Allerdings brauchte selbst der famose Sir Terry ein Weilchen, um seinen endgültigen Ton zu finden und der Scheibenwelt beispielsweise den Tiefsinn zu verpassen, für den sie berühmt werden sollte. Zudem mussten im Verlauf der ersten Bücher noch ein paar Details, was Orte und Figuren angeht, herumgeschoben und feinjustiert werden, ehe sich die geografische und personelle Konsistenz verfestigt hatte.
Trotzdem, die beste Lesereihenfolge beim Einstieg in die Vorzeigeserie der modernen humoristischen Fantasy ist nun mal ganz simpel nach Erscheinungsdatum, immer schön der Reihe nach. So einfach ist das manchmal. Dann stimmen auch die Chronologie der einzelnen Subreihen und Zyklen (um die Zauberer, die Stadtwache, die Hexen, Gevatter Tod, die Industrialisierung, etc.) und die Entwicklung der Figuren über alle Romane hinweg.
Früh genug kommt der Neuleser zu den ersten Highlights der phänomenalen Scheibenwelt, deren Bewohner einem mit jedem Band mehr ans Herz wachsen. Furchtlose Serieneroberer und Abenteuertouristen könnten zum Antesten theoretisch natürlich genauso gut den ersten Roman jeder Zyklen-Untergruppe lesen, die nach den jeweiligen Haupthandlungsträgern sortiert sind:
Zauberer
Die Farben der Magie
Das Licht der Fantasie
Wer die Scheibenwelt als Tourist erkunden will, fängt also am Besten mit den Romanen „Die Farben der Magie“ und „Das Licht der Fantasie“ an, den ersten beiden Büchern, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen und im Grunde als ein Werk betrachtet werden müssen. Der eröffnende Zweiteiler um den furchtsamen, magisch vollkommen untalentierten Zauberer Rincewind, den arglosen Touristen Zweiblum und dessen bissige Zaubertruhe ist in erster Linie eine Verballhornung von Fantasy-Archetypen. Das ist lange noch nicht so geistreich und genial, wie es nur wenige Bücher später werden soll – zur Akklimatisierung und Orientierung taugen die Romane aus den Jahren 1983 und 1986 aber allemal. Solange man im Hinterkopf behält, dass sie lediglich die erste von vielen Touren darstellen und Pratchett am Anfang mit jeder Runde besser und brillanter wurde, derweil der Humor sich gehörig wandelte. Wer nicht auf den Slapstick-Doppelpack zum Discworld-Debüt anspringt, muss mindestens einen der nachfolgenden Romane lesen, bevor er die Scheibenwelt abschreibt.
In den nächsten Rincewind-Romanen „Der Zauberhut“, der Faust-Parodie „Eric“ und „Echt zauberhaft“ lässt sich von Buch zu Buch eine satte Steigerung feststellen.
Hexen
Das Erbe des Zauberers
Die Hexen der Scheibenwelt sind bauernschlaue bis weise Frauen mit Durchblick – der durchdringende Blick der strengen Esme ‚Oma’ Wetterwachs, der größten und respektabelsten aller Hexen, kann sogar durch Granit schneiden. Im ersten Buch mit Pratchetts beliebten Hexen geht es um Gleichberechtigung, da die magisch hochbegabte Esk vom Schicksal dazu bestimmt wurde, ein Zauberer zu werden, und dringend ausgebildet werden muss. Ein Zauberer, keine Hexe. Deshalb muss sie Oma Wetterwachs letztlich in die wahnwitzige, wunderbare, wuselnde, wimmelnde, würzige, wieselnde, würgereizerzeugende Scheibenwelt-Metropole Ankh-Morpork bringen, wo die traditionsbewusst-sexistischen Zauberer der berühmten Unsichtbaren Universität logieren. Da ist der Ärger vorprogrammiert ...
Spätere Hexen-Romane wie die Shakespeare-Verulkung „MacBest“, „Total verhext“ oder „Lords und Ladies“ machen noch mal einen wahren Quantensprung in Sachen Qualität, doch das Potential von Oma Wetterwachs zeigt bereits diese erste Hexen-Geschichte.
Tod
Gevatter Tod
Terry Pratchett und Neil Gaiman haben zusammen nicht nur den Roman „Ein gutes Omen“ geschrieben, sondern beide in ihrem individuellen Schaffen obendrein den Tod zum Sympathieträger gemacht. Während er in Gaimans Sandman-Comics ein süßes Gothic-Mädel ist, kommt er in Pratchetts Scheibenwelt-Romanen ganz klassisch als Gerippe mit Kapuzenmantel, Sense und Sanduhr daher. Dennoch ist Gevatter Tod der Publikumsliebling der Scheibenwelt, DER IMMER IN GROSSBUCHSTABEN SPRICHT. Wie kann man ihn auch nicht lieben? Er mag Katzen, ist einfühlsam und verständnisvoll, hat regelmäßig verhängnisvolle Identitätskrisen und hilft zur Not als Weihnachtsmann aus (der auf der Scheibenwelt allerdings Blutwurst und Innereien bringt). Der erste, anno 1987 veröffentlichte Roman mit dem Tod, seiner Adoptivtochter Ysabell, seinem Diener Albert und seinem Lehrling Mort in den Hauptrollen ist ein echter Scheibenwelt-Evergreen und ein sehr guter Einstiegspunkt. Tödlich für die Platz-Perspektive im Bücherregal ...
Die nächsten Romane mit dem sympathischen Schnitter als knochigem Protagonisten sind „Alles Sense!“, „Rollende Steine“ und „Schweinsgalopp“.