KOLUMNE
Frank Weinreich, 16.01.2020
Auch Fantasyvölker haben ihre Geschichte – in der Mythologie, im Märchen und Roman. Frank Weinreich über den Ursprung der Zwerge in der Fantasyliteratur.
Zwerge? Schon klar: stark, klein, fleißig, grantig, trinkfest. Und wenn man einen gestandenen Fantasy-Zwerg mit einem seiner Namensvettern aus den deutschen Gärten vergliche, hätte man wohl auch eine gute Chance, die ihnen nachgesagte Gewalttätigkeit am eigenen Leib zu erfahren. Doch fragen wir doch mal ernsthaft – was steckt hinter den streitbaren Handwerkern, die unzählige Fantasysettings bevölkern?
Es gibt ja eine ganze Menge humanoider kleiner Wesen in den alten Sagen wie auch in der modernen Phantastik, die unter ihren jeweiligen Bezeichnungen als Kobolde, Feen, Goblins, Pixies und so weiter in vielgestaltiger Form und mit allen möglichen Charaktereigenschaften und mehr oder weniger magischen Fähigkeiten auftreten. Doch bei Zwergen scheint der Fall klarer zu sein, da weiß man, was man zu erwarten hat ... außer vielleicht wie Zwergenfrauen aussehen. Aber es ist vielleicht doch ein bisschen komplizierter, denn dass sie schon im Grimmschen Wörterbuch Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts auch als „dämonische Gestalten“ bekannt sind und dass die Zwerge in der mittelalterlichen Edda Angehörige der Elfenvölker sind, zeigt, dass mehr in ihnen steckt als nur Bier und Schmiedekunst.
Bedeutungswirrwarr ...
Wie immer, wenn man es mit Erzähltem zu tun hat, bietet sich als Erstes der Blick auf die Herkunftsgeschichte des Themas an, wobei sich zeigt, dass der Begriff Zwerg multiple Wurzeln im Indogermanischen hat, die von den Wikingern bis nach Indien reichen. Nur konstatiert schon Jacob Grimm als Ergebnis dieser Vielfalt: „das wort ist ohne sichere etymologie“. Und die Dudenredaktion des Herkunftswörterbuchs ist 160 Jahre später nicht viel schlauer geworden. Es gibt Bezüge zu germanischen Sprachen, die zahlreiche Varianten des Wortes twerc, dvärg oder dwarg aufweisen, und damit zwischen dem deutschen Zwerg und dem englischen dwarf oszillieren. Doch von hier aus wird es sehr spekulativ, wenn etwa das altiranische drva, das eine schwere körperliche Behinderung bezeichnet, oder das altlettische drug, das zusammensinken oder verkleinern heißt, als bedeutungsähnlich angenommen werden. Den Bogen zu den Dämonen schlagen schließlich die altindischen Wörter dhuer, das Täuschung, Betrug kennzeichnet; dhrúti, für Verführung, und dhvarás, für einen weiblichen Dämon, während das Altnordische noch den Untoten draugr hinzufügen soll.
Ein verführerischer weiblicher Dämon ist nun nicht das, was einem heute bei dem Wort „Zwerg“ als Erstes einfällt, und es lässt sich aus der Etymologie nicht viel mehr festhalten, als dass die negativen Hinweise auf Behinderungen, Minderwert, Betrug und das Böse bedeuten, dass die Vorläufer der modernen Fantasy-Zwerge für die Menschen im Mittelalter negativ besetzt waren – genau wie es im Fall der ebenfalls dämonisierten Elfen oder Elben der Fall war. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Zwerg nach Jacob Grimm "ursprünglich die bezeichnung der kleinen elbischen wesen in den germanischen mythen, heldensagen und märchen" war, die jedenfalls nicht Bestandteil der alltäglichen Realität waren, für die sie aber eine Gefahr darstellten, wenn man ihnen doch begegnete. Selbst die den Zwergen immer zugestandene handwerkliche Kunstfertigkeit zog in der Regel Katastrophen verschiedenster Art nach sich, führten die meisterlich ausgeführten Schmuckstücke und Waffen der Zwergenschmiede doch üblicherweise dazu, dass Kämpfe oder gleich ganz Kriege um ihren Besitz entbrannten.