Fantasy

Alles über Meereswesen in der Fantasy

Alles über Meereswesen in der Fantasy
© Tokmakov/pixabay

BUCH

 

Alessandra Reß, 02.04.2020

In der Fantasy einen See zu finden, der nicht wenigstens von einem Riesenkraken oder einer verführerischen Sirene bewohnt wird, ist äußerst schwierig. Insofern kann ein Überblick über die Überraschungen und Gefahren, die Lesenden hier drohen, nicht schaden.

Wer sich in Gewässer begibt, sollte bekanntlich vorsichtig sein. Strömungen können selbst geübte Schwimmende mit sich reißen, unsichtbare Hindernisse für Verletzungen sorgen und wenn man so richtig Pech hat, kommt gerade irgendein Seeungeheuer vorbei, um seinen Hunger an einem zu stillen. In Schottland beispielsweise sollte man misstrauisch werden, wenn Fremde anbieten, jemanden über einen Fluss auf die andere Seite zu tragen. Könnte sein, dass sich die Fremden in der Mitte des Flusses in ein Pferd verwandeln, damit als Kelpie offenbaren und versuchen, einen unter Wasser zu ziehen. Und von Loch Ness wollen wir jetzt mal gar nicht anfangen … Weniger Gefahr besteht allerdings beim Anblick von Robben. Die entpuppen sich höchstens bei näherem Hinsehen als Selkies, Gestaltwandlerinnen also, die als wunderschöne Frauen oder eben als Robben in Erscheinung treten.

Man merkt es schon, in schottischen Gewässern ist einiges los, und längst nicht nur dort. Zwei Drittel der Erde sind mit Wasser bedeckt, und so ziemlich jeder Ozean, jeder Bach und jeder dritte Dorfteich erzählen eigene Geschichten von phantastischen See- und Meeresbewohnern. Das Unbekannte hat von jeher zu Erzählungen von sagenhaften Wesen eingeladen, und die Tiefen vieler Gewässer locken noch immer mit sehr viel Unbekanntem. Zudem bieten Sichtungen von realen Meeresbewohnern wie Teufelsrochen oder Riesenkalmaren zusätzliche Inspiration.

Meeresbewohner als globales Phänomen

Man muss nur mal vor die Tür schauen. Da haben wir beispielsweise die Nixen, zu denen auch die Rheintöchter gehören, und die mal als Helferinnen, mal als Verführerinnen dargestellt werden. Ihr männliches Äquivalent ist ein Nix oder Nöck. Hinzu kommen verschiedene Meer- und Seejungfrauen sowie Wassermänner wie die ebenfalls mit dem Meer assoziierten Klabautermänner.

Und außerhalb Deutschlands? Die keltische Sagenwelt kennt neben den bereits genannten Wesen diverse Meeresfeen wie die Merrows oder die in walisischen Seen anzutreffenden Gwragedd Annwn. In der Irischen See schwimmt die rachsüchtige Albhine herum, vor der bretonischen Küste wacht Dahut über die versunkene Stadt Ys, die Wassernymphe Sabrina bewohnt den britischen Fluss Severn und in polnischen Gewässern kann man u. a. den vampirähnlichen Topichen begegnen, die ihr Leben verlängern, indem sie die Lebensenergie unbedarfter Schwimmer aussaugen. In der slawischen Sagenwelt finden sich außerdem Rusalky, Viben oder der Vodyanoy in Quellen und Gewässern, in der germanischen Mythologie hausen die Midgardschlange und der Wassergeist Ran in den Weltmeeren. In der griechisch-römischen Antike leben allerlei Nymphen wie Nereiden, Najaden und Okeaniden in Quellen und Meeren, aber auch Mischwesen wie die ursprünglich eher vogelähnlichen Sirenen oder Seeungeheuer wie Keto oder Skylla. Übrigens: Während Nymphen und Nixen auch mal für Menschen gehalten werden können, ist das bei Meerjungfrauen und Wassermännern schwierig. Denn die haben normalerweise einen Fischschwanz.

Und selbstverständlich enden die mythischen Wasserwesen nicht an den Grenzen Europas. Im Voodoo existiert der schützende loa Simbi Andezo, in der kanaanitischen Mythologie findet sich das Seeungeheuer Lotan, die Gewässer Australien beheimaten Monster wie Muldjewangk oder Bunyip und an der Küste Syrien treibt der Meeresdrache Ḫedammu sein Unwesen. Die japanische Sagenwelt kennt die Meerjungfrauen-ähnlichen Ningyo oder die dämonischen Kappa, Mischwesen, die sowohl Züge von Menschen, als auch von Schildkröten, Ottern und anderen Tieren tragen.

Daneben teilen zahlreiche Fluss- und Meeresgötter von Poseidon über Boann und Atlatonan bis hin zur Sea Mother der Inuit die Welt unter sich auf.

Undine, Arielle und Loreley: Märchennixen

Angesichts dieser Fülle an mythischen Wasserwesen bot sich der phantastischen Literatur von Anfang an einiges an Material, aus dem sie schöpfen konnte. Da viele der Wasserwesen auch als Feen bezeichnet werden können, besteht hier literaturgeschichtlich eine enge Verbindung. Insbesondere gilt das für die höfische Literatur des Mittelalters, die Wasserfee-Figuren wie Nimue, die Herrin vom See, oder Melusine kannte.

