Science Fiction

Sie leben. Über Ideologiekritik und Verschwörungstheorien in der Science Fiction

Ideologiekritik und Verschwörungstheorien in der Science Fiction
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Heike Behnke, 04.08.2020

Es ist der Film mit den Sonnenbrillen und den unmöglichen 80er-Jahre-Frisuren: John Carpenters They Live ist als kurzweilige Science-Fiction-Action das Gegenteil von vergeistigtem Anspruchskino. Dennoch ist die Message des Films so ambivalent, dass er gleichzeitig zum Paradebeispiel für Ideologiekritik und für Verschwörungstheorien im Kino wurde.

Science-Fiction war schon immer politisch und wird sich in den letzten Jahren ihrer Wirkmächtigkeit als Kulturtechnik wieder stärker bewusst. Dazu gehört neben dem stetigen Neuerzählen von gelingendem und scheiterndem sozialen Miteinander auch das Einordnen und Neubewerten alter Klassiker der Literatur- und Filmgeschichte. Denn Aussagen und Lesarten sind wie alles andere dem Wandel der Zeit unterworfen und je mehr Anknüpfungspunkte ein Werk bietet, desto eher lässt es sich für unterschiedliche Weltanschauungen fruchtbar machen.

Ein markantes Beispiel dafür ist John Carpenters Kultfilm They Live (1988). Von linken wie rechten Fans jeweils für sich beansprucht, zeitweise von rechten Verschwörungstheoretikern gelobt und deswegen unter Antisemitismusverdacht gestellt, ist die Rezeption deutlich heterogener als man von einer Actionsatire über eine Alieninvasion erwarten würde. Wie kommt es zu so verschiedenen Auslegungen und was ist ihre jeweilige Basis?

Von Eight O’Clock in the Morning zu Nada: Die Vorlagen

They Live basiert auf der Kurzgeschichte Eight O’Clock in the Morning – auf Deutsch Punkt acht Uhr morgens – des New-Wave-Vorreiters Ray Nelson, die 1963 im Magazine of Fantasy & Science-Fiction erschien. Darin erwacht Protagonist George Nada nach einer kollektiven Hypnosesession versehentlich, und muss entdecken, dass die Welt von Echsenmenschen übernommen wurde, die sich unters hypnotisierte Volk mischen.

Wenn Eight O’Clock heute als Ray Nelsons bekanntestes Werk gilt, so ist das vor allem der Verfilmung zu verdanken. Ray Nelson bleibt aus verschiedenen Gründen unter dem Radar einer Golden-Age-Science-Fiction zwischen Fortschrittsoptimismus und Post-War-Era. Die Gesellschaftskritik von Eight O’Clock zielt zwar auf die Omnipräsenz von Fernsehern und anderen Mediengeräten – möglicherweise inspiriert von dem Kontrast zu Europa, Nelson hatte zuvor länger in Paris gelebt – geht aber an den Sorgen und Nöten ihrer Zeit vorbei. Der Nerv, den die Geschichte treffen könnte, liegt zu diesem Zeitpunkt noch nicht offen.

1986 adaptiert Nelson die Geschichte unter dem Titel Nada als Comic in der Anthologie Alien Encounters, gezeichnet und coloriert von Bill Wray. Der Plot bleibt ähnlich rudimentär, der Gore, wenn Nada vieläugige Aliens meuchelt, und die Gewalt, wenn Nada in einer sehr schlecht gealterten Szene seine noch immer hypnotisierte Freundin schlägt, bleiben nicht mehr der Phantasie überlassen, sondern lassen Nada mit Noire-Charme und grünen Blutkaskaden zum Actionhelden avancieren. Alles spricht dafür, dass dies der Moment ist, in dem Kultregisseur John Carpenter auf die Vorlage aufmerksam wird und beschließt, sie zu verfilmen – zumal der Film den Comic in seiner letzten Szene direkt zitiert.

