Männerbünde und Gebärmaschinen: Patriarchale Dystopien in der Science-Fiction-Literatur
Selten war das Verhältnis von Männern und Frauen so angespannt wie im Moment. Ein neuer Feminismus trifft auf traditionelle Männlichkeitsvorstellungen, und es ruckelt sich so einiges zurecht – kein Wunder, dass The Handmaid's Tale die Fernsehserie der Stunde ist. Die zweite Staffel startet heute auf dem US-Streamingdienst Hulu.com. Anja Kümmel über einige patriarchale Dystopien.
„Wenn diese Zukunft im Detail beschrieben werden kann, wird sie vielleicht nicht eintreffen”, schrieb Margaret Atwood letztes Jahr in einem Vorwort zu einer neuen Taschenbuchausgabe ihres wohl bekanntesten Werks The Handmaid’s Tale/Der Report der Magd (1985). Und gab zugleich zu, dass dies im Jahr 2017 wohl eher als Wunschdenken verstanden werden muss – angesichts zweier misogyner Spitzenpolitiker, die fröhlich Anti-Abtreibungspolitik betreiben und nebenher sexistische Tweets verbreiten. Dass die Anhänger von Donald Trump und Mike Pence empfindlich auf die Adaption von The Handmaid’s Tale als Web-Serie reagierten, ist kaum verwunderlich. Anscheinend kommt Atwoods dystopische Darstellung einer theokratischen Regierung, in der die wenigen fruchtbaren Frauen gezwungen werden, als Gebärmaschine für wohlhabende weiße Männer zu dienen, ihrer Wunsch-Wirklichkeit allzu nahe.
Repressive (politische) Strömungen aufzugreifen und literarisch zuzuspitzen, hat eine lange Tradition, auch und insbesondere im Bereich der feministischen Science Fiction: 1937 legte die britische Autorin Katharine Burdekin mit Swastika Night/Nacht der braunen Schatten einen Roman vor, in dem Hitlers anvisiertes „Tausendjähriges Reich“ Wahrheit geworden ist. Nicht nur sieht die Autorin darin eine Apokalypse vorher, die schon bald grausame Realität werde würde: den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg. Auch sind in ihrem prophetischen Werk die Frauen (ähnlich der zur Entstehungszeit in Nazi-Deutschland herrschenden Lebensborn-Ideologie) auf ihre Funktion als Brutmaschinen reduziert – eine Thema, das sich durch fast alle folgenden Schreckensvisionen ziehen wird.
Tochter der Apokalypse
In den 70er und 80er Jahren brachte die zweite Welle der Frauenbewegung eine veritable Schwemme patriarchaler Dystopien hervor. Das vielleicht krasseste Szenario entwirft Suzy McKee Charnas 1974 in Walk to the End of the World/Tochter der Apokalypse: Eine postapokalyptische Welt, in der die überlebenden Männer alle Macht an sich gerissen haben und die übrig gebliebenen „Fems“ in Sklaverei halten. Interessant an dieser Zukunftsvision ist vor allem, dass sie größtenteils aus der Sicht der männlichen Unterdrücker erzählt wird und so einen verstörenden Einblick in deren Sklavenhalterlogik gewährt.
Eine strikt hierarchische Unterteilung in die Gegensatzpaare Mann/Frau, Weiß/Nicht-Weiß, Mensch/Tier, alt/jung, heterosexuell/homosexuell findet sich auch in Marge Piercys: Woman on the Edge of Time/Die Frau am Abgrund der Zeit (1976). Heute eher bekannt für seine radikale Utopie einer klassenlosen und gender-neutralen Gesellschaft, skizziert der Roman auch eine alternative Zukunft, in der es weitaus düsterer zugeht: Eine konsumorientierte, turbokapitalistische Welt, in der Frauen einzig als Sexobjekte „gezüchtet“ bzw. mittels plastischer Chirurgie männlichen Schönheitsvorstellungen angepasst werden. Auch hier sind die misogynen Praktiken eingebettet in ein streng hierarchisches System, das anhand von Sexismus, Klassismus und Rassismus operiert. Stets geht mit der Ausbeutung bestimmter Gruppen eine Entmenschlichung des „Anderen“ einher – ob dies nun religiös motiviert ist wie in Atwoods Republik Gilead, oder die wirtschaftliche Notlage nach Kriegen, Seuchen und Naturkatastrophen als Rechtfertigung neuer Unterdrückungsregime herhalten muss, wie bei Piercy und McKee Charnas.
