Frank Weinreich, 18.09.2019
Auch Fantasyvölker wie die Elfen haben ihre Geschichte – in der Mythologie, im Märchen und Roman. Frank Weinreich über den Ursprung und die Entwicklung der beliebten Phantasiegeschöpfe.
Als junger Fan phantastischer Literatur irritierte mich eine Frage immer ganz enorm: Was eigentlich sind die Elfen denn nun wirklich? Auf der einen Seite gab es ritterliche Streiter wie Tolkiens Elbenfürsten Gilgalad („sein Schwert war lang, sein Speer war kühn, weithin sein Helm aus Silber schien“), auf der anderen Seite Feengestalten so winzig klein wie Tinker Bell, die Peter Pan in einem Becher mit sich herumtragen konnte. Heute weiß ich, dass sie beides sind, weil das Fantasy-Volk der Elfen tatsächlich eine Vielzahl verschiedenartigster Wesen umfasst. Bis auf eine menschenähnliche Form mit Rumpf, Kopf, zwei Armen und zwei Beinen müssen die nicht viel miteinander gemein haben; und selbst dahingehend gibt es Abwandlungen mit Fischschwanz statt Beinen oder zusätzlichen Flügeln auf dem Rücken und anderes mehr. „Elf“ ist ein weitreichender Oberbegriff, der ohne eine genauere Eingrenzung einfach zu unbestimmt bleibt.
Vielleicht schaut man also zunächst, woher der Begriff kommt. Die Wurzeln von „Elf“ gehören in den germanischen Sprachenstamm und reichen bis zur ersten Jahrtausendwende zurück, wo auf den britischen Inseln „ælf“, bei den nordischen Völkern „álfr“ und im althochdeutschen Sprachraum „alb“ ganz allgemein eine Reihe übernatürlicher Wesen bezeichnete, die man grob als Naturgeister identifizieren kann. Einer der besten Sprachenhistoriker der Welt, Professor Tom Shippey, spricht in dem lesenswerten Aufsatz „Light-Elves, Dark-Elves and Others“ über diese ursprünglichen Elfen als „weitgefächerte mythologische [Wesen], die Zeugnis davon ablegen, dass der Mensch stets versucht, Phänomenen auch außerhalb seines Alltagsverständnisses Etiketten anzuheften.“
Von Erl- und Elfenkönigen
Neben ihrem heterogenen Äußeren wurden die unterschiedlichen Elfenarten und ihre Fähigkeiten mit verschiedenen Ereignissen – meist der weniger schönen Art – in Verbindung gebracht: Laut Volksglauben ertränkten sie Leute aktiv oder durch Magie, verbreiteten Krankheiten und Wahnsinn oder wurden als Vampire aktiv, wurde ihnen doch „ælfsogoða“, das „Elfensaugen“ unterstellt, das den Betroffenen blutarm zurückließ. Sie hatten zudem reihenweise Sex mit Menschen, was, anders als man annehmen sollte, auch nicht gerade zu deren Vorteil war, endete doch auch dies Vergnügen mehr oder weniger regelmäßig mit dem Tod der Verführten. Und auch im deutschen Sprachraum waren böse Elfen nichts Unbekanntes, wenn auch nicht immer sofort als Elf erkennbar. Der kindermordende Erlkönig etwa („Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?“), heißt in der dänischen Originalgeschichte eigentlich Ellerkonge („Elfenkönig“) und wurde von Johann Gottfried Herder nur falsch übersetzt, der Eller als Erle las.
Doch recht bald differenzierten sich in der Folklore wie auch folgend der Literatur viele dieser Wesen unter eigenen Etiketten wie Kobold, Fee, Najade, Dryade, Spriggan und dutzenden weiterer Namen heraus. Die eigentlichen Elfen/Elben hingegen nahmen spätestens seit Niederschrift der Prosa-Edda durch den aus Island stammenden Skalden und Christen (!) Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert langsam die Form an, die wir aus der modernen Fantasy seit Lord Dunsany und J. R. R. Tolkien so gut kennen. Zwar gibt es Wesen, die unseren Fantasy-Elfen ähneln, auch außerhalb des nordischen Kulturkreises, die keltischen Sidhe etwa, an deren Existenz in einer Anderswelt viele Menschen besonders in Irland und Wales heute noch glauben. Doch die wesentlichen Vorbilder der Elfen in der modernen Fantasy verdanken wir den Wikingern und besonders Snorri Sturluson. Nur ist das mit den Elfen bei Snorri trotzdem eine schwierige Sache, denn er unterscheidet immerhin noch vier verschiedene Arten.