Slums und Sonnenbrillen: Die Verfilmung

Carpenter arbeitet die nur wenige Seiten lange Vorlage aus. Er erkennt, dass die sehr allgemein gehaltene Struktur der Geschichte – Eight O’Clock und Nada spielen in einer namenlosen Stadt – sich auf die spezifische Lebensrealität der Reagan-Ära übertragen lässt. Indem Carpenter They Live an der Westcoast spielen lässt, wird aus einer Geschichte über Massenhypnose ein Film über die sozialen Verhältnisse in den USA.

Dazu gehört auch die Neusituierung des Protagonisten: Anders als George Nada ist John Nada, gespielt vom kanadischen Wrestler Roddy Piper, kein Jedermann mit kleiner Wohnung, Fernseher und fester Freundin, sondern ein Arbeiter, neu in der Stadt, mit großem Rucksack und seinen eigenen Werkzeugen, auf der Suche nach einem Job und einer unbestimmten Zukunft. Betont optimistisch glaubt er an Amerika und hält sich an die Regeln – selbst wenn diese einen sinnlosen Besuch beim Arbeitsamt vorschreiben. Dass Carpenter die erste halbe Stunde des Films darauf verwendet, Nada und sein Verhältnis zu den verarmten Arbeitern in den Slums von LA darzustellen, verschiebt den Fokus und macht die US-amerikanische Working Class zum zentralen Motiv.

Die zweite große Änderung sind natürlich die ikonischen Sonnenbrillen: In Nelsons Kurzgeschichte wird die Menschheit hypnotisiert und es bleibt völlig unklar, was den Protagonisten erwachsen lässt. In They Live hingegen kommt Nada einer bereits aktiven Widerstandsbewegung auf die Spur und gelangt in den Besitz einer Kiste Spezial-Sonnenbrillen, durch welche die Invasoren und ihre omnipräsenten Befehle sichtbar werden.

Neoliberalism From Outer Space

Die Konsum- und Medienkritik, die das Fundament des Films bildet, ist offensichtlich: Wenn John Nada die Sonnenbrille aufsetzt, sieht er die eigentliche Bedeutung von Werbeplakaten, von Produktbeschreibungen, von Zeitungsartikeln und TV-Nachrichten: „Gehorche!“ „Heirate und vermehre Dich.“ Auf den Geldscheinen prangt der Satz „This is your God“ – „Dies ist euer Gott“. Man muss den Philosophen Marshall McLuhan nicht gelesen haben, um zu wissen, dass sein Satz „The medium is the message“ – „das Medium ist die Botschaft“ – die Gesetze der modernen Medienlandschaft auf den Punkt bringt. Was wir auf einem Plakat vermittelt bekommen und wie wir es vermittelt bekommen, ist untrennbar verknüpft. Die Waschmittelwerbung mag mir sagen „Das hier ist richtig gutes Waschmittel“, aber was sie meint, ist „Kauft es! Konsumiert!“ und mit ihrer glücklichen Kernfamilie auf ewig weiten, grünen Wiesen fordert sie zugleich unterschwellig tatsächlich: „Heirate und vermehre Dich!“

Nichts davon ist – oder war in den 80er Jahren – ein Geheimnis. Wir wissen genau, wie Werbung funktioniert, können uns dem Effekt aber nicht entziehen. Vielleicht ist das der Grund, aus dem man immer eine gewisse Befriedigung empfindet, wenn John Nada seine Sonnenbrille aufsetzt und uns die versteckten Botschaften endlich in aller Deutlichkeit vor Augen treten. Der Film ist keine subtile Kritik, sondern rotziger Protest gegen ein neoliberales System der freien Marktwirtschaft: Die Aliens, so stellt sich im weiteren Verlauf des Films heraus, sind keine aggressiven Invasoren im Stil von War of the Worlds oder Independence Day, sondern ein „free enterprise“, ein Wirtschaftsunternehmen, das die Erde gentrifiziert.

Die Mainstream-Reaktionen auf They Live waren allerdings durchwachsen: Gewiss, Carpenters Qualität als Filmemacher war nicht zu übersehen, dennoch empfanden Kritiker die „Pop Orwell“-Prämisse als zu plump. In die Filmgeschichte ging er mit einer Actionszene, einem Oneliner und den ikonischen Sonnenbrillen ein, nicht wegen seiner einzigartigen politischen Message.

