Science Fiction

Science-Fiction-Literatur aus Südkorea - Ein unvollständiger Überblick

Collage aus den Covern der im Buch erwähnten südkoreanischen Science-Fiction-Bücher

Sylvana Freyberg, 20.06.2024

Popkultur aus Südkorea boomt. Ob K-Pop wie BTS, Filme wie Parasite oder Serien wie Squid Games, doch wie sieht es mit der Science-Fiction-Literatur aus? Sylvana Freyberg, die selbst eine Anthologie mit südkoreanischen SF-Geschichten herausgegeben hat, klärt uns auf.

Science Fiction in Südkorea

Was wissen wir über dieses „Land der Morgenstille“? Es ist alt, es ist geteilt – im Norden eine verschlossene Diktatur und im Süden eine Gesellschaft voller Gegensätze – und mehr und mehr Menschen auf der Welt schauen sich K-Dramen an und hören K-Pop. Aber was ist mit Science-Fiction-Geschichten? Das erste Mal taucht Science Fiction (SF) in Korea im Jahr 1907 auf, als „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Vernes als erste SF-Geschichte ins Koreanische übersetzt wurde. Allerdings wurde das Genre SF danach in Südkorea nicht sehr populär.

In einem koreanischen Artikel finden sich noch ein paar mehr Informationen. Danach beginnt die Geschichte der koreanischen SF in den 1960er Jahren. Moon Yun-sungs „Die perfekte Gesellschaft“ war der erste Science-Fiction-Roman, der die Genres SF und Mystery nutzte, um dem Leser die Absurdität der Realität aufzuzeigen. Ein Mann wird in einer Zeitkapsel in die Zukunft geschickt. Nach 161 Jahren Schlaf wacht er im 22. Jahrhundert auf einer Erde auf, wo es nur Frauen gibt. Diese von Moon dargestellte Zukunftswelt wird für ihre Detailstreue und Tiefe gelobt, und das nicht nur in Bezug auf die wissenschaftliche und technologische, sondern auch in Bezug auf die menschliche und soziale Vorstellungskraft.

In dem Artikel erfahren wir auch etwas über einen koreanischen SF-Preis, den „Moon Yoon-sung SF Literature Award“, 2020 ins Leben gerufen, um den Pionier der koreanischen SF zu ehren. In insgesamt fünf Kategorien können bis Oktober eines Jahres Beiträge eingereicht werden, und die Gewinner werden im Januar des Folgejahres bekannt gegeben und ausgezeichnet. Das hört sich doch ganz ähnlich wie der Deutsche Science-Fiction-Preis an (DSFP).

Nach Moon gab es bis auf wenige Ausnahmen eine lange Pause in der südkoreanischen SF-Literaturszene. Bis Ende der 1990er galt SF dort als Genre für Kinder, die größtenteils übersetzte Bücher westlicher Autoren lasen. Mit dem Aufkommen des PCs gründeten sich jedoch erste SF-Fanclubs, deren Mitglieder ihre eigenen Geschichten über Webzines, Webtoons, Webnovels oder in Foren teilten. Es gibt allerdings bis heute nicht viele südkoreanische Autoren, die SF schreiben, wobei auffällt, dass die Mehrheit der erfolgreichen Autoren weiblich ist. In den frühen 2000er Jahren schrieben unter anderen Kim Bo-young und Bae Myung-hoon SF- und Fantasy-Geschichten und wurden berühmt, nach 2010 sind Kim Cho-yup, Cheon Sun-ran und Kim Na-wool bekannt und beliebt geworden.

Jedoch wurde die SF in Südkorea erst 2010 wieder populär und erlebte 2019 mit Kim Cho-yeops „Wenn wir uns nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegen können“ einen wahren Boom. Die Geschichten in dieser Anthologie beschäftigen sich mit dem Universum, der Tiefsee, Utopie und Dystopie. Leider gibt es sie weder auf Deutsch, noch auf Englisch.

Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie wurde die südkoreanische Variante des Genres dann auch international beliebt und löste einen Trend aus, der sich immer mehr in Dramen, Filmen und der Musik widerspiegelt.

 

Südkoreanische Science Fiction in Deutschland

Wie sieht es nun in Deutschland aus? Das Interesse an K-Dramen und K-Pop wächst jedes Jahr auch in Deutschland. Davon müsste die K-Literatur doch auch profitieren. Das tut sie zwar, aber nur sehr eingeschränkt.

