Judith Madera, 16.07.2021
Die Gentechnologie verspricht der Menschheit ungeahnte Möglichkeiten: Sie soll Krankheiten heilen oder gar nicht erst entstehen lassen. Wir können unsere geliebten Haustiere klonen und die Augenfarben unserer Kinder aussuchen. Wie weit werden wir gehen? Werden wir jeden denkbaren Makel ausradieren und eine gleichförmige, vermeintliche perfekte Gesellschaft schaffen? Wer wird Zugang zu dieser neuen Technologie haben? Und wie entscheiden wir, welches Leben lebenswert ist?
Im ersten Teil unserer Gentechnik-Reihe „Was in der Science Fiction mit Gentechnik möglich ist“ haben wir uns bereits mit der Schaffung von Monstern und Leuchttieren beschäftigt, einen Blick auf bedeutende Klassiker geworfen und vom ewigen Leben geträumt. Auch eines der beliebtesten Bio-Themen in der SF, das Klonen, haben wir uns hinsichtlich der Chancen angeschaut, die daraus entstehen. Im zweiten Teil widmen wir uns nun den Schattenseiten dieser Technologie und wollen aufzeigen, was uns die SF über den Umgang mit Gentechnik lehrt. Dabei streifen wir Bereiche, die heute schon (teilweise) Realität sind.
Lange vor der Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas, mit der sich gezielt einzelne Gene verändern lassen, haben SF-Autor*innen sich Gedanken über die Missbrauch einer solchen Technologie sowie die aus ihr resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen gemacht. Oftmals haben sie Schreckensszenarien ersonnen, die uns ethische Dilemmata aufzeigen, inklusive Diskriminierung und geistiger Verarmung. Wir beginnen zunächst mit der Ausbeutung von menschlichen Klonen, schauen uns an, was Biohacker alles anstellen können, und widmen uns schließlich dem Optimierungswahn unserer Spezies.
Klone als Ersatzteillager
1992, vier Jahre bevor Klonschaf Dolly das Licht der Welt erblickte, beschäftigt sich die deutsche Autorin Birgit Rabisch mit dem Missbrauch der Klontechnologie. In ihrem Roman Duplik Jonas 7 beschreibt sie eine dystopische Zukunft, in der Klone als Ersatzteillager gezüchtet werden. Jonas 7 ist ein solcher Duplik, der genetische Zwilling eines Menschen, und weiß zunächst nichts von seinem Schicksal. Er lebt in einem Hort, muss sich gesund ernähren und viel Sport treiben. Wenn „ihr Mensch“ schließlich Ersatzteile benötigt, heißt es für die Dupliks, sie seien vom „Fraß“ befallen, weswegen man ihnen Organe entnehmen müsse. Jonas 7 muss schließlich seine Augen hergeben. Ilka, die Schwester „seines Menschen“, lehnt sich als Lebensschützerin gegen dieses unmenschliche System auf, will alles an die Öffentlichkeit bringen und Jonas 7 befreien.
Dreizehn Jahre später schreibt Kazuo Ishiguro in Alles, was wir geben mussten(Never Let Me Go, 2005) über ein Internat, in dem Klone leben – ebenfalls als Ersatzteillager. Bis zu ihrem Tod sollen sie ihre Organe an Auftraggeber spenden, sie werden quasi ausverkauft und können dies nur hinauszögern, indem sie selbst zu Betreuern von Spendern werden. (Fun Fact: Birgit Rabischs Duplik Jonas 7 wurde von den großen SF-Verlagen als „abstruse Phantasie“ abgelehnt und erschien daher, obwohl für Erwachsene konzipiert, als Jugendbuch und wurde zur Schullektüre.) 2017 erhält Kazuo Ishiguro den Literaturnobelpreis, und Andreas Platthaus (FAZ) sagt im Deutschlandfunk über Alles, was wir geben mussten: „Das war gerade 2005, als das Buch erschien und als wir mit dem Klonen natürlich noch nicht so weit waren wie heute, eine erstaunliche Zukunftsvision.“ 2005 war das Klonen in der SF schon ein alter Hut.
2020 schreibt auch Christian Handel in Becoming Elektra – Sie bestimmen, wer du bist über Klone als Ersatzteillager, beschäftigt sich aber weniger mit den ethischen und philosophischen Fragen, sondern mehr mit dem persönlichen Schicksal des Klons Isabel, die den Platz der berühmten Elektra Hamilton einnehmen soll und in die Intrigenspiele der Schönen und Reichen verwickelt wird.