Alessandra Reß, 16.10.2019
Vampire sind die Dauersauger der Phantastik: Obgleich alle paar Jahre totgesagt, sind sie bislang noch immer wieder ihren Gräbern entstiegen, um mal gruselig, mal verführerisch durch die Popkultur zu wandeln. Ein Blick auf die Jahrtausende umfassende Entwicklung der Herren und Damen mit den spitzen Eckzähnen.
Vampire verstanden sich schon immer gut darin, sowohl wandelbar als auch allgegenwärtig zu sein. In verschiedenen Varianten sind sie auf der ganzen Welt und in zahlreichen Kulturen anzutreffen: Auf den Philippinen treiben sie als Aswang ihr Unwesen, in Teilen Haitis als Werwolf-ähnliche Jé-Rouges, in China als Giang Shi, in der Hindu Mythologie als Baital oder Vetala, im antiken Griechenland u. a. als Lamien und später auch als Wrykólakas. Prägend für viele europäische Vampirsagen war zudem die spätere, teile aramäisch geprägte Vorstellung von Lilith, der verstoßenen ersten Frau Adams. Diese soll sich von der Lebensenergie von Männern ernährt, sie im Schlaf verführt und mit ihnen ihre Nachkommen, die Lilim, gezeugt haben.
Vampirismus als zunächst weibliche Domäne
In der Beschreibung der genannten „Ur-Vampire“ gibt es einige kulturspezifische Unterschiede. Als Wiedergänger beispielsweise tauchen Vampire nur dort auf, wo Erdbestattungen üblich sind, und in manchen Teilen der Welt werden Vampire eher mit Fledermäusen oder (Wer-)Wölfen, in anderen mit Eulen oder Hyänen assoziiert.
Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten: Die Gier nach Blut oder Fleisch etwa, der Hang zum Entführen von kleinen Kindern, die roten Augen – und dass fast alle mythologischen Vampire als weiblich gedacht werden.
Dafür gibt es verschiedene Grunde: Erstens bedeutet die Vampirwerdung eine Form von Geburt, und diese gilt – wenig überraschend – als weibliche Domäne. Zweitens ist Blut nicht nur ein Symbol des Todes, sondern vor allem auch der Fruchtbarkeit. Drittens galten in vielen Kulturen Frauen, die im Kindbett sterben oder eine Totgeburt erlitten, als besonders gefährdet, als Vampirin wiederaufzuerstehen. Und viertens wird der Vampir oft als leidenschaftliches, sexuell aufgeladenes Wesen begriffen. In patriarchalischen Strukturen heißt das meist, den Vampir als eine Art von femme fatale zu denken, deren Sexualität Männer in den Abgrund stürzt.
So waren denn auch die europäischen Vampire lange Zeit zum Großteil weiblich, wobei sie mit ihrer Form der Fortpflanzung als Antithese zur „normalen Frau“ gesehen wurden, wie etwa Angelika Schoder im essayistischen Sachbuch „Blutsaugerinnen und Femme Fatales“ festhält. Noch im 19. Jahrhundert wurde das Blutsaugen vom Arzt Francis Cooke als „Wiedergutmachung“ des Blutverlusts der Frauen während der Menstruation betrachtet. Der Sozialforscher Havelock Ellis wiederum mutmaßte 1894, Frauen dürste es ständig nach dem männlichen Lebenssaft. Eine literarische Verarbeitung dessen findet sich in „The Blood Drinker“ (um 1900), einer Kurzgeschichte der französischen Schriftstellerin Rachilde.
In der westlich-europäischen Literatur wurden Vampirinnen allgemeinhin als Frauen mit einer Gier nach Liebe, Blut und Sex gezeichnet. Sie waren eine gesellschaftliche Störung, die es jeweils zu vernichten galt. Beispiele dafür finden sich in Samuel Taylor Coleridges „Christabel“ (1797) oder John Keats „Lamia“ (1819). In Varianten wurde das Thema außerdem u. a. in Poes „Berenice“ (1835) und „Ligeia“ (1838), Goethes „Die Braut von Korinth“ (1797), Baudelairs „Der Vampir“ (aus „Die Blumen des Bösen“, 1857), Heines „Helena“ (1844) oder Le Fanus einflussreichem „Carmilla“ (1872) aufgegriffen.