Eine neue Flut patriarchaler Dystopien
In den nächsten Jahrzehnten kämpften Frauen, Queers und People of Color auf der Straße und in den Institutionen für gleiche Rechte – und eine Weile lang sah es tatsächlich so aus, als sei eine ganze Menge erreicht. Doch, wie schon in diversen endzeitlichen Fiktionen vorhergesehen, geht mit jeder Krise auch ein Backlash in Sachen Gleichberechtigung einher – seien es wirtschaftliche Flauten, Kriege oder Umweltkatastrophen. Sehen wir darum seit einigen Jahren eine neue Flut patriarchaler Dystopien?
Ein beinahe schon klassisches Endzeit-Szenario entwirft die britische Schriftstellerin Sarah Hall in The Carhullan Army (2007): Die Themse hat London überschwemmt; die Menschen leben zusammengepfercht in riesigen Wohntürmen in den Randbezirken und ernähren sich von Konserven, während eine unbestimmte „Autorität“ Krieg in China und Südamerika führt. Interessanterweise werden in diesem Setting Verhütungsmittel staatlich verordnet und die Reproduktion erfolgt per Lotteriesystem.
Future Home of the Living God
Ob Schwangerschaften verboten oder erzwungen werden – stets geht es um die staatliche und/oder religiöse Regulation der Reproduktion, die Unterwerfung weiblicher Körper, Sexualität und Gebärfähigkeit unter männliche Kontrolle. Ein Thema, das Hall 2017 – wohl nicht ganz zufällig kurz nach dem Amtsantritt des aktuellen US-Präsidenten – in ihrer Kurzgeschichte Theatre 6 (zu finden im Erzählungsband Madame Zero) wieder aufgreift: In analytisch-steriler Sprache beschreibt sie eine Gesellschaft, in der jeder Schwangerschaftsabbruch und jede Gefährdung des Fötus hart bestraft wird – auch wenn dabei das Leben der Mutter auf dem Spiel steht.
Im selben Jahr erschien der Roman Future Home of the Living God von Louise Erdrich, der um eine ganz ähnliche Ausgangssituation kreist. Die 26-jährige Cedar Hawk Songmaker, die kurz nach ihrer Geburt adoptiert wurde, ist auf der Suche nach ihrer Herkunftsfamilie, die dem indigenen Stamm der Ojibwe angehört. Dass sie im vierten Monat schwanger ist, setzt sie dabei einem besonderen Risiko aus: Seit einiger Zeit fahren ominöse UPS-Trucks durch die Gegend, wobei UPS nicht mehr für „United Parcel Service“ steht, sondern für „Unborn Protection Society“. Spezialeinheiten holen schwangere Frauen ab und bringen sie in Krankenhäuser, wo sie unter „kontrollierten Umständen“ gebären sollen. Die schleichenden Veränderungen und was dazu geführt haben könnte, reißt Erdrich lediglich an: Gerüchte kursieren, die Evolution habe sich umgekehrt. Nur noch wenige gesunde Babys würden geboren; alles kehre zu primitiven Lebensformen zurück. Doch inwieweit das stimmt, oder ob lediglich eine neue christlich-fundamentalistische Regierung (ähnlich wie bei Atwood) diese Panik verbreiten lässt, bleibt im Dunkeln. Dass irgendetwas Seltsames vorgeht, ist jedenfalls klar: Tiere mutieren (eines Tages beobachtet Cedar, wie in ihrem Garten ein Säbelzahntiger einen Labrador verspeist); Brokkoli und Blumenkohl verwandeln sich in ungenießbares Gestrüpp. Über Nacht werden die Straßennamen in Bibelverse geändert, und auf Cedars Computerbildschirm erscheint immer wieder eine Figur, die sich „Mutter“ nennt und Frauen dazu aufruft, sich als „Gebärfreiwillige“ zu melden. Wer genau die neue Macht ist und was sie vorhat, lässt Erdrich offen – und vielleicht genau darum hinterlässt der Roman ein unangenehmes Gefühl des Wiedererkennens.
