Frank Weinreich, 05.07.2020
Orks kennen wir vor allem aus Tolkiens Herr der Ringe, wo sie als gesichtslose Masse den heldischen Helden allerlei Ungemach bereiten. Doch ihre Geschichte ist länger und vielfältiger, als man so denken könnte. Ein Essay von Frank Weinreich.
Im Prinzip gibt es in Literatur, Film und Spiel zwei Arten von Bösewichtern. Einmal sind das die oftmals charismatischen, aber immer mächtigen, skrupellosen und vielfach durchtriebenen individuellen Gegenspieler – mir fallen da, ohne groß nachzudenken, etwa Thanos, Sauron, Voldemort oder Cersei Lannister ein. Auf der anderen Seite stehen die anonymen Massen von Zombies und anderen Untoten, Stormtroopern, Spacebugs oder Fischmenschen, die hauptsächlich aufgrund ihrer gesichtslosen Anzahl mächtig sind und bedrohlich wirken. Letztere besetzen angesichts ihrer nicht vorhandenen Individualität eher undankbare Rollen und dienen meist nur als Verfügungsmasse auf Schlachtfeldern. Das gilt auch für die armen Orks. Doch es gilt nicht durchgängig und wenn man die jüngere Fantasy der letzten zwanzig Jahre betrachtet, so ist der Ork an sich der Rolle des bloßen Massenkanonenfutters aus den Weiten der Kampagnen von Dungeons & Dragons und anderen Welten und Szenarien zumindest teilweise entwachsen. Da lohnt es doch, seine Herkunft und mittlerweile mannigfaltigen Erscheinungsformen etwas näher unter die Lupe zu nehmen.
Vom bösen Geist zu Tolkiens Orks
Letztlich ist es J. R. R. Tolkien gewesen, der die Orks in die Genreliteratur einführte. Auch wenn der Tiroler Schriftsteller Hans Vintler schon im 15. Jahrhundert davon berichtete, dass manch ein Zeitgenosse erzähle, „er hab den orken und elben“ gesehen, so ist zumindest der Ork vor Tolkien nur auf sehr unbestimmte Weise in Erscheinung getreten. In einem angelsächsischen Manuskript aus der Zeit der ersten Jahrtausendwende ist die Rede vom „Orc, oððe hel-deofol“ – dem „Ork oder Höllenteufel“. Das noch ältere Gedicht Beowulf – eine der wichtigsten Inspirationsquellen Tolkiens – berichtet von „eotenas ond ylfe ond orcneas“, von „Ogern, Elfen und bösen Geistern“. Sowohl Teufel wie Geister sind zwar auch keine freundlichen Wesen, haben jedoch wenig mit den humanoiden, aber grotesk hässlichen Gestalten zu tun, als die Orks heute gemeinhin auftreten. In der Neuzeit vermischt sich dann der Ork in der Literatur, etwa bei Edmund Spenser und Charles Perrault, mit dem Oger, den die moderne Fantasy jedoch meist als eine Art riesenhaften Cousin des Orks beschreibt. Die sonst in Fragen der Fantasy-Erforschung so ergiebigen Arbeiten der Gebrüder Grimm verstehen unter dem „Orke, ork, org“ im Neunzehnten Jahrhundert dann wieder ein „gespenstisches wesen, böser dämon, spukmännchen, teufel“ und verorten ihn etymologisch beim lateinischen Orkus, dem Gott der Unterwelt, der allerdings unter dem Namen Pluto deutlich bekannter sein dürfte. Trotz bester Kenntnis des Beowulf kann man aber davon ausgehen, dass Tolkien seine Orks eher der Palette altnordischer und keltischer Koboldwesen entlehnte beziehungsweise konkret an die Goblins aus George MacDonalds The Princess and the Goblin aus dem Jahr 1872 dachte, als er seine Orks erfand und sie im Wesentlichen nur größer, stärker und furchterregender machte.
Woher die Orks als lebendige Wesen stammen, ist mit Blick auf Tolkien eine Geschichte für sich. Sämtliche Erklärungen, die von einer eigenen Erschaffung durch böse Mächte über die Degeneration von Elben oder Menschen bis hin zu Versklavung und Transformation durch Folter reichen, sind unbefriedigend (und Tolkien hat dahingehend nie eine letztgültige Erklärung abgegeben). Es ist unbefriedigend, aber auch nicht besonders wichtig, wenn man das Auftreten von Orks im Genre allgemein betrachtet. Da sind sie nämlich in der Regel einfach ein Volk unter vielen, das zwar wild und meist bösartig ist, aber ansonsten genauso auf die Welt kommt, Kinder zeugt und stirbt wie jedes andere Volk. (Auch Tolkiens Orks schlüpfen übrigens nicht aus Eiern, wie die Verfilmung von Der Herr der Ringe nahelegt.) Das aber führt zu einem ganz anderen und gravierenden Problem, dem sich auch Tolkien noch zu Lebzeiten ausgesetzt sah, und zwar dem Vorwurf eines ausdrücklichen Rassismus, der sich auf das Aussehen bezieht und mit dem die schlechten Charaktereigenschaften dann angeblich bewusst verknüpft worden seien. Was so gut wie alle Orks tatsächlich gemeinsam haben, ist die dunkle Hautfarbe, bei vielen vereint mit schlitzförmigen Augen und anderen Merkmalen, die typischerweise asiatischen, indischen, orientalischen und afrikanischen Phänotypen entsprechen, während hochgewachsene blonde Recken mit blauen Augen zumindest mir noch nirgendwo unter den Orks begegnet sind.