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Cthulhu calls: Fünf Bücher, die Lovecraft-Leser lieben werden

Fünf Bücher, die Lovecraft-Leser lieben werden
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Björn Bischoff, 16.11.2017

Was ein paar Tentakel anrichten können: Howard Phillips Lovecraft erschuf mit seinen Büchern nicht nur den Mythos um Cthulhu und die Großen Alten, er prägte mit ihnen die Weird Fiction und die Horrorliteratur nachhaltig – und das Anfang des 20. Jahrhunderts, jener Zeit, in der die literarische Moderne ins Rollen kam.

Lovecrafts Einfluss hält bis heute an – und das hat vor allem mit seinen Werken und Mythen zu tun. Lovecraft bleibt bis heute ein Thema in literarischen Debatten – und das vor allem mit seinen rassistischen Ansichten zu tun. Lovecraft beschäftigt Leser wie Autoren. Gerade in den letzten Jahren lässt sich das Echo von »Cthulhus Ruf« in zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten deutlich vernehmen. Wer sich durch das Werk des amerikanischen Horrorautors gelesen hat, kann somit nahtlos anknüpfen. Aber wo anfangen? Und was kommt danach? Lohnt sich ein Blick auf die Einflüsse, jene Autoren, die Lovecraft beeindruckten? Hier kommen die Antworten. Unser Ausblick auf Lovecraft und die Folgen: Fünf Bücher, die den großen Cthulhu aus dem Tiefschlaf holen und die Lovecraft-Leser lieben werden.

 

Jeff VanderMeer – »Auslöschung«

Jeff VanderMeer schreibt in seinen Texten über fliegende Bären und gefräßige Pilz, über Fantasy, Horror und Science Fiction. Und vor allem schreibt der 49-jährige US-Autor außerhalb der Grenzen jedes Genres. Sein bekanntester Roman »Auslöschung« ist nicht nur sein bisher bestes Buch und Auftakt der ungewöhnlichen »Southern Reach«-Trilogie, sondern durch und durch eine Geschichte, die in der Tradition der Weird Fiction nach Lovecraft steht. Oder genauer: »Auslöschung« könnte selbst eine Geschichte von Lovecraft sein. In dem Roman bedroht Area X die Menschen, zumindest scheint es die ganze Zeit so. Iin diesen abgeschotteten Küstenabschnitt eines unbekannten Landes schickt die Regierung eine Psychologin, eine Landvermesserin, eine Anthropologin und eine Biologin. Wie sie dorthinkommen? Bleibt im Dunkeln. Wie so viele andere Dinge. Nur eine Sache ist sicher: Mehrere Expeditionen zuvor endeten bereits im Desaster. Ihre Teilnehmer kamen entweder wahnsinnig oder gleich gar nicht mehr zurück. Die namenlose Biologin berichtet in ihren Aufzeichnungen von den Geschehnissen in Area X. Ihre Distanz zu merkwürdigen Türmen in der Erde, Delfinen mit vertrauten Augen und ihren Kollegen der Expedition sorgt für die verdrehte und unheimliche Atmosphäre.

VanderMeer geht es in diesem Roman nicht um Schrecken oder Terror, sondern um pures Unbehagen. Und dem nicht genug: In den Kellern des vergrabenen Turms wartet noch ein Wesen, das sich jeder logischen Vorstellung entzieht. Den Verstand verbiegt es mit jeder weiteren Seite. Allerdings hat die Blaupause dieses Romans durchaus etwas Vertrautes: Eine Expedition an einem unwirtlichen Ort, die in einer Höhle auf allerlei Merkwürdigkeiten stößt? Gab es bereits in »Berge des Wahnsinns«. VanderMeer verwandelt diese Grundstruktur aber in eine eigene Geschichte, zieht sie in seine eigene Welt. Nichts bleibt, wie es war. Über jedem Wort liegt der Nebel des Unschlüssigen und Unsicheren. Lovecrafts unheimliche und unentdeckte Antarktis am Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es nicht mehr. Abenteurer entdeckten sie, Forscher erkundeten sie. VanderMeers Küstenstrich in diesem Roman wird unbekanntes Land bleiben. Denn Area X entsteht nur aus der Fantasie. Und liegt doch unbehaglich nahe an der Grenze zu unserer Realität. 

