8. Der Ritt in den Sonnenuntergang
Das Klischee des einsamen Ritts in den Sonnenuntergang existiert nicht umsonst. So enden eine Menge Filme - aber eben auch Romane (wobei der Sonnenuntergang optional ist). Der Charakter begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse, in ein neues Abenteuer, ein neues Leben ... aber im Gegensatz zu Ende #1 haben wir hier das unbestimmte Gefühl, dass wir nicht dabei sein werden.
Die Galeone kämpfte sich durch den Sturm nach Süden, und hinter ihnen verglühte das letzte Flackern des Truglichts. Der schwächer werdende, flirrende Schein zog sich in die Dunkelheit zurück, bis er schließlich gänzlich erlosch und der Regen sich wie eine Wand über das Meer schob.
Die Lügen des Locke Lamora von Scott Lynch
9. Alles wird gut
Diese abschließenden Sätze stehen zumeist am Ende einer Reihe, wenn Charaktere schon eine Menge durchgemacht haben. Sie sind wahrscheinlich das, was einem „glücklich bis an ihr Lebensende“ am nähesten kommt und lassen uns wissen, dass es dem Charakter gut geht und dass er ein friedliches Leben genießen kann, dass keine weiteren Katastrophen auf ihn warten:
Die Narbe hatte Harry seit neunzehn Jahren nicht geschmerzt. Alles war gut.
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes von J. K. Rowling
Doch diese Taktik können Autoren auch unterlaufen und uns auf die selbe Weise genau das Gegenteil vermitteln:
Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.
Neunzehnhundertvierundachtzig von George Orwell
10. Poetische oder weise Worte zum Schluss
Einige Bücher wählen als ihre letzten Worte etwas Weises, Schönes, Poetisches, Gedankenanregendes – sie fokussieren sich dabei auf ein Motiv oder eine Stimmung, die im Abschluss der Geschichte liegt.
Sie wog so schwer wie ein großer, vom Fluss glatt geschliffener Stein. Es war der geduldige, blumensichelnde Laut eines Mannes, der darauf wartet zu sterben.
Der Name des Windes von Patrick Rothfuss
Nun erst begannen sie das erste Kapitel der großen Geschichte, die noch keiner auf Erden gelesen hat, der Geschichte, die ewig weitergeht und in der jedes Kapitel besser ist als das vorangegangene.
Der letzte Kampf von C. S. Lewis
(Abschluss der Chroniken von Narnia)
Was macht also einen guten letzten Satz aus?
Ich denke, all die hier genannten letzten Sätze können sehr effektiv sein, und am Ende ist es dann auch der gesamte Abschluss der Geschichte als Ganzes, nicht nur die letzten Sätze, die dafür sorgen, dass man den nächsten Teil einer Reihe lesen möchte oder nicht. Dennoch habe ich, beim Durchsuchen meiner Sammlung nach guten letzten Sätzen (ich habe vielmehr angeschaut, als die hier genannten), ein paar Dinge bemerkt:
- Unauffällige und einfache letzte Sätze funktionieren zumeist besser. Die abschließenden Worte haben Gewicht, weil Leser damit wissen, dass sie das Ende der Geschichte erreicht haben. Wenn die letzten Phrasen sich also zu sehr um Größe und Pomp bemühen, dann driften sie leicht ins Melodramatische ab. Wenn das Ende jedoch zu banal ist, oder sich zu abrupt anfühlt, dann kann alles Gefühl versacken.
- Abschließende Sätze, die sich zu sehr auf Klischees verlassen, führen zu Augenrollen – dem folgende Beispiel kann man das aufgrund des Alters vielleicht noch verzeihen, aber mein Ding ist das dennoch nicht:
»Die Prophezeiungen werden eintreffen«, flüsterte die Aes Sedai. »Der Drache ist wiedergeboren worden.«
Das Auge der Welt von Robert Jordan
- Ein häufig vorkommendes Motiv, wie etwa der Kuss oder der Ritt in den Sonnenuntergang funktionieren dann besonders gut, wenn sie sorgfältig geschrieben sind und sich nicht faul oder konventionell anfühlen.
- Wenn die letzten Absätze eines Buches zu viele der oben genannten Typen (also Kuss + Ritt + zukünftiger Konflikt + Poesie) auf einmal abzurufen versuchen, dann kann das zu gewollt und zu viel wirken.
- Ein guter letzter Satz kann jeglicher Wirkung und jeglichen Effekts beraubt werden, wenn er von einem unnötigen Ausrufezeichen beendet wird!
Meine liebsten Arten von letztem Satz sind die „dummen Sprüche“, die Anspielungen auf Titel oder Themen und natürlich die poetischen Worte – aber eigentlich mag ich alle letzten Sätze, so lange sie nur zur Geschichte passen und diese gut abrunden.