Fantasy

Alles, was du über Dark Academia wissen musst

Alles, was du über Dark Academia wissen musst
© unsplash/Jez Timms
Alessandra Reß, 27.07.2022
 

Altehrwürdige Bibliotheken, düstere Geheimnisse und die Freude am Lernen: Das ist die Welt der Dark Academia. Wenngleich vor allem als Ästhetik über Pinterest, TikTok und Co. etabliert, liegen ihre Wurzeln in der Literatur – und auch hier lebt Dark Academia weiter fort. Alessandra Reß stellt uns dieses Genre vor.

Obwohl sich die Geschichten der phantastischen Literatur in erster Linie in unserem Kopf abbilden, ist die Phantastik seit jeher ein Genre, das stark von visuellen Bildmedien geprägt ist. Bis heute beeinflusst die Ästhetik von Frank Frazetta unsere Wahrnehmung der Sword & Sorcery, und es gibt wohl kaum jemanden, der mit Cyberpunk nicht die Straßenschluchten von Ridley Scotts „Blade Runner“ assoziiert! Ob Buchcover, Filme oder auch die Gemälde beispielsweise der Schwarzen Romantik – visuelle Medien geben den Bildern aus unseren Köpfen Gestalt, vermögen sie manchmal sogar anzuleiten.

Insofern ist es nur eine logische Folge, wenn heute soziale Medien wie Instagram, TikTok oder Pinterest, die von unserer Neigung zum Visuellen profitieren, in der Lage sind, Ästhetiken zu entwickeln, die weit über Social Media hinaus wirken. Beispiele dafür gibt es vor allem aus den letzten beiden Jahrzehnten Dutzende: Rainbowcore, Cottagecore, Coffinwood – oder Dark Academia.

Bücher, Briefe und Barock

Wie so viele ihrer Verwandten hat auch die Dark Academia in ihrem jetzigen Verständnis ihren Ursprung auf Tumblr genommen. 2015 gründete sich hier eine Community zu Donna Tartts „Die geheime Geschichte“ von 1992 (dt. 1993). Der Roman erzählt von einer Gruppe College-Studierender, deren Freundschaft durch einen gemeinschaftlich begangenen Mord nach und nach auf tragische Weise auseinanderbricht. Die vor dem College-Hintergrund spielende Handlung ist düster, melancholisch und voller inhaltlicher wie struktureller Anspielungen auf klassische Werke. Womit sich der Begriff „Dark Academia“ erklärt.

Von Tumblr ausgehend, hat er sich  über weitere soziale Medien hinweg verbreitet und dabei jene eigene Ästhetik kreiert, die auch Leute außerhalb der Literaturszenen erreicht. Gibt man den Begriff bei Pinterest ein, erscheinen mit der Feder geschriebene Briefe und Manuskripte, Museen mit klassischen Gemälden im Goldrahmen, Bibliotheken mit ledergebundenen Büchern und Globen, Architektur der europäischen Renaissance oder des Barock, verfallene Gebäude, Klaviere und Atlanten, dazu Menschen in einem Preppy Look mit erdigen, gedeckten Farben. Überhaupt ist alles sehr gedeckt, über allen Bildern scheint eine dunkle Patina zu liegen.

Kleine Geheimnisse und viele Zitate

Viele der Bilder scheinen kleine Geheimnisse zu bergen. Sind das Tränen, die die Schrift verwischen? Ist da ein halb verwaschener Blutfleck auf der Tastatur? Welche Geschichten bergen die Bücher, welche Gegenstände sind im Regal verborgen?

Geheimnisse sind die Essenz der Dark Academia. Ihre Handlungen spielen normalerweise in Lernkontexten – an Schulen, (Elite-)Universitäten, dem College. Und häufig gibt es eine Außenseiter-Figur, die von außen in das Geschehen eindringt, und zunächst fasziniert ist von der Welt des hingebungsvollen Lernens in Gemeinschaft. Bis ihr die Ungereimtheiten auffallen, die ungelösten Rätsel, die dunklen Schatten, welche Cliquen und Geheimbünde umgeben. Dabei ist Dark Academia normalerweise keine Kriminalliteratur, auch wenn Mord und andere Todesfälle keine Seltenheit darstellen. Grundsätzlich können die Geheimnisse, die es im Verlaufe der Handlung aufzudecken gilt, ganz unterschiedlicher Natur sein.

