Laird Barron – »Hallucigenia«
Vorweg: Laird Barron macht keine Gefangenen. Dafür weiß der 47-jährige US-Autor einfach zu gut, wie und wo er ansetzen muss. Vor einiger Zeit erschien ein kurzer Band namens »Hallucigenia« mit vier seiner Kurzgeschichten in deutschsprachiger Übersetzung. Neben VanderMeer gehört Barron zu einem Kreis von Autoren, die sich unter dem Label NewWeird zusammenfassen lassen – allerdings zeigen die Werke der beiden Amerikaner deutlich, welche vielfältige Literatur sich hinter diesem Begriff verbirgt. Denn geht es bei VanderMeer noch unbehaglich bis abstrakt zu, reißt Barron die Abgründe in seinen Erzählungen auf. Die Dunkelheit strahlt hier in einem tiefen Schwarz, jeder seiner Sätze könnte in die Tiefe reißen. Allerdings findet sich in Barrons Dunkel stets Zuversicht. Okkultismus, Rituale und anderer Grusel braucht Monster. Doch es braucht auch Charaktere mit Gefühlen. Die Dunkelheit wäre eben ein Nichts ohne das Licht. Barron braucht nur wenige Sätze, um seine Figuren zu erschaffen. Und bringt sie dann an ihre Grenzen. Damit steht er der Horrorliteratur viel näher als etwa VanderMeer.
In »Strappado« gerät etwa eine Kunstperformance aus den Fugen. Die Wahl zwischen Türen entscheidet auf einmal über Leben und Tod. Die Charaktere sind verloren, und mit jedem Satz verdeutlicht sich ihr Schicksal wie ihr Schmerz. Gerade durch die Kürze überzeugt diese Geschichte und trifft am stärksten. Doch keine Geschichte fällt in diesem Band ab. In »Mysterium Tremendum« lockt ein altes Buch, ein Schwarzer Reiseführer, eine Gruppe von Wanderern unbemerkt zu einem abstoßenden Grauen, das sich als Gestalt manifestiert und doch kaum fassen lässt. Die Referenzen zu Lovecraft zeichnen sich deutlich ab, aber Barron findet einen eigenen Zugang zur Weird Fiction. Kein Wunder, dass Nic Pizzolatto viel Inspiration aus Barrons Werken für seine Serie »True Detective« bekam. Dieser kleine Band zeigt aber vor allem: Barron gehört zu den derzeit besten Autoren der Horrorliteratur.
Caitlin R. Kiernan – »Fossil«
Bei Caitlin R. Kiernans Büchern gibt es nur zwei altbekannte Möglichkeiten: Entweder stoßen sie bei Lesern auf Liebe oder auf Hass. Denn die 53-jährige US-Autorin macht es ihren Lesern nicht leicht. Das liegt an ihrer Sprache, obwohl ihr Stil nicht einmal besonders prätentiös anmutet. Vielmehr verschachteln sich die einzelnen Kapitel ihrer Romane so sehr, dass kurze Unaufmerksamkeit schnell zu Unverständnis führt. Und Kiernan beherrscht das Erzeugen von unheimlichen Lücken in ihren Texten perfekt. Denn diesen blinden Fleck muss der Leser mit seiner eigenen Phantasie füllen. Daraus ersteigen im besten Fall die schlimmsten Monster.
So auch bei »Fossil«, einer der wenigen deutschsprachigen Übersetzungen ihrer Bücher. Im Original erschien der Band bereits vor 16 Jahren, und neben dem Einfluss von Stephen Kings »ES« findet sich die Querverbindung zu Lovecraft ebenfalls: Drei Jugendliche brechen eines Nachts in einen alten Wasserwerkstunnel ein. Was dann passiert, lässt Kiernan im Dunkeln. Es soll jedoch den Rest des Lebens ihrer Figuren bestimmen. Denn zumindest so viel steht fest: Sie wecken ein namenloses Grauen, eine übernatürliche und uralte Entität. Kiernans große Kunst besteht in diesem Roman darin, dass nie klar wird, was dieses Ding, dieses Geschöpf wirklich ist. Das Unbehagen und die Angst speisen sich bei »Fossil« aus zahlreichen offenen Fragen. Und trotzdem zieht Kiernan die Schlinge zu, lässt dieses Monster stets als Bedrohung durch dieses Buch ziehen. Schlussendlich muss der Leser selbst das große Bild zusammensetzen, Kiernans gescheiterten und düsteren Charaktere helfen nicht dabei. Sie stehen genauso ratlos in dieser Welt wie die Leser von »Fossil«. Vor dem Unbekannten tut sich bekanntlich die größte Furcht auf. Das wusste ja auch Lovecraft schon. Und nach den vierhundert Seiten von »Fossil« steht fest: Für so ein feines und wuchtiges Buch kann es nur Anerkennung von jedem Leser der Horrorliteratur geben.