BUCH
Judith Madera, 04.04.2020
„Gutes Buch – aber sicher keine Science Fiction!“ – ein Satz, den viele moderne SF-Autor*innen schon einmal gehört haben. Im 21. Jahrhundert ist SF ein stark diversifiziertes Genre mit dutzenden Subgenres, und die Diskussion darüber, was genau SF eigentlich ist, wird mindestens seit Hugo Gernsback geführt. Eigentlich haben wir eine sehr genaue Vorstellung davon, was SF ist, doch sobald wir versuchen, sie zu definieren, verwischen die Grenzen und oftmals schließen unsere Vorlieben und Leseerfahrungen andere Varianten aus. Schade eigentlich.
Warum die Definition von SF so schwierig ist, bringt der britische Literaturprofessor Thomas Alan Shippey gut auf den Punkt: "Science fiction is hard to define because it is the literature of change and it changes while you are trying to define it." Während sich die Fantasy dem Unmöglichen widmet und ihre Welten erträumt, ist die SF stark an wissenschaftliche, technologische und gesellschaftliche Entwicklungen gebunden. Sie nutzt das Wissen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, um über neue / alternative Technologien und Gesellschaftsformen zu spekulieren, entsprechend wird sie oftmals von der Zukunft, die sie sich erdacht hat, eingeholt. Um also zu verstehen, was SF ist, müssen wir uns zuerst anschauen, was SF war:
Ein neues Genre entsteht
Vorfahren der SF findet man bereits in der Antike und der Frühen Neuzeit, dennoch war die Entstehung des Genres in seiner heutigen Form eng an die industrielle Revolution und ihre technologischen Neuerungen geknüpft. Als eine der ersten verbindet Mary Shelley 1818 die phantastischen Elemente ihres Schauerromans Frankenstein oder Der moderne Prometheus mit der Wissenschaft. Kurz zuvor begann das Zeitalter der Elektrizität, und Galvanisten führten Experimente an Tier- und Menschenleichen durch, bei denen sie durch elektrische Spannung Muskelbewegungen auslösten – und bei Shelley die Vision eines künstlichen Wesens, das mittels Elektrizität zum Leben erweckt wird.
Im 19. Jahrhundert lag das Unbekannte, das es in der SF zu erforschen gilt, noch auf unserem Heimatplaneten und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Jules Verne schrieb Abenteuerromane über die Reise zum Mittelpunkt der Erde (1873) und schickte in 20.000 Meilen unter dem Meer ein Unterseebot in Tiefen, die heute noch nicht vollständig erforscht sind. Kurd Laßwitz und H. G. Wells spekulierten in Auf zwei Planeten (1897) und Der Krieg der Welten (1898) über eine Begegnung mit Außerirdischen vom Mars. Während Wells die Marsianer als Invasoren darstellt, die die Erde angreifen und Städte zerstören, sind die Martianer bei Laßwitz ein hochentwickeltes, zunächst friedliches Volk. Bis heute ist der Mars einer der beliebtesten SF-Schauplätze, allerdings kennen wir heute Bilder von Sonden, die den Roten Planeten als gigantische Wüste zeigen, entsprechend denken heutige SF-Autor*innen weniger über fremdartige Marskulturen nach, sondern mehr über Forschungsmissionen und Siedlungsmöglichkeiten.
Das erste goldene Zeitalter
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand SF vor allem in Pulp-Magazinen statt. Reißerische Coverillustrationen mit monströsen Aliens und kreischenden Frauen trugen dazu bei, dass SF als Trivialliteratur, gar Schund wahrgenommen wurde. Als John W. Campbell 1938 Herausgeber von Astounding Stories of Super Science (inzwischen Analog Science Fiction and Fact) wurde, legte er besonderen Wert auf die literarische Verarbeitung von Naturwissenschaften und deren Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft. Genregrößen wie Isaac Asimov, Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein veröffentlichten in Astounding und heute noch spricht man von einem goldenen Zeitalter der SF in den 1930er und 1940ern.
Dieses goldene Zeitalter war gleichzeitig ein Zeitalter der Hard SF, beflügelt von einer Vielzahl bedeutsamer Entdeckungen, insbesondere im Bereich der modernen Physik und Biologie. Quantenmechanik, Relativitätstheorie, Evolution und Genetik bildeten eine schier unerschöpfliche Ideenquelle für SF-Autor*innen. Wissenschaft und Technologie waren Problemlöser, der Blick in die Zukunft tendenziell optimistisch – auch in der Space Opera, die weniger auf wissenschaftliche Genauigkeit, sondern auf exotische Welten und Völker, Abenteuer und Heldenfiguren setzte. Das Universum war ein Sehnsuchtsort, das große Unbekannte, das es zu erforschen und zu bezwingen galt.