Alessandra Reß, 09.07.2018
Ob als Film- oder Buchstoff: Cyberpunk erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Ein Blick auf ein Science-Fiction-Genre, das innerhalb der Phantastik wie kaum ein anderes für Zeitgeist steht und nicht nur andere Genres, sondern selbst Musik und Architektur geprägt hat.
Nicht nur der Fantasy, auch der Science Fiction wird immer wieder vorgeworfen, lediglich dem Eskapismus zu dienen und die reale Gesellschaft dabei aus den Augen zu verlieren. Anfang der 1980er Jahre kommt diese Kritik von einer Gruppe junger Schriftsteller, die unter dem Namen The Movement bekannt wird. Es ist die Geburtsstunde des Cyberpunk.
The Movement als Gegenkultur zur Science Fiction
Fünf Namen werden anfangs unter The Movement gefasst: John Shirley, Bruce Sterling, Lewis Shiner, der Mathematiker Rudy Rucker sowie William Gibson. Später kommen noch Michael Swanwick, Richard Kadrey, Pat Cadigan und Tom Maddox hinzu. Sie alle kritisieren den naiv-utopischen Konservatismus der Science Fiction ihrer Zeit – und den Mangel an Gesellschaftskritik darin. Ihre Vision ist eine Spielart des Genres, in der die Zukunft als Gegenwart erkennbar sein soll. Gleichzeitig verorten sie sich in der Hard Science Fiction, die sich bei aller Phantastik technisch-naturwissenschaftlichem Realismus verpflichtet sieht.
Als die beiden größten Vorbilder des Movement gelten in Stimmung und Stil zum einen die Hardboiled Crime Fiction der 1920er bis 1940er Jahre, zum anderen die New Wave of Science Fiction, die in den 1960er Jahren ebenfalls nach neuen Genrewegen suchte. Nachdem die New Wave mit britischen Autoren wie J. G. Ballard im Magazin „New World“ ihren Anfang nahm, erreichte sie auch die USA – und hier Philip K. Dick. Obwohl er streng genommen also zur Vor-Generation der Cyberpunks gehört, sind seine Werke – insbesondere „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“, verfilmt als „Blade Runner“ – heute Klassiker des Genres. Und tatsächlich weisen viele seiner Werke typische Cyberpunk-Merkmale auf.
Erkennungsmerkmal des damals innovativen Genres ist erstens die Verschmelzung von weiterentwickelter Technologie und Realität, beispielsweise in Form von Cyborgs, künstlichen Intelligenzen und lebensechten Androiden. Zweitens weisen die Werke des Cyberpunk fast immer totalitäre Konzern-Regime und Klassengesellschaften auf. Technik dient in erster Linie sozialer Kontrolle, obwohl die (Anti-)Helden sie sich für ihre Zwecke aneignen. Drittens folgt der Cyberpunk einer dunkelbunten Ästhetik. Grelle Neonwerbung prägt das typischerweise urbane Setting, womit das Genre auch die Urban Fantasy beeinflusst. Die Protagonisten sind meist Underdogs, die wie in der Hardboiled Crime Fiction am Rande der Gesellschaft in einem Suff aus Drogen, Sex und Gewalt agieren. Daher auch das Suffix -punk, das einerseits auf diese Außenseiterrolle verweist, andererseits auch für die Gegenkultur steht, als die sich die Autoren des Movement verstehen. Alle Merkmale sind als Überspitzung bzw. Weiterentwicklung realer Begebenheiten gemeint.