Ich kann natürlich in einem kurzen Artikel nicht alle Bücher (SF und Nicht-SF) erwähnen, und kenne auch nicht alle. Das Literature Translation Institute of Korea (LTI) pflegt aber eine Datenbank mit (vermutlich) allen Übersetzungen.

„Dank des Einflusses von Siegen oder Nominierungen für globale Literaturpreise haben die Leser in Übersee [und Europa] ein stärkeres Interesse an koreanischer Literatur gezeigt“, so das koreanische LTI. Unter den Werken, die in den letzten drei Jahren mit seiner Unterstützung veröffentlicht wurden, verzeichneten Graphic Novels, geistes- und sozialwissenschaftliche Werke sowie Essay-Sammlungen ein starkes jährliches Wachstum von durchschnittlich 15 %.

Tatsächlich gibt es mittlerweile vereinzelt deutschsprachige Bücher südkoreanischer Autoren in unseren Buchläden. Einige Romane wie „Kim Jiyoung, Geboren 1982“ von Cho Nam-Joo haben sogar Weltbestseller-Status. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wird, und so ihre Träume nicht verwirklichen konnte. Ein Thema, mit dem sich viele Frauen identifizieren können.

Das Angebot von Webtoons, d.h. südkoreanische Webcomics oder Manhwa, die online veröffentlicht werden, sind sicherlich für jüngere Generationen eine interessante Lesequelle. Die populärsten Webseiten sind WEBTOON und DELITOON Längere Texte mit Fantasy-Geschichten, in die man eintauchen kann, die einen etwas Fantastisches erleben lassen und nebenbei das Kennenlernen einer anderen Kultur ermöglichen, gibt es noch zu wenig. Im Folgenden einige Beispiele:

Koreanische Science-Fiction fokussiert stark auf den Menschen an sich. So auch in „Tausend Arten von Blau“ von Cheon Seon-ran (2023). Die Handlung erzählt von den Auswirkungen neuer Technologie und des Kapitalismus auf das Menschsein. Von Hoffnung, und der wahren Bedeutung von Glück in einer hochtechnisierten Welt. Sowie der drohenden Gefahr, abgehängt und ein Außenseiter zu werden. „Knochensuppe“ ist der erste Roman von Kim Young-tak (2023). Der Leser sieht sich konfrontiert mit einer mysteriösen Leiche, einem Auftragskiller und einem ominösen Apartment. Ein sehr rasanter und spaßiger Genremix, der ohne Zeitreisen, Laser und Gehirnchips vermutlich als Thriller gelten würde. Gehirnchips kommen in „Fauster“ von Kim Ho-yeon auch zum Einsatz. Der Roman ist, wie der Titel vermuten lässt, angelehnt an Goethes Faust.

Ob meine Sammlung südkoreanischer Geschichten in die Reihe erwähnenswerter Übersetzungen aufgenommen werden kann, wird sich zeigen: Mit der Anthologie „Die Sterne leuchten am Erdenhimmel“ wollte ich ebenfalls dazu beitragen, südkoreanische SF-Autoren auch bei uns bekannter zu machen. Aber dazu später mehr. Der englische Markt hat da schon mehr zu bieten. Die Anthologie „Readymade Bodhisattwa: The Kaya Anthology of South Korean Science Fiction” (2019) zeigt dem Leser eine Auswahl an fantastischen Geschichten und war meine Inspirationsquelle. Aus dieser Anthologie gefiel mir am besten die Geschichte von Kim Bo-young „Between Zero And One“, auch „The Bloody Battle of Broccoli Plain“ von Djuna ist mir positiv aufgefallen. Von Kim Bo-young gibt es übrigens noch mehr englischsprachige Publikationen. Leider wurde die erwähnte Anthologie nicht ins Deutsche übersetzt. Eine weitere Autorin, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Geschichten auffällt, die zum Teil sogar auf Deutsch herausgebracht wurden, ist Bora Chung und ihr „Der Fluch des Hasen“ (2023). Diese Geschichten sind zum Teil sehr fremdartig, hier verschwimmt die Grenze zwischen gewohntem und bizarrem. Die Geschichten sind anders und das ist es ja, was wir wollen, wenn wir Bücher lesen. Wir wollen neues entdecken und neues erleben.

Gerade andere Kulturen sind hierfür eine gute Quelle, wenn man das Gefühl hat, schon alles gelesen, alle Geschichten gehört zu haben. Vor ein paar Jahren fing es mit der Afrikanischen Science Fiction an und nun richtet sich der Blick unter anderem nach Südkorea.