Umkämpftes Meisterwerk linker Filmkunst

Wie die meisten kapitalismuskritischen Filme hat They Live seine Aktualität nie eingebüßt. 2012 erfuhr der Film gewissermaßen eine linksintellektuelle Adelung, als der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek sich zu Beginn der Dokumentation The Perverts Guide to Ideology auf ihn bezieht. Ihm werden die berühmten Sonnenbrillen zum Sinnbild für Ideologiekritik schlechthin: Erst, wer die Brillen aufsetzt, kann die unterschwelligen Botschaften der Propaganda um sich herum erkennen und die vermeintliche Freiheit als eine andere Art der Gefangenschaft erkennen. Die vorher so neutral wirkende Welt erscheint auf einmal ideologisch aufgeladen. Sowohl Žižek als auch in jüngster Zeit der deutsche Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt loben daher They Live als oft übersehenes Meisterwerk der linken Filmkunst in Hollywood.

Doch zugleich finden sich in einschlägigen Ecken des Internets bereits seit 2008 Fans, die aus They Live nicht nur „The best pro-white movie ever“ machen möchten, sondern in der verborgenen Elite, die heimlich das Weltgeschehen kontrolliert, einen Verweis auf eine jüdische Weltverschwörung sehen. 2017 nahm diese antisemitische Lesart so sehr an Fahrt auf, dass Carpenter selbst sich auf Twitter zu Wort melden musste und klarstellte: „They Live is about yuppies and unrestrained capitalism. It has nothing to do with Jewish control of the world, which is slander and a lie.“

Der Zeitpunkt, zu dem Carpenter sich zu dieser Klarstellung gezwungen sieht, ist kein Zufall. Ein Jahr zuvor hatte Donald Trump die US-Amerikanische Working Class für seinen Wahlkampf instrumentalisiert, denen er den Kampf gegen eine bürokratische Elite in Washington D.C. versprach. Diese Selbstinszenierung des Milliardärs als heimatverbundener Kandidat für die Massen korrespondiert gewissermaßen mit dem Grundkonflikt von They Live: Bodenständige Arbeiter gegen affektierte, manipulative und käufliche Geldfuzzis, die sich irgendwann eingeschlichen haben. So erhält die Rezeption gewissermaßen einen konservativen Einschlag. Vor dem Hintergrund einer angepriesenen Trickle-Down-Ökonomie unter Ronald Reagan war They Live für die Zuschauer ganz unzweideutig ein linker Film. Mit der gezielten politischen Umdeutung des zentralen Motivs der Arbeiterklasse verschiebt sich gegenwärtig auch die Wahrnehmung des Films.

Die falsche Freiheit des Erwachten

Das allein erklärt jedoch noch nicht, was den Film so attraktiv für eine explizit verschwörungstheoretische Auslegung macht, deren Antisemitismus von Carpenter zweifellos nicht beabsichtigt war. Was hier greift, ist ausgerechnet die Struktur, die They Live zugleich als Film über Ideologiekritik so fruchtbar macht und allgemein dafür sorgt, dass die logische Grundstruktur von Ideologiekritik und Verschwörungstheorie von außen betrachtet manchmal extrem ähnlich aussieht: Es ist der Moment des Erwachens, der Moment, in dem der Held oder die Heldin die Wahrheit über die Welt erkennt.

In diesem Moment liegt ein ultimativer Freiheitsgewinn, der den Charakter einer Ausbruchsphantasie annehmen kann. Bürokratische Strukturen werden als Teil einer uneigentlichen, falschen Welt entlarvt. Ob man gesellschaftlich Erfolg hat oder nicht spielt keine Rolle mehr, denn die gesellschaftlichen Strukturen bilden keine Realität ab. So endet John Nadas Versuch, sich eine Existenz aufzubauen, in dem Moment, in dem er die Wahrheit erkennt. Erwachen heißt hier, auszusteigen. Es ermöglicht dem Helden, mit allen gängigen Regeln zu brechen, etwa ohne Konsequenzen vorgebliche Menschen zu töten, die es als Aliens entlarvt hat, und dabei zum monumentalen Actionhelden aufzusteigen.

