Mars Override von Richard Morgan
Der Autor von Altered Carbon ist zurück in der SF: In Mars Override schickt Richard Morgan mit Hakan Veil erneut einen derben Protagonisten ins Rennen, der als genetisch und technisch modifizierter Supersoldat auf dem Mars quasi entsorgt wurde. Der Rote Planet befindet sich mitten im Prozess des Terraformings, doch unter der künstlichen Atmosphäre ist die technische Utopie längst zu einem korrupten Moloch verkommen. Veil schlägt sich dabei mehr schlecht als recht durch, sein Deal mit den Triaden scheint geplatzt und die Chance, zur Erde zurückzukommen, minimal. Gezwungenermaßen hilft er der Polizei und spielt den Babysitter für eine Agentin, die im Fall eines verschwundenen Lotterie-Gewinners ermittelt.
Bei Richard Morgan ist der Mars eine hochtechnisierte, schrille und verdammt dreckige Cyberpunkwelt. Das Erzähltempo ist hoch, Veils Aktionen teils schockierend brutal und blutig. Trotzdem mag man diesen zynischen Kerl, der innerhalb des finsteren Settings authentisch ist und sich einen letzten Funken Moral und Anstand bewahrt hat. Stilistisch spielt Mars Override in der gleichen Liga wie Neuromancer und steckt voller Marstech-Porn, derben Flüchen und unerwarteter Poesie. Richard Morgan schreibt fordernd und kontrastreich und seine Metaphorik geht unter die Haut.
Neon Birds von Marie Graßhoff
„Supersoldaten kämpfen gegen Cyborg-Zombies“ war die Prämisse von Marie Graßhoffs Neon Birds, das als spannender Mix aus Cyber- und Solarpunk seine Leser*innen begeistert. Ein technisches Virus verwandelt Menschen in emotionslose, mörderische Cyborgs, genannt Mojas. Sie werden von der Künstlichen Intelligenz KAMI gelenkt, die die Menschheit optimieren und sie dabei ihrer Menschlichkeit berauben will. Viele Großstädte sind bereits Sperrzonen, umgeben von gigantischen Mauern, die die Moja einsperren sollen. Als sich eines Tages die Tore der Sperrzone Nordchina öffnen, werden die Protagonisten in einen Krieg Mensch gegen Technologie gezwungen, bei dem sich bald die Frage stellt, wer eigentlich der Feind ist.
Neon Birds ist der Auftakt einer Trilogie, in der die Menschheit nach einem langwierigen Kalten Krieg im 21. Jahrhundert scheinbar aus ihren Fehlern gelernt hat. Städte wie Ulan Bator sind grüne Oasen, es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen und jeder scheint die gleichen Chancen im Leben zu haben. Die Utopie bekommt jedoch schnell Risse und die Protagonisten die Schattenseiten der schönen neuen Welt zu spüren. Neon Birds erinnert mit seinen mystischen Elementen an japanische Cyberpunkanimes, was auch anhand der Charakterillustrationen von Mona Finden sichtbar wird. Zwar bietet der Trilogieauftakt bereits reichlich Action, konzentriert sich jedoch stark auf die Einführung der Figuren und lässt viele Fragen für den zweiten Band Cyber Trips offen. Marie Graßhoffs Stil ist schlichter und weniger derb als der Richard Morgans und eignet sich damit auch für Genreeinsteiger.
Alter Ego von Mike Krzywik-Groß
Shadowrun ist zurück! Nach mehreren Jahren Pause erscheinen bei Pegasus Spiele wieder neue Romane aus dem Universum des Cyberpunk-Dauerbrenners – auch aus deutschen Tastaturen. Alter Ego von Mike Krzywik-Groß ist einer der hochspannenden Leckerbissen der SF/Fantasy-Serie, insbesondere durch das deutsche Setting im Berlin des Jahres 2076. Im Großstadtmoloch regieren skrupellose Konzerne und kriminelle Banden und Detektiv Paule Dante hat längst die Schnauze voll. Er ist ein typischer Antiheld des Genres: magisch ausgebrannt, mit sich selbst im Unreinen, mehr Feinde als Freunde. In der Hoffnung auf schnell verdientes Geld zieht er einen fragwürdigen Auftrag an Land und versinkt damit tiefer im Dreck als je zuvor.
Man muss kein Rollenspieler sein und auch keine anderen Shadowrun-Romane gelesen haben, um in der actiongeladenen Story zu versinken. Im Cyberpunk wird ohne hin wenig bis gar nichts erklärt. Der Leser wird in die düstere Welt hineingeworfen und findet sich intuitiv in ihr zurecht, sofern das Genre nicht komplett neu ist und man sich an ein paar Fantasyelementen nicht stört. Trotz Magie ist Shadowrun Cyberpunk pur und mit deutschem Setting für deutschsprachige Leser besonders interessant und beklemmend.