Wie bei jeder Übersetzung müssen sich allerdings die Kosten tragen. Übersetzer sind rar, und auch sie müssen für ihre mühevolle Arbeit entlohnt werden. GoogleTranslate, DeepL oder Papago übersetzen aus dem Koreanischen nur bedingt gut. Hier ist noch viel Feinarbeit gefragt. Zusätzlich wollen die südkoreanischen Autoren auch für ihre Kreativität bezahlt werden. Anders als in Deutschland oder zum Beispiel England ist ein direkter Kontakt von den Autoren anscheinend nicht gewünscht. Jedenfalls erging es mir so bei meiner Suche nach tollen Geschichten für die deutschsprachigen Leser. Jegliche Diskussion lief über eine Agentur, die natürlich mehr in Zahlen denkt und verhandelt und sich nicht unbedingt von der Begeisterung anstecken lässt, ein solches Kleinprojekt zu verwirklichen. Hier geht es ums Geld. Und auch Argumente, dass in Deutschland nicht so extrem viel Science Fiction gelesen wird, zählen nicht. Auf der einen Seite verständlich, andererseits …

Eine südkoreanische SF-Anthologie – Warum?

Gerade SF-Lesende wollen immer ein neues Abenteuer in der Sicherheit des Lesesessels erleben. Sagt man jedenfalls. Es darf gern wild und groß und angsteinflößend sein. Aber was ist, wenn man nach ein paar Seiten schon weiß, wer gut und wer böse ist, und wohin die Reise geht? Das passiert mir seit Jahren immer wieder.

Ein Weg, etwas Neues zu finden, ist die ausgetretenen Pfade der Mainstream-Geschichten zu verlassen. Wie wäre es mal mit einer positiven Zukunftsaussicht, denn wenn wir immer nur negativ lesen, das heißt denken, und das Schlimmste annehmen, sehen wir keinen anderen Weg mehr. Dem versuchen die Herausgeber des Future Fiction Magazins, zu denen auch ich gehöre, entgegenzuwirken. Das ist gar nicht so einfach. Viele Geschichten, die wir heutzutage lesen, leben von dramatischen Ereignissen, und noch hat die Autorengeneration, die sich mit dem Verfassen einer positiven Zukunft auseinandersetzt, nicht gelernt, spannend und überzeugend zu schreiben. Dem begegnen wir bei jeder Vorbereitung einer neuen Ausgabe. Die Nadel im Heuhaufen zu finden, die uns piekst und bleibenden Eindruck hinterlässt, ist echt schwer.

Ein weiterer Schwerpunkt unseres Magazins ist, sich auf SF-Geschichten aus Ländern zu konzentrieren, die selten eine Chance finden, international gelesen zu werden. Es gibt allgemein wenig Übersetzungen, die nicht aus den USA oder England kommen. Da muss ich vor das Wort „Geschichte“ nicht mal Fantasy oder Science Fiction setzen. Das gilt auch für südkoreanische Geschichten.

Ich wollte in meiner Anthologie eine breitere Auswahl an Geschichten bieten als im Future Fiction Magazin. Nur Science Fiction sollte es sein - außer Steampunk.

Das ist der andere Weg, den man gehen kann, um weitab des Mainstreams Geschichten zu finden: Man schaut, was einzelne Länder zu bieten haben, von denen man in den deutschen Buchläden so gut wie nichts findet.

Hier noch zwei Zitate aus dem Buch „Erzählende Affen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig ( S. 141), die sehr vielversprechend klingen.

„[in westlicher Literatur] spielen einzelne Helden die Hauptrolle, die gegen schreckliche Gegner kämpfen und sie mit List oder Kraft überwinden, um ihr Ziel zu erreichen …“

Das kennen wir alle zu genüge.                                                       

„… Die Heldinnen in chinesischen [auch südkoreanischen] Märchen und Legenden hingegen verdienten sich ihren Status durch den Dienst an der Gemeinschaft. Und sie kennen viel seltener tragische oder glückliche Enden … Man wird mit einer Frage zurückgelassen, die man für sich selber entscheiden muss.“

Das am häufigsten zitiert koreanische Beispiel hierfür ist ein Pansori (eine klassische koreanische Oper) namens „Simcheong“, in dem ein gleichnamiges Mädchen ihr Leben riskiert, um ihrem blinden Vater die Augen zu öffnen. Und dabei fast stirbt.