Doch diese vermeintliche Freiheit ist in Wahrheit überhaupt keine, denn die Tatsächlichkeit, die Eigentlichkeit, die Weltwahrnehmung ohne jegliche ideologische Einfärbung gibt es nicht. Hier liegt der Unterschied zwischen Ideologiekritik und Verschwörungstheorie: sie messen dem Moment des Aufwachens ganz unterschiedliche Bedeutungen bei. Wo der erwachte Verschwörungstheoretiker meint, die Wirklichkeit gefunden zu haben und seine Welt nun endlich einen Sinn ergibt, bedeutet Ideologiekritik ein Erwachen in einer vielschichtigen Realität, die noch viel komplexer ist als gedacht und wenig mit jener wirklichen und eindeutigen Welt zu tun hat, die man vielleicht zu entdecken hoffte. They Live versucht, dieser Tatsache Rechnung zu tragen: Um die Wahrheit zu sehen, muss John Nada nichts ablegen, das seinen Blick verschleiert, sondern etwas aufsetzen. Erst durch das Hilfsmittel der Brille – übertragen gedacht der kritischen Theorie im weitesten Sinne – wird die Wirklichkeit sichtbar.

Natürlich kann John Carpenter die Tatsache, dass die Sonnenbrillen wirken wie ein cooles Gimmick nicht wirklich umgehen, immerhin ist They Live eine Actionsatire. Dennoch wird immer wieder deutlich, dass es für die Figuren kein Spaß ist, die Brillen zu tragen. Sie bereiten Kopfschmerzen und werden nach einer anfänglichen Phase der Faszination schnell zur Last. Nadas Freund Frank Armitage – das spricht auch Žižek an – wehrt sich gar so sehr, sie aufzusetzen, dass es zur Schlägerei kommt. Die Wahrheit über die Welt zu erkennen, ist schmerzhaft – und wird im Übrigen auch nicht belohnt. Sowohl Nada als auch Armitage müsse ihr Leben opfern, um die Aliens zu enttarnen.

Diesseits des Systems

Letztendlich ist es aber der Fokus auf die Arbeiterklasse, der They Live davor bewahrt, tatsächlich zu dem schwarz-weißen Kippbild zu werden, das Verschwörungstheoretiker darin sehen wollen. Denn funktionale Zwischenmenschlichkeit zeigt der Film nicht nach, sondern gerade vor Nadas Moment des Erwachens. Die einfachen Menschen führen kein geheimes Leben in einer ländlichen Idylle fernab der Invasoren, was einer konservativen Phantasie von der unverfälschten Wirklichkeit entspräche. Sie leben und wirken trotz der Invasoren, gewissermaßen direkt vor ihrer Nase. Dazu passend ist Nadas Augenblick größter Autonomie und Wirksamkeit, also größter Freiheit, gerade nicht, wenn er „all out of bubblegum“ ist oder den Aliens den Stinkefinger zeigt, sondern in der ersten halben Stunde des Films. Nachdem es beim Jobcenter keine Arbeit für ihn gab und er auf der Baustelle nur fremdbestimmt arbeiten durfte, wird er in den ärmlichen Behausungen der Arbeiter zum ersten Mal in seiner vollen Wirksamkeit anerkannt, wenn man ihn mit seinem eigenen mitgebrachten Werkzeug arbeiten lässt. Hier beginnt auch der Widerstand. Nicht jenseits des Systems, sondern mittendrin.

 


Über die Autorin

Heike Lindhold, geboren 1989 in Meerbusch, wuchs in Düsseldorf auf und studierte Philosophie, Anglistik und Gegenwartsliteratur. Heute lebt sie in Norddeutschland und forscht im Bereich der philosophischen Anthropologie. Neben ihrer Lehrtätigkeit bespricht sie Romane, Filme und Comics und schreibt unter anderem seit 2017 als Romanredakteurin für das Onlinemagazin „Teilzeithelden“. Dabei interessiert sie besonders das Verhältnis zwischen Phantastik und aktuellem Zeitgeschehen. Seit 2018 sitzt sie in der Jury der Phantastik-Bestenliste.