Sylvia Englert, 02.07.2017
Fantasy-Romane sind meist in der 3. Person geschrieben. Doch warum ist diese Erzählweise so beliebt? Autorin Sylvia Englert gibt Tipps für die richtige Perspektive.
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Greif mal in dein Bücherregal, dorthin, wo die Fantasy-Romane stehen, und schlag deine Beute auf. Ich wette, der Roman ist in der 3. Person, auch personale Erzählweise genannt, geschrieben, es gibt also einen Erzähler, der aus seiner Sicht berichtet, was geschieht. So zum Beispiel im Winterkaiser von Katherine Addison:
„Durchlaucht“, begrüßte der Kapitän Maia am Fuß des Ankermast mit leiser Stimme. Kurzentschlossen blieb Maia stehen und sagte leise: „Wir haben vollstes Vertrauen in Euch und Eure Besatzung.“
Erstaunt blickte der Kapitän auf.
Maia sah ihm in die Augen und lächelte. Der Kapitän zögerte kurz, dann spitzte er die Ohren und verbeugte sich, tiefer noch als zuvor. „Durchlaucht“, sagte er mit deutlicher und fester Stimme.
Maia erklomm die schmale, eiserne Treppe, die sich den Ankermast emporwand.
Ein Grund, warum diese Erzählweise beliebt ist – sie ist enorm praktisch und flexibel. Besonders praktisch ist dabei die Möglichkeit, mehrere ganz verschiedene Figuren an verschiedenen Orten erzählen zu lassen. Erst nach und nach verschmelzen die Handlungsfäden allmählich. So bekommt man ein komplexes Panorama der Welt und kann die Handlung sehr vielschichtig anlegen. Das ist zum Beispiel den Brüdern Orgel in ihrem Epos Die Blausteinkriege hervorragend gelungen.
Geh nah ran!
Meist schreibt man in der dritten Person, sodass der Haupterzähler nur das weiß, was in seinem eigenen Kopf vorgeht. Gedanken, die ihm oder ihr durch den Kopf gehen, kannst du entweder berichten (wie hier im größten Teil des Texts) oder sozusagen „live“ wiedergeben, hier noch mal ein Beispiel aus dem Winterkaiser:
"Und selbst wenn es Hoffnung auf eine Veränderung gäbe, dachte Maia und lehnte sich in seinem Sitz zurück, um Setheris´ Blicken zu entgehen, dann sicherlich nicht zum Besseren. Ich muss dankbar sein, dass „der verdammte Welpe“ das Schlimmste ist, was ich von ihm zu hören bekam."
Solche Live-Gedanken wirken in Ich-Form und in Gegenwart am glaubwürdigsten. Besonders hübsch sieht es aus, wenn man sie kursiv setzt.
Mein Tipp: Geh möglichst nah an deine Hauptfiguren heran, nenn sie beim Namen! In dem Moment, wo du „das junge Mädchen“, „der Krieger“ oder „die 20-jährige“ schreiben, betrachtest du deine Figur von außen (denn niemand würde sich ja selbst ,der Krieger‘ nennen.)
Du kannst in einer einzigen Szene aber auch mehrere verschiedene Sichtweisen einbringen. In seinem berühmten Roman Dune – Der Wüstenplanet schildert Frank Herbert beispielsweise ein formelles Dinner und begibt sich dabei auf einen Streifzug durch die Köpfe der Teilnehmer, man erfährt bei einem nach dem anderen, was er/sie denkt, wie er/sie Gesagtes interpretiert und dabei ist, Intrigen zu spinnen. Natürlich hätte er dieses Dinner auch aus der Perspektive seiner Hauptfigur Paul Atreides schildern können, aber so ist es noch faszinierender. Weil der Leser mehr weiß als Paul und um ihn und seine Familie fürchten muss.
Aber Achtung bei dieser Form, ganz kurze Perspektivwechsel verwirren und irritieren den Leser eher! Besser, du erzählst mindestens eine halbe Seite lang aus einer Perspektive, bevor du wieder wechselst.
Eine solche übergeordnete Sichtweise, nennt man den „allwissenden/auktorialen Erzähler“ - er hat den großen Überblick, wenn er auch unsichtbar bleibt. Er kann wie eine Art Gott jedermanns Gedanken lesen, in alle Köpfe hineinblicken. Was inzwischen nicht mehr so üblich ist – der Erzähler kann dem Leser auch zwischendurch Kommentare zukommen lassen, die von keiner Person in der Geschichte stammen. Diese Form hat Oliver Plaschka in Das Licht hinter den Wolken gewählt.
"Keine Geschichte beginnt ohne das, was zuvor passiert ist. Länder haben ihre Legenden, Völker ihre Mythen und Männer und Frauen ihre Erinnerung, die sie erst zu dem macht, was sie sind – und manchmal daran hindert, die zu werden, die sie sein wollen.
Für April beginnt die Geschichte an einem Wintertag. Schneeflocken treiben durch die kristallklare Luft, wie Kirschblüten im Frühjahr. April, fast sieben und wie immer allein, rennt in ihrem Wollmantel über die alte Weide am Dorfrand, spürt Eichhörnchen nach oder malt Figuren in den Schnee. Sie hat nur wenige Freunde, und ihr Vater meidet sie, so gut sie kann. Der plötzliche und unerwartete Wintereinbruch ist eine willkommene Abwechslung."
