wiedergeburt. Sein Kopf soll unter dem Tower of London begraben liegen, als Abwehr gegen eine Invasion. Aus diesem Grund glauben die Engländer, dass das Land keiner fremdländischen Invasion zum Opfer fallen wird, solange es Raben im Tower of London gibt – was auch der Grund ist, warum bis heute dort Raben gehalten werden.

Hinduistisch: Krähen erscheinen in der hinduistischen Literatur und im Glauben sehr oft, meist als Überbringer von Informationen, als Omen oder als Hülle für die Seelen der kürzlich Verstorbenen oder der Ahnen.

Australisch Aboriginal: Die Krähe gilt als Trickster-Figur und Ahnenwesen.

Chinesisch, Japanisch und Koreanisch: Die dreibeinige Krähe ist eine Figur der ostasiatischen Mythologie, die mit der Sonne und göttlicher Intervention in Verbindung gebracht wird.

A Murder of Crows

Im deutschen Sprachgebrauch ist der „Schwarm“ Krähen oder Raben relativ unspektakulär.  Im englischen Sprachraum sind Krähen und Raben aber auch für ihre Gruppennamen berühmt-berüchtigt, die allesamt einige Jahrhunderte alt sind. Auf Englisch heißt es jedoch: a Murder of Crows, an Unkindness of Ravens, a Conspiracy of Ravens. 

Fabeln, Gedichte und Literatur

Raben und Krähen sind schon in diversen Geschichten, Kinderreimen und literarischen Werken in Erscheinung getreten.

Die wahrscheinliche berühmteste Erscheinung eines Rabenvogels ist vielleicht in Edgar Allan Poes Gedicht „Der Rabe“ zu finden, dessen ikonischer Refrain „Sprach der Rabe: Nimmermehr“ jedem bekannt sein dürfte. Hier findet sich eine eindeutige Verbindung des Raben mit dem Tod, schlechten Omen und zu einem gewissen Grad auch mit dem Mystery- und Horror-Genre. Der Autor Charles Dickens besaß einen Raben als Haustier, was als Inspiration für Poes Gedicht gelten mag. Eine andere Inspiration mag in Dickens Roman Barnaby Rudge zu finden sein, dessen Rabe weit klüger war als sein menschlicher Besitzer. Shakespeare hat auch oft Raben genutzt, um ein Gefühl der Vorhersehung zu erzeugen oder einen Mord vorauszudeuten. Und Ted Hughes hat eine Gedichtsammlung geschrieben, die Aus dem Leben und den Gesängen der Krähe betitelt war.

Krähen sind in Äsops Fabeln zu finden, wo sie Klugheit und Eitelkeit besitzen. In den Verwandlungen des römischen Dichters Ovid, spielt die Krähe mal wieder die Rolle des Spions und offenbart die Liebesaffäre eines Sterblichen, wodurch Apollo so wütend wird, dass die Götter die weißen Federn der Krähe schwarz färben.

Krähe
Alexas_Fotos / pixabay

Raben in der Fantasy

Fantasy-Geschichten nutzen die mythologischen und literarischen Assoziationen von Rabenvögeln vor allem als:

 

  • Spione für mächtige Magier und Götter
  • Gefäße für Ahnen und tote Seelen
  • Vorboten von Tod und Mord
  • Schlechte Omen
  • Weise Kreaturen mit der Kraft die Zukunft vorherzusehen oder das Schicksal zu beeinflussen
  • Bewohner von Türmen

Der dreiäugige Rabe von Game of Thrones ist ein besonders berühmtes Beispiel eines fantastischen Rabenvogels. Er scheint viele Funktionen zu erfüllen: Er wird zum Namensgeber für die Seher-Rolle und die Macht von Bran Stark, er wird zum realen Gefäß, das Bran übernehmen kann und er wird zum Symbol für Brans Fähigkeiten. (Man bemerke hier den Namen „Bran“, der im walisischen ja für Krähe steht und an Bran den Gesegneten erinnert – wohl kaum ein Zufall!) Raben werden in Game of Thrones auch dazu eingesetzt, Botschaften zu übermitteln und kommen häufig in der Geschichte vor.

Aber vermutlich war es der Herr der Ringe, der hier ausschlaggebend dafür war, dass Raben als Spione oder Gefäße in der Fantasy angesehen wurden, wohl inspiriert von Odins Raben. Krähenähnliche Vögel mit schwarzem Gefieder, die sogenannten Crebain wurden von Saruman als Spione eingesetzt, so dass die Gefährten sich vor ganzen Schwärmen von ihnen verstecken mussten.

Auch wenn sie nicht direkt als Spione fungieren, signalisiert das Erscheinen von Krähen zumeist ein drohendes Übel, etwa wenn sie dabei gezeigt werden, wie sie auf dunklen Türmen sitzen oder durch verwunschene Ruinen fliegen, wie zum Beispiel in Kate Forsyths Der Turm der Raben

Six of Crows

Manchmal erscheint aber noch nicht einmal eine reale Krähe in der Geschichte – vielmehr reicht das bloße Symbol, um einen Charakter oder eine Gruppe in den Romanen zu kennzeichnen, wie etwa in Leigh Bardugos Six of Crows, in dem Kaz Brekker einen Stab benutzt, dessen Kopf einer Krähe ähnelt, für eine Gang arbeitet, die die Krähe als Symbol nutzt, und den Krähenclub leitet. In Crooked Kingdom (ebenfalls Leigh Bardugo) offenbart er dann, dass er den Vogel als symbolische Repräsentation seiner selbst und seiner Vergangenheit ansieht.

Schlussendlich können Raben und Krähen in einer Vielzahl von Geschichten und fiktiven Werken gefunden werden, nicht nur in der Fantasy. Sie haben die Geschichtenerzähler jeglicher Art schon seit Jahrhunderten inspiriert. Dennoch scheint das Genre Fantasy eine besondere Beziehung zu ihnen zu haben.

Ich persönlich mag Krähen nicht etwa weil sie mich an die Fantasy oder antike Geschichten erinnern, sondern weil ich sie faszinierend finde. Immer wenn ich draußen vor meinem Fenster eine sehe, auf dem Baum sitzend, auf dem Feld herumpickend, dann halte ich inne und schaue genau hin. Ich liebe ihre geschmeidigen schwarzen Körper, die Art, wie sie gehen und fliegen, ihre Intelligenz, und die reiche Symbolkraft, die sie mit sich bringen. Ich mag, wie sie im Winter in Scharen auftreten, wenn all die anderen Vögel und Tiere sich rar machen. Ich mag sogar ihre krächzenden Schreie (wobei ich hier zugeben muss, dass ich in Australien aufgewachsen bin und hier eher die nicht europäischen Würgerkrähen - engl. currawong - vor Augen habe). Aber Tatsache ist: Raben haben einen Platz in meinem Herzen.