Laird Barron – »Hallucigenia«

Vorweg: Laird Barron macht keine Gefangenen. Dafür weiß der 47-jährige US-Autor einfach zu gut, wie und wo er ansetzen muss. Vor einiger Zeit erschien ein kurzer Band namens »Hallucigenia« mit vier seiner Kurzgeschichten in deutschsprachiger Übersetzung. Neben VanderMeer gehört Barron zu einem Kreis von Autoren, die sich unter dem Label NewWeird zusammenfassen lassen – allerdings zeigen die Werke der beiden Amerikaner deutlich, welche vielfältige Literatur sich hinter diesem Begriff verbirgt. Denn geht es bei VanderMeer noch unbehaglich bis abstrakt zu, reißt Barron die Abgründe in seinen Erzählungen auf. Die Dunkelheit strahlt hier in einem tiefen Schwarz, jeder seiner Sätze könnte in die Tiefe reißen. Allerdings findet sich in Barrons Dunkel stets Zuversicht. Okkultismus, Rituale und anderer Grusel braucht Monster. Doch es braucht auch Charaktere mit Gefühlen. Die Dunkelheit wäre eben ein Nichts ohne das Licht. Barron braucht nur wenige Sätze, um seine Figuren zu erschaffen. Und bringt sie dann an ihre Grenzen. Damit steht er der Horrorliteratur viel näher als etwa VanderMeer.

In »Strappado« gerät etwa eine Kunstperformance aus den Fugen. Die Wahl zwischen Türen entscheidet auf einmal über Leben und Tod. Die Charaktere sind verloren, und mit jedem Satz verdeutlicht sich ihr Schicksal wie ihr Schmerz. Gerade durch die Kürze überzeugt diese Geschichte und trifft am stärksten. Doch keine Geschichte fällt in diesem Band ab. In »Mysterium Tremendum« lockt ein altes Buch, ein Schwarzer Reiseführer, eine Gruppe von Wanderern unbemerkt zu einem abstoßenden Grauen, das sich als Gestalt manifestiert und doch kaum fassen lässt. Die Referenzen zu Lovecraft zeichnen sich deutlich ab, aber Barron findet einen eigenen Zugang zur Weird Fiction. Kein Wunder, dass Nic Pizzolatto viel Inspiration aus Barrons Werken für seine Serie »True Detective« bekam. Dieser kleine Band zeigt aber vor allem: Barron gehört zu den derzeit besten Autoren der Horrorliteratur.

Caitlin R. Kiernan – »Fossil«

Bei Caitlin R. Kiernans Büchern gibt es nur zwei altbekannte Möglichkeiten: Entweder stoßen sie bei Lesern auf Liebe oder auf Hass. Denn die 53-jährige US-Autorin macht es ihren Lesern nicht leicht. Das liegt an ihrer Sprache, obwohl ihr Stil nicht einmal besonders prätentiös anmutet. Vielmehr verschachteln sich die einzelnen Kapitel ihrer Romane so sehr, dass kurze Unaufmerksamkeit schnell zu Unverständnis führt. Und Kiernan beherrscht das Erzeugen von unheimlichen Lücken in ihren Texten perfekt. Denn diesen blinden Fleck muss der Leser mit seiner eigenen Phantasie füllen. Daraus ersteigen im besten Fall die schlimmsten Monster.

So auch bei »Fossil«, einer der wenigen deutschsprachigen Übersetzungen ihrer Bücher. Im Original erschien der Band bereits vor 16 Jahren, und neben dem Einfluss von Stephen Kings »ES« findet sich die Querverbindung zu Lovecraft ebenfalls: Drei Jugendliche brechen eines Nachts in einen alten Wasserwerkstunnel ein. Was dann passiert, lässt Kiernan im Dunkeln. Es soll jedoch den Rest des Lebens ihrer Figuren bestimmen. Denn zumindest so viel steht fest: Sie wecken ein namenloses Grauen, eine übernatürliche und uralte Entität. Kiernans große Kunst besteht in diesem Roman darin, dass nie klar wird, was dieses Ding, dieses Geschöpf wirklich ist. Das Unbehagen und die Angst speisen sich bei »Fossil« aus zahlreichen offenen Fragen. Und trotzdem zieht Kiernan die Schlinge zu, lässt dieses Monster stets als Bedrohung durch dieses Buch ziehen. Schlussendlich muss der Leser selbst das große Bild zusammensetzen, Kiernans gescheiterten und düsteren Charaktere helfen nicht dabei. Sie stehen genauso ratlos in dieser Welt wie die Leser von »Fossil«. Vor dem Unbekannten tut sich bekanntlich die größte Furcht auf. Das wusste ja auch Lovecraft schon. Und nach den vierhundert Seiten von »Fossil« steht fest: Für so ein feines und wuchtiges Buch kann es nur Anerkennung von jedem Leser der Horrorliteratur geben. 

