Joachim Sohn, 21.03.2018
Joachim Sohn schreibt Fantasyromane, in denen Tiere die Hauptrolle spielen. Und fragt sich: Ist die Tierfantasy hierzulande schon ein anerkanntes Subgenre in der Fantasyliteratur? Oder geht da noch was?
Ich gebe es zu. Ich schreibe diesen Artikel auch, weil ich selbst Tierfantasy-Autor bin. Aber vor allem, weil ich wissen wollte, wie dieses Genre hier in Deutschland rezipiert wird und ob es sich demnach lohnt, überhaupt weiter Tierfantasy zu schreiben.
Vor kurzem gab es eine virale Aktion unter Autoren und Lesern, bei dem zu einem bestimmten Thema innerhalb der Literatur ein Tweet oder Facebookeintrag abgesetzt werden sollte. Wahrscheinlich auch ein Instagram-Post, aber soweit habe ich es nicht verfolgt Das Ganze lief unter dem Hashtag #phantbest - die Phantastik-Lese-Challenge. Am Tag 29, am 29. Dezember letzten Jahres, war dann das Thema: Bücher mit sprechenden Tieren an der Reihe. Weitere Themen waren unter anderem Schlachtszenen, Lieblingscover oder der Flop des Jahres. Ich wurde nur darauf aufmerksam, weil ich von einem Bloggerfreund mit einem Buch von mir getaggt wurde. Ich folgte dem Hashtag und war gespannt, was die Phantastik-Community noch zu den sprechenden Tieren zu sagen hatte. Das Ergebnis war ernüchternd. Während bei anderen Themen und Genre eifrig Einfälle und Informationen ausgetauscht wurden, war die Beteiligung und das Mitteilungsbedürfnis bei der Tierfantasy äußerst mager, mitunter sogar unangenehm abwertend oder einfach nur hilfesuchend um Ideen ringend. Da wurden dann SF-Titel genannt, in denen Affen oder Delphinen das Sprechen beigebracht wurde. Dabei, so dachte ich, wimmelt es doch von guten Fantasybüchern mit sprechenden Tieren.
Mich begleitet Tierfantasy jedenfalls schon mein ganzes Leben und ich weiß doch, dass ich nicht der Einzige bin. Wir alle lieben Winnie the Puuh, Balu der Bär, sind groß geworden mit Janoschs Tigerente oder dem Hausschwein Wutz aus Urmel aus dem Eis. Okay, Kinderkram. Aber wir haben uns doch mit Rotkäppchen und den sieben Geißlein vor dem bösen Wolf gefürchtet. Ach so, das sind ja bloß Märchen. Aber wir waren in der 9. Klasse betroffen von Animal Farm, Watership Down oder Kästners Konferenz der Tiere. Na und? Wurst schmeckt trotzdem. Und was ist mit Donald Duck und Mickey Maus? Mit Fix und Foxi? Comiiix!
Und heute? Da posten wir das Faultier aus Zootopia und lieben den Waschbären Rocket von den Galaxyguardians. Na ja, das kommt ja auch aus Amerika.
Wenn es also darum geht, aktuelle Bücher zu benennen, die sich mit sprechenden Tieren beschäftigen oder zum Inhalt haben, fällt den meisten außer Narnia oder den Dæmonen aus Pullmans Dark Materials nicht viel ein.
Warum schneidet Tierfantasy hier so schlecht ab?
Selbst bei dem Versuch zu definieren, was Tierfantasy ist, wird es schon schwierig, denn bislang gibt es weder in der deutschsprachigen, noch in der englischsprachigen Wikipedia – und das hat mich dann doch sehr erstaunt – einen Eintrag zu Tierfantasy oder Animal Fantasy. Ich scheine da tatsächlich auf eine große Lücke im kollektiven Wissen gestoßen zu sein. Und dabei, ich wiederhole es noch mal, begleiten uns Tierfiguren mit mehr oder weniger anthropomorphen Zügen von unserer Kindheit an bis ins hohe Alter. Die Bandbreite der Tierfantasyliteratur ist groß.
Was haben wir denn da alles?
In meiner Kindheit gab es zum Beispiel Kinderbücher und Tierfiguren wie Petzi der Bär, Mecki der Igel und Lurchi der Salamander. Vollkommen normal war es, dass in den Disney-Comics fast ausschließlich Tierfiguren ihr Unwesen trieben. Bei Rolf Kauka’s Äquivalent für den deutschen Markt war es nicht anders. Ich mische schon hier bewusst die Medien Text und Bild und werde an späterer Stelle noch mal detaillierter darauf eingehen. Denn vor allem in den Trickfilmen, sei es aus Japan mit Kimba der weiße Löwe, den USA mit seinen Disney-Klassikern, allen voran Robin Hood, Bernhard und Bianca, Cap und Capper, König der Löwen und Bärenbrüder oder Großbritannien mit den Kurzfilmen um Fred Basset oder Nick Parks legendäre Zootiere-Interviews Creature Comforts, Chicken-Run oder Shaun das Schaf sind uns immer und zu jeder Zeit sprechende Tierfiguren begegnet.
Und die Tradition geht, wie jeder weiß, noch viel weiter zurück. Deswegen dürfen die Fabeltiere nicht unerwähnt bleiben. Die gibt es nicht nur in den diversen Mythologien, sei es die sprechende Schlange aus der Bibel, an die selbst heute noch stramme konservative republikanische Gouverneure glauben, wie Bill Maher in der Dokumentation „Religulous“ beweisen konnte, oder die griechischen Mischwesen wie Harpyien und Zentauren. Sie begegnen uns im deutschsprachigen Raum vor allem durch die diversen Tierfiguren wie Adebar, Adelheid, Meister Petz, Grimbart, Henning und Hinze, Isegrim, Meister Lampe und nicht zu vergessen Reineke Fuchs, von dem selbst Goethe ein Tierepos in 12 Gesängen verfasst hat. Hochliteratur also, die heute wahrscheinlich ein jämmerliches Nischendasein führen würde.
Und dann haben wir natürlich noch unsere Einhörner, Werwölfe, Meerjungfrauen, Phönixe und Drachen. Ich meine, was wäre der Hobbit ohne Smaug?