Historisch gesehen sind Liebe und Hingabe zur Familie die wichtigsten Schlüsselwörter für Koreaner, und die Familie ist noch immer ein starkes Motiv in vielen Romanen, Filmen und Dramen. In der Tat handelt die koreanische SF eher von Koreanern, die in der Zukunft leben, weniger von harter SF voller wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Fakten. Die Geschichten sind sehr emotional, und das könnte Hard-SF-Lesern zu sentimental erscheinen.

Also ist auch hier der kulturelle Hintergrund, mit dem die Autoren an eine Geschichte herangehen, anders als bei uns. Spannend fand ich auch den Vergleich auf Seite 142 im oben erwähnten Buch. Wenn Chinesen ein Aquarium betrachten, machen sie „eher die Umwelt für das Verhalten der Fische verantwortlich, Amerikaner den Charakter und den Willen der Fische. Japanische Studenten beginnen ihre Berichte über Videos von Fischen mit dem Kontext, amerikanische Studenten sprechen über die besonders auffälligen und sich schnell bewegenden Tiere."

Ähnlich und für uns Science-Fiction-Interessierte passender wurde mir von einem koreanischen Freund der Blick auf die Sterne und das Universum erklärt. Man merke, (auch) ich habe zuerst „Sterne“ geschrieben. Wir im Westen schauen auf die Sterne und deren Eigenschaften und arbeiten uns dann zum gesamten Universum vor. Asiaten würden sich zuerst das Universum vor Augen führen und sich anschließend den einzelnen Sternen zuwenden.

All dies schreit doch danach, diese Sicht der Welt in den Geschichten zu lesen. Und, wenn man das erleben will, sollte man am besten die originalen Geschichten lesen. Allerdings ist Koreanisch zwar eine der einfacheren asiatischen Sprachen, aber für uns doch nicht mal so eben schnell zu erlernen. Das Nächstbeste was uns bleibt, sind Übersetzungen.

Mit Hilfe des leider mittlerweile verstorbenen Präsidenten der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft, Doktor Uwe Schmelter, ist es mir gelungen, hervorragende Übersetzerinnen und Übersetzer zu finden und dem deutschen Leser einige ausgesuchte Science-Fiction-Geschichten vorzustellen.

Wie würdest du dich entscheiden, wenn du mehrere Persönlichkeiten in dir hättest und nur eine überleben könnte? Würdest du die Welt retten, auch wenn deine eigenen Überlebenschancen dabei nicht gut aussähen? Ein Glück, dass unsere Helden mehrere Versuche haben, diese Fragen zu beantworten. In der titelgebenden Geschichte erfahren wir etwas über eine Krankheit und warum es so seltsam ist, dass die Sterne am Himmel auf uns herableuchten.“

Wenn Ihr tiefer in diese Welt einsteigen wollt: Die Anthologie ist über den Memoranda Verlag erhältlich; dort findet sich auch das obige Zitat.

Willkommen am Anfang einer fantastischen Reise in die südkoreanische Science-Fiction.

 

Anmerkung der Redaktion: Unser Redakteur Markus Mäurer hat „Die Sterne leuchten am Erdenhimmel“ auf seiner Websteite besprochen.

Sylvana Freyberg

Sylvana Freyberg arbeitet für einen wissenschaftlichen Verlag und könnte ihre Freizeit mit vielen Dingen verbringen. Sylvana liest, fotografiert, schaut gerne Filme und Serien, wandert und reist gerne. Manchmal kreiert sie sogar schöne Bilder. Wenn der Tag nur nicht so wenige Stunden hätte.

Natürlich gibt es noch mehr. Sie ist Mitherausgeberin des Future Fiction Magazine und hat außerdem zwei Anthologien herausgegeben: „Unsere Freunde von Epsilon Eridani“ (Begedia Verlag) und „Die Sterne leuchten am Erdenhimmel“ (Memoranda Verlag).

Seit 2021 ist Sylvana Chefredakteurin der ANDROMEDA NACHRICHTEN, dem Magazin des Science Fiction Club Deutschland e.V. Zusammen mit ihrem Team veröffentlicht sie vier Ausgaben pro Jahr.

Wenn sie nicht gerade E-Mails an Autoren schreibt, um mit ihnen Artikel oder tolle Geschichten zu besprechen, oder nicht am Layout der nächsten Ausgabe der ANDROMEDA NACHRICHTEN arbeitet, verschwindet sie in der Welt der Bücher oder plant ihre nächste Reise, um zu sehen, was sonst noch los ist außerhalb ihres Schreibtisches.

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