Alessandra Reß, 15.12.2021
In vielen Fantasyromanen müssen sie den Dreck wegmachen oder als Kanonenfutter herhalten: Die Rede ist von den Goblins, diesem eher unscheinbaren Völkchen, das sich gleichwohl seinen festen Platz im phantastischen Bestiarium erkämpft hat. Aber was genau hat es mit den gnadenlos unterschätzen Wesen auf sich?
Bei den meisten Fantasywesen haben wir schnell ein Bild vor Augen. Jede*r kann sich z. B. etwas unter einem Drachen vorstellen, und auch Elfen oder Zwerge dürften selbst bei nicht so fantasyaffinen Lesenden passende Assoziationen auslösen. Aber Goblins? Obwohl sie insbesondere in der High Fantasy, aber auch in vielen Urban- und Portal-Fantasy-Romanen auftauchen, ist das Bild von ihnen deutlich uneindeutiger.
Nur eine Übersetzungsfrage?
Klassischerweise ist goblin ein englischsprachiger Begriff, der auf Deutsch mit Kobold übersetzt wurde. Auch in der Gegenwartsfantasy findet sich diese Übersetzung immer wieder, beispielsweise in Jim Hensons Film Labyrinth mit dem ikonisch von David Bowie dargestellten Koboldkönig, aber auch in Julie Kagawas Plötzlich Fee-Reihe. Und beim Kobold sind die Assoziationen schon leichter: Vielleicht denken wir da an Rumpelstilzchen, der lachend ums Feuer tanzt, während er auf das Kind der Königin hofft, oder an Pumuckl, der das Leben von Meister Eder verkompliziert. Mit dem Bild der auf Wargen reitenden Leute, die wir aus vielen Fantasy-Rollenspielen oder auch klassischer Fantasy wie den Hobbit-Verfilmungen kennen, haben diese Kobolde allerdings nicht so richtig viel gemein. Mit einer einfachen Übersetzung des Wortes ins Deutsche ist es also noch nicht getan.
Betrachten wir den historischen Goblin, ist die Assoziation mit Rumpelstilzchen und Kobold aber durchaus hilfreich. Denn goblinartige Kreaturen tauchen unter zahlreichen Namen auf: Etwa als gruseliger Butzemann (engl. boogeyman), als geiziger irischer Leprechaun, als im Haus für Chaos sorgendes sächsisches Koberchen, als fuchsgesichtige Lutin oder in zahlreichen weiteren Erscheinungsformen.
Im Dictionary of Folklore (1999) hält David Pickering als gemeinsamen Nenner fest, dass diese vielen, vorwiegend in der europäischen Folklore vorzufindenden Wesen sich durch eine gewisse Bösartigkeit auszeichnen, sowie durch ihre Vorliebe dafür, ihre Spielchen mit den Menschen zu treiben. Zudem sieht Pickering eine Verwandtschaft zu den (weitaus friedlicheren) Zwergen oder Gnomen, mit denen die Kobolde auch ihren klassischen Lebensraum wie Höhlen oder Bäume teilen. Allerdings greift diese Definition insofern zu kurz, als es durchaus auch friedliche Goblinoide gibt, die den Menschen mitunter sogar zur Hand gehen. Beispiele dafür sind die Heinzelmännchen, die bayrischen Erdmännchen (nein, nicht die Tiere), die Querge aus der Eifel, die Tiroler Norggen oder die Hobgoblins. Gerade hier sind die Abgrenzungen zu anderen kleinen Völkern wie Gnomen, Feen oder Wichteln alles andere als leicht.
Geht man in die Literatur, so finden sich prominent benannte Goblins z. B. in Shakespeares Mittsommernachtstraum oder in Miltons Das verlorene Paradies. Ein wichtiges Vorbild gerade für die moderne Fantasy-Literatur war zudem Christina Rossettis Gedicht Goblin Market von 1862, das sich um die Begegnung zweier Schwestern mit zwielichtigen Kobold-Kaufleuten rankt.