Algernon Blackwood – »Das leere Haus«

Vor Lovecraft war Robert E. Howard. Vor Lovecraft war Clark Ashton Smith. Und vor Lovecraft war Algernon Blackwood. Die Liste der Einflüsse ist lang, gerade bei einem Autor wie Lovecraft, der aus dem Vollen des Fundus der Gothic Literature und Geistergeschichten des 19. Jahrhunderts schöpfen konnte. Bereits 1907 erschien »Die Weiden« von Blackwood und landete als Lektüre bei Lovecraft. Und veranlasste Lovecraft zu einer deutlichen Meinung.

In dem kurzen Stück von Blackwood machen sich zwei Männer mit einem Kanu zu einer Fahrt auf der Donau auf. Doch bereits nach kurzer Zeit verändert sich die Landschaft, wird dunkel, unheimlich, geradezu feindlich. Sie stranden auf einer kleinen Insel. Dort werden ihnen jene Dinge bewusst, die um sie herum passieren, die Unordnung wollen, Auflösung und Zerstörung. Heutzutage lässt sich die Geschichte etwa noch in der kurzen Sammlung »Das leere Haus« mit drei weiteren Erzählungen Blackwoods finden. Die Geschichten zeichnen sich alle durch ihre Intensität und Dichte aus, doch vor allem »Die Weiden« machen die Verbindungen zu Lovecraft deutlich. Der klassische Schauerroman schimmert als Vorlage bei Blackwood manchmal durch. Jedoch zieht hier ein neuer Schrecken, ein neuer Horror ein. Seine dunklen Visionen entspringen bereits einer anderen Zeit. »Die Weiden« gibt das beste Beispiel dafür ab. Oder wie Lovecraft es selbst später in einem Brief formulierte: »Ich bin dogmatisch genug, um Die Weiden als die feinste Weird Story zu bezeichnen, die ich gelesen habe.« Und das, obwohl er der Prosa Blackwoods nicht viel abgewinnen konnte.

Albert Sánchez Piñol – »Im Rausch der Stille«

Lovecrafts Errungenschaften für die Horrorliteratur seien unbestritten – ebenso wie die rassistischen Untertöne mancher seiner Geschichten. Diverse Autoren arbeiteten sich bereits daran ab, zuletzt Victor LaValle mit »The Ballad Of Black Tom«. Zu seinem großartigen Roman gibt es jedoch noch keine deutschsprachige Übersetzung. Daher muss ein älteres und ebenfalls gelungenes Beispiel für diese Art der Auseinandersetzung mit Lovecraft an dieser Stelle herhalten: Bereits vor fünfzehn Jahren transformierte der katalanische Autor Albert Sánchez Piñol Lovecrafts »Schatten über Innsmouth« in seinem Buch »Im Rausch der Stille« zu einer Parabel über das Wesen der Menschlichkeit.

Ein irischer Freiheitskämpfer flieht im 19. Jahrhundert vor dem Leid der Welt, sucht den Ausstieg aus dem Krieg. Ein Posten als Wetterbeobachter tut sich für ihn auf, fernab auf einer verlassenen Insel. In einem alten Leuchtturm hat sich dort der vorherige Wetterbeobachter verschanzt. Bald weiß der Erzähler auch warum: In der Nacht kommen die Froschkerle. Und diese humanoiden Amphibienwesen haben schlechte Laune. Piñol lässt in seinem Roman zwar einen Kampf auf Leben und Tod aufkommen. Allerdings arbeitet er zwischen dem Horror und den bedrohlichen Szenen die Sinnlosigkeit des Kriegs, des ewigen Kämpfens heraus. Für den namenlosen Erzähler und seinen Vorgänger gibt es hier keine Hilfe. Nicht auf diesem Flecken Erde, nicht gegen diese Gegner. Aber: Sind die Froschkerle überhaupt Gegner? Feinde? Monster? Piñol fragt in seinem Roman die existenziellen und wichtigen Fragen ab, seine Geschichte erzählt von der Menschlichkeit in Ausnahmesituationen, wird zur Parabel auf den Krieg. Dabei bietet der Autor keine leichten Lösungen, keine Moral. Er bietet keine Antworten. Und das sind die besten Werke: jene Bücher, die nur Fragen aufwerfen und den Leser zum Denken bringen.