Es ist klar, hier erzählt nicht April selbst, jemand erzählt etwas über sie. Und Plaschkas Erzähler gibt auch später immer wieder seine Kommentare ab: „Aus all diesen Gründen hätte sich April dem Fremden auf der anderen Seite des Zauns vielleicht besser nicht genähert.“ Gerade, weil diese Art des Erzählens selten geworden ist, fand ich sie hier reizvoll.
Völlig eintauchen mit einem Ich-Erzähler
Vielleicht habe ich die Wette vom Anfang des Artikels auch verloren. Früher eine absolute Ausnahme in der Fantasy, inzwischen aber erfreulich häufig (ich mag diese Perspektive!), ist die Ich-Erzählung, auch 1. Person genannt. Man kommt sich vor, als säße man im Kopf eines anderen Menschen, man sieht alles durch seine Augen, man weiß nur, was er oder sie weiß. Ein Beispiel aus dem Gestaltwandlerroman Stadt der Finsternis – Tödliches Bündnis von Ilona Andrews:
"Ich drehte mich um und sah Hugh an. Er saß auf seinem Thron, den linken Arm angewinkelt, den Ellenbogen auf die Armlehne gestützt, den Kopf auf die Finger seiner Hand gelehnt. Völlig entspannt, na klar.
Ich hatte diesen Augenblick mein ganzes Leben lang vorhergesehen. Jetzt war er gekommen, und ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte. Wie ein eisiger Fluss breitete sich Beklemmung in mir aus. In meinem Kopf hatte ich mir immer wieder vorgestellt, dass diese Begegnung mit blutigen Schwertern und Hauen und Stechen verbunden war. Das Fehlen des Hauens und Stechens war zutiefst irritierend."
Durch die Ich-Form kann man als Leser ungeheuer schnell in eine Figur hineinschlüpfen, man identifiziert sich mit ihr, man fühlt mit ihr. Mit etwas Übung kann man sich in die unterschiedlichsten Figuren und Wesen hineinversetzen. Man kommt seinem Erzähler oder seiner Erzählerin sehr nah auf diese Art. Den Sucher zu schreiben (meinen ersten Fantasyroman in Ich-Erzählung) war unheimlich intensiv, ich wurde mit Haut und Haaren in diese Geschichte, in diese Figur – Tjeri ke Vanamee aus der Wasser-Gilde – hineingezogen. Und als ich den letzten Satz geschrieben hatte, dauerte es noch Monate, bis ich wirklich „draußen“ war aus dem Roman, bis ich die nächste Hauptfigur in meinen Kopf und mein Herz lassen konnte. Nicht bei allen meinen Romanen in Ich-Erzählung ging es mir so, aber manche Figuren haben eine solche Kraft, ein solches Charisma, dass ich mich komplett in sie verliebt habe.
Natürlich hatte ich Lust, eine Fortsetzung des Suchers zu schreiben, doch der Plot funktionierte nicht und der Roman kam in etwa so gut vom Boden hoch wie ein Granitblock. Neulich habe ich mal wieder reingeschaut in dieses immerhin 120 Seiten lange Fragment. Mit demselben Resultat – nein, daraus wird leider kein Buch. Manche Zauber wirken nur einmal.
Mehrere Ich-Erzähler – geht das?
Natürlich hat die 1. Person auch Grenzen. Es ist zwar möglich, andere Perspektiven einzubauen – Nach dem Sommer von Maggie Stiefvater zum Beispiel wird von zwei Ich-Erzählern erzählt, Sam und Grace. Der Kontrast ist reizvoll, weil man beide Seiten der Liebesgeschichte erfährt, die des Jungen und die des Mädchens. Auch drei Ich-Erzähler sind möglich, wenn man jeweils den Namen des Erzählers an den Anfang der Passage setzt. Doch das lässt sich nicht beliebig multiplizieren – irgendwann kann der Leser die Ich-Sichtweisen nicht mehr auseinanderhalten, ganz abgesehen davon, dass man sich vielleicht nicht mit beliebig vielen Erzählern identifizieren mag.
Die 1. Person eignet sich also eher für einen klaren, geradlinigen Plot, der eng mit den Gefühlen und Gedanken Ihrer Hauptfigur verbunden ist. Wenn man einen solchen Plot hat, kann man mithilfe dieser Perspektive eine sehr intensive Geschichte erzählen, weil der Leser nicht ständig in neue Situationen und Figuren springen muss, sondern mit der Hauptfigur mitfiebern kann bis zur letzten Seite.
Kein KO-Kriterium!
Keine Sorge, du musst dir über die Wahl der Perspektive nicht den Kopf zergrübeln. Wenn die Perspektive nicht ganz so gut passt, wird das den Roman nicht ruinieren. Es kann höchstens sein, dass er in einer anderen Perspektive noch eine Ecke besser geworden wäre. Natürlich ist es fein, wenn man das gleich am Anfang seines Romans herausfindet. Wenn du unsicher bist, dann mach einfach zwei Varianten und klopf mit den ersten Kapiteln bei viellesenden Freunden an. Fällt die Abstimmung eindeutig aus, ist das praktisch, wenn nicht, dann richte dich einfach nach deiner eigenen Vorliebe, denn anscheinend funktioniert beides.
Viel Erfolg!