Nach dem bildgewaltigen Rache-Epos Nevernight um die Assassine Mia hat sich der australische Bestseller-Autor Jay Kristoff in Das Reich der Vampire nun den Geschöpfen der Nacht zugewandt. Im Mittelpunkt des ersten Bands steht Gabriel de León, Mitglied des Ordens der Silberwächter: Vampirjäger, die mit silbernen Tätowierungen geschützt gegen das Böse in den Kampf ziehen.
Kirsten Borchardt hat Das Reich der Vampire ins Deutsche übersetzt und Jay Kristoff nach der Faszination des Bösen befragt.
Kirsten Borchardt: Nachdem es in Nevernight eine sehr starke Heldin gab, tritt in Das Reich der Vampire nun mit Gabriel de León ein klassischer Byron’scher Held auf – eine dunkle, gebrochene Gestalt mit mehr Dämonen, als die Hölle hergibt, ein Einzelgänger, der niemanden an sich heranlassen will, und der stets cool und zynisch bleibt. Wie hat sich diese Figur entwickelt?
Jay Kristoff: In Das Reich der Vampire wollte ich vor allem Verlust thematisieren. Den Verlust von Glauben. Den Verlust von Liebe. Von Ruhm, Hoffnung, sogar von etwas so Elementarem wie dem Sonnenlicht. Ich wollte die Idee erforschen, dass alles zu Ende geht, selbst wenn man es mit Wesen zu tun hat, die ewig leben. Gabriel ist die Verkörperung dieses Themas, vor allem, was den Verlust von Liebe und Glauben betrifft. In dem Wettbewerb um „die Figur, die Jay am meisten gequält hat“ würde er wahrscheinlich auf dem ersten Platz landen, dabei ist er bisher erst in einem Buch aufgetaucht! Die arme Sau!
Das zentrale Element in deinem neuen Roman ist der Tagestod: Eines Tages verdunkelt ein Schleier die Sonne, und es wird auch am Tage nicht mehr richtig hell. Das heißt: rund tausend Buchseiten ohne einen Sonnenstrahl! Das hat mir während der fünf Monate, die ich an der Übersetzung gearbeitet habe, tatsächlich ein bisschen zu schaffen gemacht, aber wie war das für dich? Du bist ja noch viel näher an deinen Figuren dran. Hat das Setting eines Buchs Einfluss auf deine Stimmung?
Jay Kristoff: Haha, das tut mir leid! Aber es stimmt, die Arbeit an diesem Buch war wirklich schwer. Es ist das härteste Buch, das ich bisher geschrieben habe, was das Thema, die Stimmung, die Ästhetik, überhaupt alles angeht. Und dann habe ich es auch noch zu der Zeit abgeschlossen, als die Corona-Pandemie so richtig losging und man tatsächlich ein wenig das Gefühl bekam, die ganze Welt würde untergehen. Die Dunkelheit der Welt ist in dieses Buch eingedrungen – und über diese Brücke auch in mich.
Aber ich denke, dass es in Das Reich der Vampire trotzdem einen Hoffnungsschimmer gibt, selbst in den dunkelsten Momenten. Letztlich geht es in dem Buch um die Suche nach Erlösung.
Gab es etwas Besonderes, das dich zu dieser Geschichte inspiriert hat?
Jay Kristoff: Tatsächlich war es ein langsamer Prozess, der sich über einige Jahre zog, und das Buch hat sich im Laufe des Schreibens sehr verändert. In dem ersten Exposé, das ich meinem Verlag schickte, war Gabriel noch nicht einmal ein Halbvampir, was man sich heute kaum vorstellen kann!
Aber meine Romane haben ihren Ursprung meist in irgendeinem Bild. Das Bild für Reich der Vampire war das, mit dem die Geschichte beginnt - ein Gefangener mit tätowierten Händen, der am Fenster eines dunklen Turms steht und zusieht, wie die Sonne versinkt.
Hast du einen Lieblingsvampir aus Büchern oder Filmen?
Jay Kristoff: Claudia aus Interview mit einem Vampir. Vergiss Lestat. Claudia ist der Dreh- und Angelpunkt für diesen Roman. Eine erwachsene Frau, die auf ewig im Körper eines Kindes gefangen ist und ständig mit ihrem Dasein hadert – das ist ein cooles Konzept für einen Vampir.
Meine Lieblingsvampire sind Adam und Eve aus Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive.
Jay Kristoff: Oh ja – ich liebe diesen Film!