Fabeln und Sagen
Einen Namen habe ich bereits bei den Kinderbüchern erwähnt und erwähne ihn hier noch einmal, weil er in zwei so verschiedenen Stimmen geschrieben hat. Otfried Preußlers Krabat ist eine phantastische, düstere Adaption einer sorbischen Sage um Macht und Liebe. Raschelnde Rabenfedern, wenn der junge Streuner Krabat das erste Mal auf die Stange in der Kammer des Müllermeisters fliegt. Tondas graues Haar, der Liebe und Lebenslust verlor. Das Leuchten der roten Feder am Hut des Gevatters und das Verderben, das über jedem Jahresende hängt – Krabat vergisst man so schnell nicht.
Hans Bemmann hat sich in Stein und Flöte keiner bereits existierenden Sage oder Fabel gewidmet, sondern erschafft seine eigene symbolische Märchenwelt, in der der Junge Lauscher zwei magische Gegenstände erhält: einen Stein und eine Flöte. Er missbraucht beides und findet seinen Weg nicht, wird stattdessen erst in einen Faun und dann in eine Faunstatue verwandelt und schließlich von der Liebe seines Lebens erlöst.
Bücher fürs (innere) Kind
Viele der besten Fantasybücher aller Zeiten sind Kinder- oder Jugendbücher. Man könnte auch „All Age“ dazu sagen, wobei der Begriff noch nicht erfunden war, als sie geschrieben wurden.
Michael Ende war ein Virtuose darin, jede Altersgruppe etwas anderes aus seinen Büchern herauslesen zu lassen. Kinder finden sich selbst in Titelheldin Momo, Erwachsene blicken vielleicht in den Spiegel des Friseurs Herr Fusi oder in die gescheiterten Träume von Gigi Fremdenführer und sehen graue Männer hinter sich stehen, und alte Menschen suchen die Ruhe von Beppo Straßenkehrer. Die alterslose Fabel über das Verstreichen von Zeit und über das wirklich Wichtige im Leben liest sich aktueller denn je, auch wenn Smartphones und Internet-Prokrastination in ihr fehlen.
Die unendliche Geschichte ist für viele vom Film überschrieben worden, doch noch mal einen Blick ins Buch zu werfen, lohnt sich. Erstens natürlich wegen des Endes, das im Film zuckersüß daherkommt und im Buch unendlich qualvoller ist. Ein Weg durch Allmacht und verlorene Erinnerungen hindurch zum eigenen Wesenskern. Für mich wird Atréju immer olivgrüne Haut haben, und Phantásien schmeckt nach dem Eintopf der alten Urgl, klingt wie die Stimme der Stille – und an seinen Rändern lauert stets das Nichts …
Auch die Verfilmung von Der Goldene Kompass von Philip Pullman litt an einem Ende, das der großartigen Vorlage nicht gerecht wurde und schmälert damit den „Impact“, den die Geschichte hat. Obwohl ich kein dogmatischer Verfechter von: „Erst lesen, dann gucken“ bin, heißt hier die Empfehlung eindeutig: Lesen! Die beiden parallel existierenden Welten, eine Welt mit Dæmonen als Tiergefährten, die Naturwissenschaften und der „Staub“, zahlreiche Anklänge an Jungsche Psychologie und christliche Mythologie sind die Zeit wert, auch wenn Eva Green eine tolle bogenschießende Hexe war.
Und nun kommen wir zu Harry Potter! Der magiebegabte Waisenjunge mit der Bestimmung, einen faschistoiden Schurken zu Fall zu bringen, hat eine ganze Generation geprägt. In sieben Bänden legt Harry seine zunächst witzige und später zunehmend schmerzhafte Reise vom Kind zum Erwachsenen zurück, sieht Freunde und Mentoren sterben und lernt immer wieder, dass er, wenn er sich entscheiden muss „zwischen dem richtigen Weg und dem leichten“, den richtigen Weg wählen wird, gegen alle Widerstände. In Harrys durchweg abwechslungsreich charakterisierten Freunden wie Hermine, Ron, Luna, Neville, Fred und George, Cho, Ginny und Co. findet jede Leserin, jeder Leser einen Lieblingscharakter. Harry Potter hat vielen, die die Reihe als Jugendliche verschlangen, gezeigt, was Zivilcourage bedeutet und war ein Vorreiter der modernen Jugendfantasy.
Und zum Schluss: Was zum Lachen!
Tut mir leid, Walter Moers und Terry Pratchett – ihr seid bei den Erwachsenenbüchern gelandet, denn dieser Platz hier war reserviert für … *Trommelwirbel* Die Brautprinzessin von William Goldman! Ein Buch voller Absurditäten, logischer Brüche und Umerzählungen, während ein Großvater seinem Enkel die Geschichte vorliest und der Enkel immer wieder korrigierend eingreift. Mit unglaublichen Fechtduellen und noch unglaublicheren Sprüchen. Man muss es einfach lieben – und da fällt mir wieder ein: Ich habe noch nie den Film gesehen! Das muss ich unbedingt nachholen, macht’s gut!