Sprungbrett, Teamarbeit und finanzielle Sicherheit
Und aus Sicht der Schreibenden? Was bewegt uns dazu, an Shared Universes mitzuarbeiten?
Auch hier sind die Gründe vielfältig. Beispielsweise stellen Shared-Universe-Reihen oft ein Sprungbrett dar – zahlreiche heute etablierte Autor*innen wie Markus Heitz, Judith Vogt, Bernhard Hennen oder Thomas Finn haben schon zu Beginn ihrer Karriere entsprechende Romane veröffentlicht. Es ist jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass Shared Universes neben Genrestars auch Newcomern eine Chance bieten. Für diese liegt der Vorteil einer solchen Mitarbeit nicht nur darin, überhaupt etwas zu veröffentlichen. Vielmehr bringen Shared Universes oft ein großes Netzwerk an Redakteur*innen, Mitautor*innen, Agenturen und Verlagen mit sich.
Darüber hinaus bedeuten insbesondere etablierte Reihen ein gewisses Prestige und bei neuen Konzepten kann auf die vereinte Fan- und Followerschaft der beteiligten Personen zurückgegriffen werden.
Nicht zuletzt sollte zudem der finanzielle Vorteil mitbedacht werden: Die bekannten Serien mit festen Veröffentlichungsrhythmen bieten den Schreibenden ein solides und sicheres Einkommen. Gerade für Hauptberufsautor*innen stellt das eine bemerkenswerte, da für diesen Berufszweig ungewöhnliche Sicherheit dar. Außerdem ist der Schreibaufwand geringer, wenn man erst einmal in der Welt drin ist. Judith Vogt, die für DSA und Splittermond Romane verfasst hat, erklärt dazu: „Die Welt ist den meisten Lesenden bekannt – sie finden sich darin zurecht, kennen Ausdrücke, Besonderheiten, vielleicht auch schon Figuren, Landstriche und so weiter. Dadurch war es mir dann tatsächlich möglich, auch mal kürzere Romane zu schreiben – denn bei Fantasy ist nicht zu unterschätzen, wie viel Platz das Worldbuilding letztlich einnimmt! Der Nachteil ist natürlich die relative Unfreiheit und dieses Klein-klein von Rollenspielromanen: Das heißt, die Romane können sich meist nur um Nebenschauplätze drehen, und was darin passiert, darf den generellen flavor der Spielwelt oder auch nur der Region nicht berühren. Dadurch kann man natürlich nicht das nächste Lied von Eis und Feuer schreiben.“
Es gibt aber nicht nur solche „praktischen“ Gründe, die dafür sprechen, bei Shared Universes mitzuwirken. Mindestens ebenso wichtig sind für viele die kreative Herausforderung sowie die Möglichkeit, hier in einem mehr oder weniger festen Team zu arbeiten. Denn so befriedigend es auch ist, an eigenen Ideen zu arbeiten und eigene Welten zu entwickeln – zugleich macht es Spaß, bestehende Settings zu erweitern, mit der eigenen Stimme zu versehen oder mitzuerleben, wie Figuren und Ideen, die man entwickelt hat, von anderen fortgeführt werden. Vielleicht ist dieses kreative Miteinander auch ein Grund, weshalb sich gerade Rollenspielwelten für Shared Universes anbieten – immerhin leben sie schon in ihrer eigenen Logik davon, von einem Team weiterentwickelt zu werden. Manchmal werden Handlungen sogar direkt in Writer’s Rooms im Kollektiv entwickelt.
Autorenkonferenzen, Redakteur*innen und viele PDFs
Damit wären wir auch bei der Frage, wie solche Shared Universes entwickelt werden. Wohlgemerkt: Der Prozess kann sehr unterschiedlich sein und hängt u. a. davon ab, wie stark ein Projekt redaktionell betreut wird und ob es einem strengen inhaltlichen roten Faden folgt oder im Extremfall nur dem Namen nach ein Universum bildet. Im Falle des Cthulhu-Mythos beispielsweise ist ein solcher Wildwuchs entstanden, dass nur noch bedingt von einer gemeinsamen Welt gesprochen werden kann. Stattdessen handelt es sich eher um eine Ansammlung mehrerer Universen, denn während beispielsweise alles rund um das Rollenspiel The Call of Cthulhu urheberrechtlich geschützt und entsprechend lizensiert ist, gibt es zahlreiche davon unabhängige Medien, welche Elemente des „Mythos“ aufgreifen.
