Über die Wichtigkeit von Social Media
Beatrice Lampe betrachtet das Thema aus einem anderen Blickwinkel. Sie ist Senior Lektorin bei Blanvalet, Limes & Penhaligon. Nicht nur in der Wahl ihrer Stoffe habe sich die Fantasy in den letzten Jahren verändert, sagt sie, sondern auch die Art und Weise, wie sie wahrgenommen und vermarktet wird: „Wie viele Genres ist Fantasy kein Selbstläufer mehr – deutschsprachige Autor*innen müssen für Leser*innen in sozialen Medien sichtbar sein und mit diesen interagieren wollen.“ Leser*innen sollten wir alle viel stärker als Fans und Follower denken. Diese verschafften Autor*innen nicht nur Buchverkäufe, sondern auch starke zusätzliche Aufmerksamkeit durch Verlinkungen, Klicks und Votes. „Natürlich bedeutet das harte Arbeit jenseits des Manuskripts.“
Andererseits habe ausgerechnet die Fantasy in diesem Kontext einen entscheidenden Vorteil: „Ist es nicht herrlich, dass gerade Fantasy-Cover so gerne auf Instagram inszeniert werden? Da ist unser Genre der allgemeinen Unterhaltungsliteratur eindeutig voraus – und dadurch tut es auch nicht so weh, dass Fantasy im Feuilleton kaum stattfindet. Das hat sich nämlich nicht verändert.“
Mehr Diversity auch in der Fantasy
Gerade in den letzten Jahren erkennt Maria Weber von Droemer Knaur zudem eine vermehrte Hinwendung zu diversen Themen und zu einer stärkeren Repräsentation marginalisierter Gruppen – nicht nur, aber auch in der Fantasy. „Es fällt ein moderner Blick auf bekannte Muster. Die Protagonist*innen werden neu erfunden und können sich von starren Rollenmustern und Verhaltenskonventionen lösen.“
Ein Muster, das auch die freie Lektorin und Übersetzerin Michelle Gyo erkennt: „Ein wichtiges Thema, das immer mehr Raum einnimmt, ist Diversität. Noch ausbaufähig, sicher. Aber es gelangt immer weiter in den Mainstream.“
Sie hält die deutschsprachige Fantasy für inzwischen breiter aufgestellt als noch vor zehn Jahren. „Bei den Verlagen gibt es erfreulicherweise viele deutschsprachige Autor*innen im Programm“, beobachtet sie. Das sei keine direkte Veränderung, da die Verlage auch früher schon deutschsprachige Werke unterstützt haben. Doch sie hat den Eindruck, dass dies gerade in den letzten Jahren nochmal zugenommen hat.
Auch Emily Huggins betont, dass sich im Genre in den vergangenen Jahren viel getan hat. Die Programmleiterin des Kinder- und Jugendbuchverlags Ueberreuter findet, die deutschsprachige Fantasy sei professioneller, selbstreflektierter, aber auch vielfältiger geworden. „Während man früher oft mal die amerikanische und englische Fantasy in Stil, Themen und Komplexität pauschal von der deutschen Fantasy unterschieden hat, glaube ich, dass man inzwischen immer öfter Schwierigkeiten hätte, da zu trennen.“ Es gäbe immer noch eine eigene deutsche phantastische Tradition, die weit in die Romantik zurückgehe, aber Weltenbau, Figurenpsychologie und Sprache seien noch mal diverser, vielfältiger und moderner geworden.
Hängen wir den Amerikanern zehn Jahre hinterher?
Der Autor James Sullivan (Nuramon; Die Stadt der Symbionten) stimmt zwar erfreut zu, dass Diversität, Anti-Rassismus und Feminismus sich inzwischen deutlicher in Erzählwerken abbilden. Insbesondere durch die sozialen Netzwerke würden diese Themen viel offener und auf unsere Situation bezogen diskutiert. Er glaubt jedoch nicht, dass die deutschsprachige Fantasy gegenüber Romanen aus Übersee inzwischen aufgeholt hat. Im Gegenteil: „Wir sind im letzten Jahrzehnt noch weiter hinter die internationale Fantasy zurückgefallen, weil wir die Debatten, die dort geführt wurden (RaceFail, Sad Puppies, usw.), und die dadurch aufgeworfenen Fragen zu selten aufgegriffen haben. Wir haben als Genre eine eigene Debatte in weiten Teilen verweigert und die Vielfalt in der internationalen Szene dementsprechend kaum noch nachvollziehen können.“
Zum Glück würde endlich auch in der hiesigen Phantastik-Branche über diese Themen gesprochen. Dank Twitter, Instagram & Co. seien wir füreinander sichtbarer geworden. Dadurch erkenne man aber auch die Gräben zwischen uns, die wir bisher nur in der anglo-amerikanischen Szene zu sehen glaubten. „Wir sind jetzt dort“, sagt Sullivan, „wo die internationale Szene vor etwa zehn Jahren war, haben aber die Möglichkeit, auf der Basis unserer besonderen Gegebenheiten aufzuholen.“