Darüber hinaus sind viele Meeres- und Seefiguren der Sagenwelt durch ihre Verarbeitung in Märchen und der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts zu größerer Berühmtheit gelangt. Das gilt beispielsweise für die Undinen, deren Motiv u. a. in Friedrich de la Motte Fouqués Kunstmärchen „Undine“ und dessen Opern-Adaptionen verarbeitet wurde. Es ist wohl auch dieser Interpretation zu verdanken, dass aus dem Volk der nymphenähnlichen Undinen letztlich eine einzelne Figur wurde. In der modernen Phantastik findet sich diese u. a. in P. C. Casts „Mythica – Göttin des Meeres“.

Ebenso nahm Fouqués „Undine“ Einfluss auf Hans Peter Andersens „Die kleine Meerjungfrau“, das vor allem dank Disneys „Arielle, die kleine Meerjungfrau“ stark in der heutigen Popkultur verankert ist. Weitere moderne Adaptionen des Stoffs sind beispielsweise Victoria Frances‘ Graphic Novel „Das Klagelied des Meeres“ oder Jim C. Hines‘ Sword & Sorcery-Roman „Die fiese Meerjungfrau“.

Eine dritte Nixe, die im 19. Jahrhundert zu Berühmtheit kam, ist die am Mittelrhein beheimatete Loreley, deren Gesang unzählige Schiffsleute in den Tod geschickt haben soll. Erstmals tauchte sie in Clemens Brentanos Ballade „Zu Bacharach am Rheine“ auf, berühmt wurde sie vor allem durch seine „Rheinmärchen“ sowie Heinrich Heines „Die Lore-Ley“. In der Historical Fantasy wurde Loreley von Kai Meyer („Loreley“) mit einem Roman bedacht.

Zwischen Romanzen und Krimis

Gemeinsam haben die drei Sagen und Märchen das Motiv der unerwiderten Liebe, das auch für zahlreiche Sagen um Nixen, Nymphen und ihre (zumeist weiblichen) Verwandten prägend ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere die (Jugend-)Romantasy Meeresbewohner als Protagonist*innen nutzt. Beispiele dafür sind die „Blue Secrets“-Reihe von Anna Banks, Kate Dylans „Stranded“, Elizabeth Famas „Syrenka: Fluch der Tiefe“, Britta Strauß‘ „Sturmherz“, Mandy Hubbards „Der Kuss der Sirene“, Alexandra Christos „Das wilde Herz der See“ oder Tricia Rayburns „Im Zauber der Sirenen“.

Doch auch außerhalb der Romantasy sind Nixen und Co. keine Seltenheit in der Jugendfantasy. Beispielsweise tauchen sie in Kai Meyers „Merle und die fließende Königin“ oder Patricia A. McKillips „Meereszauber“ auf. Ein beliebtes Element stellen sie außerdem in Fantasykrimis und Wissenschaftsthrillern wie Thomas Finns „Aquarius“, Anna Holubs „Meerschaum“, Stephan R. Bellems „Der Ruf der Rusalka“, „The Shape of Water“ von Daniel Kraus und Guillermo del Toro oder der „Flüsse von London“-Reihe von Ben Aaronovitch dar. Den Bogen zur Science Fiction spannen beispielsweise James Camerons Film „Abyss – Abgrund des Todes“, die australische Jugendserie „Ocean Girl“ oder Andreas Eschbachs „Aquamarin“. Nicht vergessen werden sollte außerdem DCs „Aquaman“, der nicht nur die Meeresmotive in die Comics gebracht, sondern sich auch als einer der ersten Hollywood-Realfilme an Unterwasser-Fantasy versucht hat.

Als Heldenfutter in der klassischen Fantasy

In klassischen Alternativwelt-Fantasysettings fristen die Meeresbewohner dagegen eher ein Randdasein. Nicht dass sie nicht vorhanden wären: In der „Drachenlanze“-Saga tauchen sie beispielsweise als Dimernesti oder Dargonesti auf, in Bernhard Hennens „Elfen“-Büchern bewohnen Apsaras und Selkies die Albenmark und in „Harry Potter und der Feuerkelch“ dürfen sich die Teilnehmer*innen des Trimagischen Turniers mit Meermenschen herumschlagen. Allerdings dienen diese Völker und ihre Städte meist eher als Beiwerk, ohne große Rollen einzunehmen. Zudem eignen sich Seeungeheuer beispielsweise in „Der Herr der Ringe“ oder der „Geralt“-Saga vor allem für den kleinen Kampf zwischendurch. Eine Rolle, die phantastische Meeresbewohner übrigens auch gerne in Katastrophenfilmen wie „The Meg“ einnehmen.

Ganz anders in der Kinderfantasy: In Büchern wie Marliese Arolds „Atlantis“, Liz Kesslers „Emily Windsnap“, Adam Blades „Seaquest“ oder Tanya Stewners „Alea Aquarius“ werden die phantastischen Unterwasser-Welten zum Protagonisten.

Insofern zeigt sich: Fantasygewässer sind äußerst belebt und beliebt. Doch zum Glück für Schwimmende lassen sich hier nicht nur blutgierige Monster und verhängnisvolle Verführerinnen antreffen, sondern auch äußerst hilfsbereite Seebewohner*innen.

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/