Aber reden wir über lizensierte Welten, die nur von einem festen Autor*innenteam bearbeitet werden dürfen: Im Falle von Perry Rhodan ist es laut Website so, dass die übergeordnete Handlung von den Exposéautoren Wim Vandemaan und Christian Montillon entwickelt wird. Die übrigen Schriftstellenden formulieren und schmücken die einzelnen Bände anschließend aus, zudem tragen sie Ideen u. a. in Autorenkonferenzen bei.
Andere Systeme laufen oft etwas lockerer ab – je nachdem wiederum, ob es eine verbindende Handlung gibt oder nur das Setting geteilt wird. Bei den meisten Reihen erhält man Kompendien, die die wichtigsten Informationen bereithalten. Als ich einen Roman zu den PSA-Akten beigesteuert habe, die zum Larry Brent-Universum gehören, habe ich beispielsweise erst einmal einiges an Infomaterial durchgearbeitet. Das daraus entstandene Exposé habe ich vom Verlag absegnen lassen, und für Detailfragen, die im Schreibprozess aufkamen, gab es zusätzlich eine redaktionelle Ansprechpartnerin, quasi ein wandelndes Larry Brent-Lexikon.
Ähnliches erzählt Judith Vogt: „Um in einem größeren Franchise mitzuwirken, sollte man damit halbwegs vertraut sein. Das war bei mir beim Schwarzen Auge definitiv so, weil ich es auch jahrelang gespielt habe. Bei Splittermond war ich eher Einsteigerin und habe mich daher auf eine ganz neu beschriebene Region konzentriert. Das Rollenspiel ist ja auch jünger, das heißt, es gibt etwas weniger Lore und Vokabular, das man pauken muss. Unterstützt wurde ich von Redakteur*innen, die die Ideen mit mir gewälzt, die Exposés mit mir besprochen und mich mit teils noch unveröffentlichtem Material versorgt haben. Da muss ich auch besonders die Splittermond-Redaktion loben, die wusste, dass ich nicht besonders fest im Kanonsattel sitze und sich die Zeit genommen hat, den Roman mit mir auszuarbeiten.“
Dabei klingt schon an: Leichter wird die Absprache, je weniger über ein Shared Universe – oder den jeweils behandelten Teil dessen – bereits bekannt ist. Bei Der Loganische Krieg etwa haben wir als Team zwar auf einige Basisinformationen aus der D9E-Hauptreihe zurückgegriffen, zugleich aber eine völlig neue Umgebung bearbeitet und mussten uns hier „nur“ untereinander besprechen, wobei wir auf ein Trello-Board zurückgegriffen haben.
In offenen Shared Universes liegt der Teufel im Detail: Es gibt hier nicht unbedingt verbindende Figuren und die Beteiligten können unter Umständen sogar ganz unterschiedliche Orte bearbeiten und entsprechend ausschmücken. Wichtig ist aber gerade dann, dass die Atmosphäre stimmig bleibt. „Bei Eis&Dampf bedeutete das vor allen Dingen, dass Amerika nicht ‘entdeckt’, also auch nicht ausgebeutet wurde“, so Judith und Christian Vogt. „Das heißt aber auch, es gibt keinen Tabak in steampunkigen Rauchersalons, es gibt keinen Tomatensaft im Luftschiff und belgische Fritten bestehen aus Steckrüben.“ Claudia Rapp wiederum berichtet zur Zombie Zone Germany: „Mir persönlich ist daran gelegen, den Autor*innen so viel Freiheit wie möglich zu lassen und nur da einzugreifen, wo es der bisher entworfenen und beschriebenen Lage deutlich widerspricht. Das kann auch erst beim Lektorat sein, wenn bei genauem Lesen z.B. auffällt, dass das Wetter zu diesem Zeitpunkt doch in einer anderen Story "zu warm für die Jahreszeit" ist und jetzt auf einmal Raureif auf den Wiesen liegt.“
Man sieht also: Wie konkret an einem Shared Universe gearbeitet wird und wie viele Freiheiten sie den Beteiligten bieten, kann sehr unterschiedlich sein. Grob lässt sich aber sagen, je größer eine Reihe ist, desto mehr Lore hat sie angesammelt, desto mehr gilt es also zu beachten. Und wichtig bleibt am Ende, dass die Lesenden wirklich das Gefühl haben, immer wieder ins selbe Universum zurückzukehren – selbst wenn sie dabei nicht jedes Mal denselben Held*innen begegnen.