#metoo
Verfolgt man die derzeit laufenden #metoo- und No-means-No-Kampagnen, schwingt in den empörten Gegenstimmen nicht nur eine männliche Angst vor Kontrollverlust mit – die Reproduktion wird unausgesprochen zur letzten Bastion. Ganz nach dem Motto: Wenn Frauen nun schon das Recht haben, Nein zum Sex zu sagen, dann lassen sich in einer dystopischen Zukunftsvision, in der die Menschheit vom Aussterben bedroht ist, zumindest gute Gründe anführen, warum sie kein Recht mehr haben sollten, über die eigenen Gebärmutter zu bestimmen.
Das ist kein neues Phänomen. Sobald die etablierte Ordnung ins Wanken gerät, wird immer wieder gerne die Biologismus-Keule rausgeholt. Man denke etwa an das 10-seitige Manifest eines Facebook-Mitarbeiters, das die weit verbreitete Meinung wiederholt, Frauen seien schon allein aufgrund biologischer Unterschiede nicht geeignet für Tech-Jobs und Führungspositionen. Oder an die Flut von Forschungsergebnissen, die neurowissenschaftlich oder evolutionstheoretisch herzuleiten versuchen, warum Jungs lieber Fußball und Mädchen lieber pinkfarbene Ponys mögen. Und diese vermeintlich objektiven Ergebnisse werden verstärkt nicht nur in konservativen, sondern ebenso ernsthaft in links-liberalen Medien präsentiert.
Der Weg der Männer
Zu schaffen macht die Auflösung traditioneller Geschlechterrollen vor allem einer neuen Männlichkeitsbewegung, die sich in den USA formierte und zunehmend auch nach Deutschland schwappt. So sehnt der maskulinistische Alt-Right Autor Jack Donovan in seiner Streitschrift Der Weg der Männer (2012) das Ende der Zivilisation herbei, damit Männer in „kleinen Rauf- und Kampfgemeinschaften“ ihre authentische Männlichkeit wiederentdecken können. Nicht wirklich eine Leseempfehlung, dafür definitiv eine antifeministische Dystopie deluxe.
Kein Wunder, dass der SF-Action-Streifen Mad Max: Fury Road (2015) einen veritablen Shitstorm unter Männerrechtlern ausgelöst hat. Anstatt den hypermaskulinen Helden als Retter einer untergehenden Welt zu feiern, stellt der Film ihm die toughe Cyborg Furiosa und eine Gang von Biker-Omas zur Seite. Die Warboys hingegen kommen in ihrem brutalen Männlichkeitswahn eher wie ein Haufen verwirrter, traumatisierter Jungs daher, der am Ende geläutert wird. Wenn darin eine Message steckt, dann wohl diese: Naht die Apokalypse, wird keine Re-Polarisierung der Geschlechter, keine Reconquista männlicher Ideale das Überleben der Menschheit sichern – sondern ein gleichberechtigtes Miteinander.
Anja Kümmel
Anja Kümmel wurde 1978 in Karlsruhe geboren. Sie studierte Gender Studies und Spanisch in Los Angeles, Madrid und Hamburg. Heute lebt sie als freie Autorin und Journalistin in Berlin. Neben zahlreichen Publikationen in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlichte sie fünf Romane: „La Danza Mortale“ (2004), „Das weiße Korsett“ (2007), „Hope’s Obsession“ (2008), „Träume Digitaler Schläfer“ (2012) und „V oder die Vierte Wand“ (2016). www.anjakuemmel.com