Achim Fehrenbach, 05.04.2018
Einhundertzweiundsiebzig: So viele Treffer erhält, wer auf Steam nach dem Stichwort »lovecraftian« sucht. Auch Download-Plattformen wie gog.com bieten etliche Games, die sich auf den Meister des dräuenden Unheils berufen: mal direkt im Titel, mal in der Spielbeschreibung. Knapp 80 Jahre nach Lovecrafts Tod scheint das Interesse an seinem Vermächtnis ungebrochen – das zeigt auch die Werkausgabe, die Fischer Tor kürzlich veröffentlicht hat.
Doch ist das Medium Computerspiel dem Lovecraft-Horror überhaupt gewachsen? Die unermesslichen Schrecken, die der Autor wachruft, entfalten sich ja gerade im Kopf des Lesers, statt ihm direkt ins Gesicht zu springen. Lovecraft gelingt es vortrefflich, allein mit Andeutungen die Existenz eines uralten Bösen zu evozieren, dem die Menschen und ihr alltägliches Treiben vollkommen gleichgültig sind, das aber, sobald es aus seinem Äonenschlaf geweckt wird, von keiner menschlichen Macht aufgehalten werden kann. Demgegenüber muten die Titel mancher Lovecraft-Games doch recht kurios an. Etwa das Retro-Rollenspiel Cthulhu Saves The World (»Auf der Suche nach Erlösung, Romantik und Wahnsinn!«)
Andere Games nehmen das Lovecraft-Vermächtnis deutlich ernster. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie dem Werk des Autors vollauf gerecht werden. In seinem Essay »Lovecraftian Lies« stellt Damien Lawardorn die These auf, dass Computerspiele überhaupt nicht »lovecraftian« sein können. Er nennt zahlreiche Aspekte, in denen sich Horrorspiele strukturell und ästhetisch von Lovecraft-Erzählungen unterscheiden. Zum Beispiel würden Wesen wie Cthulhu in Games meist bildlich dargestellt, während Lovecraft das Aussehen der Großen Alten bestenfalls andeute – um zu unterstreichen, dass deren Monstrosität die menschliche Auffassungsgabe schlichtweg übersteigt. Zwar mache Lovecraft hin und wieder Ausnahmen bei weniger mächtigen Geschöpfen (siehe »An den Bergen des Wahnsinns«). Doch werde beim Einsatz von Monstern in »Lovecraft-Games« der Bogen häufig überspannt.
Lawardorn unterstreicht seine Ausgangsthese noch mit anderen Beispielen. Besonders interessant sind seine Ausführungen zum Thema »Wahnsinn«. Unvorstellbare Schrecken brächten Lovecrafts Figuren zwar häufig um den Verstand, so Lawardorn. Dennoch habe der Autor kein wirkliches Interesse an weiterführenden psychologischen Analysen gehabt, im Gegenteil: Seine Figuren werden schlagartig vom Wahnsinn übermannt, ein Zurück gibt es dann nicht mehr. Das, so Lawardorn, verträgt sich nicht mit den sanity meters(Skalen) in Spielen wie Darkest Dungeon oder Amnesia: The Dark Descent, die sich je nach Gemütszustand des Protagonisten füllen oder leeren. Etwa dann, wenn sie Monster erblicken oder zu lange in der Dunkelheit verharren.
Lawardorn ist sich seiner Sache vielleicht ein bisschen zu sicher, wenn er schreibt: »Ihrem Wesen nach ermächtigen Games die Spieler und geben ihnen die Möglichkeit, sich gegen alle nur denkbaren Monster oder Feinde zu verteidigen, die in der Dunkelheit lauern. Lovecrafts Erzählungen hingegen setzen auf Entmachtung – mit Hindernissen, die nicht angegangen und erst recht nicht überwunden werden können.« Tatsächlich trifft Lawardorns Definition auch auf die meisten der nun folgenden Computerspiele zu – aber eben nicht auf alle und auch nicht zu hundert Prozent. Mal ganz abgesehen davon, dass auch ein »Lovecraft-nahes« Spiel sehr viel Spaß machen – oder besser: Furcht einflößen – kann.
The Last Door
Das viktorianische England ist Schauplatz des episodischen Horror-Abenteuers The Last Door. Jeremiah Devitt erhält einen Brief von seinem alten Schulkameraden Anthony Beechworth. Er kann die kryptische Botschaft nicht entziffern, ahnt aber Schlimmes – und macht sich auf den Weg zu Beechworths Landhaus. Dort kommt Devitt einer Vergangenheit auf die Spur, die er besser hätte ruhen lassen sollen.