Darüber hinaus haben Werke, die der Dark Academia zugerechnet werden, oft einen Fokus auf geisteswissenschaftliche oder künstlerische Inhalte. Gerne wird hier mal mehr, mal weniger auffällig aus Werken der Weltliteratur zitiert, oder eine Handlung orientiert sich vage an einer klassischen Sage, greift Motive aus einem Gemälde auf usw. Sowohl als Ästhetik als auch als Subgenre richtet sich Dark Academia an ein Publikum, das solche Anspielungen möglichst ohne viele Erklärungen versteht.

Mehr als romantisierende Nostalgie

Solange die genannten Inhalte auftauchen, lässt sich der Dark-Academia-Begriff auf ein breites Spektrum anwenden. Und so finden sich unter den entsprechend fokussierten Film- und Literaturlisten ganz unterschiedliche Werke, welche von „Der Club der toten Dichter“ und M. L. Rios „Das verborgene Spiel“ bis hin zu Naomi Noviks „Scholomance“ reichen.

Schaut man sich die typischen Elemente an, fällt aber auf, dass die Gefahr groß ist, hier u. a. in Klassismus, beschönigend-biedere Nostalgie oder Eurozentrismus zu verfallen. Doch Künstler*innen und Publikum sind sich dessen bewusst. Während Dark Academia einerseits die Sehnsucht nach dem Elfenbeinturm feiert, negiert sie doch nicht dessen Probleme, sondern hat den Anspruch, sie zu thematisieren. Insbesondere gilt das für jüngere Titel wie Faridah Àbíké-Íyímídés „Ace of Spades“, die Serie „Dear White People“, Leigh Bardugos „Das neunte Haus“ oder Rebecca F. Kuangs für Sommer 2022 angekündigten Roman „Babel“.

Phantastische Verbindungen

Doch wie viel hat das alles mit Fantasy oder Science Fiction zu tun? Ebenso wie Grimdark oder Hopepunk ist auch die Dark Academia genreübergreifend – Phantastik muss also nicht enthalten sein, kann aber durchaus. Besonders nahe liegt dabei die Verbindung zur Mystery, in der nie ganz klar wird, was nun real oder natürlich und was Einbildung oder übernatürlich ist. Aber auch astreine Fantasy verbindet sich gerne mit Dark Academia; durch die melancholische Atmosphäre und die Thematisierung von Tod und Vergänglichkeit besteht dabei eine enge Verwandtschaft zur Dark Fantasy. Mit ihr teilt sich die Dark Academia auch die Liebe zur (Schauer-)Romantik. Je nach Setting und Ausrichtung können aber ebenso Überschneidungen z. B. zum Steampunk oder zur Romantasy bestehen. Mit Letzterer teilt sich Dark Academia auch den auffällig hohen Anteil an weiblich gelesenen Autor*innen.

Typische Dark-Academia-Titel mit phantastischem Einschlag sind beispielsweise Tracy Deonns „LegendBorn“, Victoria Lees „A Lesson in Vengeance“, Laura Pohls Mystery-Märchen „Grimrose Girls“, Maggie Stiefvaters „Raven Boys“, Stella Tacks „Night of Crowns“ oder Olivie Blakes „The Atlas Six“. Blakes Roman, der zunächst im Selfpublishing erschien, dann über TikTok einen Hype erfuhr und schließlich bei TOR neuveröffentlicht wurde, ist dabei ein typisches Beispiel dafür, wie Dark Academia auch außerhalb der reinen Ästhetik über Social Media verbreitet wird.

Mal licht, mal grün: Lebendige Academia

Social Media sorgt weiterhin dafür, dass der Trend am Leben erhalten wird. Im deutschsprachigen Raum kommt er gerade so richtig an, verbindet sich in Titeln wie Sarah Sprinz’ „Dunbridge Academy“ dabei auch mit New Adult und College-Romances. Und international fächert sich Dark Academia weiter auf. Schon seit Längerem bekannt ist die freundlichere Light Academia. Das Aesthetics Wiki listet zudem zahlreiche weitere Abkömmlinge wie Green oder Neon Academia auf, die zwar noch keinen großen Einfluss aufs Literaturgeschehen genommen haben – aber was nicht ist, kann ja bald werden. Genug Inspiration bieten die entsprechenden Bildmedien allemal.

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/