Mehr Phantastik

Buchtipps für Weihnachten von unseren Tor-Online-Autor*innen

Weihnachtsbaum mit Geschenken, Kaminfeuer und rechts ein Fenster, dass eine Winterlandschaft zeigt
© pixabay/louda2455

TOR-Team, 01.06.2023

Weihnachten steht vor der Tür. Ihr wisst noch nicht, was ihr verschenken sollt? Unsere Tor-Online-Autor*innen haben ein paar Buchtipps für euch am Start.

Dass hier auch Bücher von anderen Tippgeber*innen empfohlen werden, ist dem Zufall geschuldet. Die Teilnehmenden wussten nicht, wer sonst noch mitmacht.

Magie und Milchschaum | Travis Baldree

Während des Corona-Lockdowns entschied der amerikanische Videogame-Entwickler und Hörbuchsprecher Travis Baldree, selbst mal einen Fantasy-Roman zu schreiben. Das für den Hugo Award nominierte Ergebnis Magie und Milchschaum ist gemütliche, liebenswerte und einnehmende Genre-Kost irgendwo zwischen Rollenspiel- und Scheibenwelt. Ork-Barbarin Viv erschlägt ihr letztes Monster, verlässt ihre alte Abenteuer-Truppe und schickt sich an, in einer fremden Stadt ein neuartiges Café zu eröffnen. Mit ein paar sympathischen Helfer*innen stellt sie sich allen Herausforderungen auf dem Weg von der Kriegerin zur Barista: den örtlichen Gangstern, dem Schatten der Vergangenheit, den eigenen Zweifeln und Gefühlen. Dabei ist Travis Baldrees Roman Cozy- und Feelgood-Fantasy vom Feinsten. Und so ein Buch können wir nach einem Jahr wie diesem alle gut gebrauchen.

Christian Endres

Dies ist mein letztes Lied | Lena Richter

Dies ist mein letztes Lied ist eine wundervolle SF-Novelle, die treffend als Space-Portal-Fantasy beschrieben wird. Protagonist*in Qui bricht mit Hilfe magischer Türen aus dem Kreislauf aus Arbeit und Konsum aus und tritt eine Reise durch die Galaxie an, die unter anderem einen erbitterten Krieg, ein ganzes Volk in Kryostasis, eine vernichtende Naturkatastrophe, virtuelle Welten sowie Phasen der Einsamkeit und Zweisamkeit beinhaltet. Lena Richter schildert in ihrer Novelle ein ganzes Leben voller Höhen und Tiefen, zwischenmenschlicher Kälte und Wärme, Kapitalismuskritik und Musik, die Qui bis zum letzten Lied trägt und die Leserschaft tief berührt. Das hübsche kleine Taschenbuch lässt sich wunderbar an Freund*innen in aller Welt verschicken.

Judith Madera

Die Stadt der tausend Treppen | Robert Jackson Bennetts

Robert Jackson Bennetts Trilogie um die „Göttlichen Städte“ ist bereits vor einigen Jahren erschienen, aber leider eher ein Geheimtipp geblieben. Im Serienauftakt Die Stadt der tausend Treppen entführt der Autor die Lesenden in die Stadt Bulikov, in der die politische Situation, aber auch die Realität selbst von dem Erbe besiegter Gottheiten geprägt ist. Vor diesem Hintergrund versucht Spionin Shara Tivani, einen Mord aufzuklären, und stößt auf ein sehr viel größeres und gefährlicheres Geheimnis als erwartet. Die Stadt der tausend Treppen ist nicht nur originell, unterhaltsam und bildgewaltig, sondern wartet auch mit einer spannenden Auseinandersetzung mit Themen wie Religion, Identität und Erinnerung auf. Meiner Meinung nach ist das Buch ein solides Weihnachtsgeschenk für Fans ungewöhnlicher Fantastik, die zum Mit- und Nachdenken anregt.

Swantje Niemann

Jade City | Fonda Lee

Jade City von Fonda Lee ist die Geschichte einer Clanrivalität und verbindet Martial Arts im Wuxia-Stil (ermöglicht durch bioenergetische Jade) mit Kung-Fu-Hong-Kong-Movie-Flair und den Familienverstrickungen aus Der Pate. Der Roman hat mich vor allem durch sein beeindruckendes Worldbuildung und seine bemerkenswert gezeichneten, vielschichtigen Figuren überzeugt. Außerdem trägt die Autorin einen Schwarzen Gürtel und das merkt man ihren Kampfszenen in positiver Weise an. Die nachfolgenden Romane erweitern die Handlung um ein Einwanderungssetting und gestalten die ohnehin gut gezeichnete Erzählwelt damit noch interessanter. Die Trilogie zeigt, dass Fantasy nicht nur auf bestimmte Tropes und Subgenres begrenzt sein muss und gehören zum Besten, was ich in den vergangenen Jahren gelesen habe (und die Konkurrenz war groß).

Christian Vogt

The Quiet is Loud | Samantha Garner

Eine Gemeinschaft am Wendepunkt, eine Familie, deren Generationen sich einander entfremdet haben und eine junge Frau, die sich aus ihren Ängsten und ihrer Einsamkeit herauskämpft: The Quiet is Loud ist ein vielschichtiger Debütroman über den Umgang mit dem Fremden oder Ungewohnten – hier repräsentiert durch Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Langsam und sehr ruhig erzählt, dabei aber nie langatmig. Eine Empfehlung für alle, die nachdenkliche Fantasy am Puls der Zeit schätzen und nicht auf jeder Seite eine Actionszene brauchen.

Alessandra Reß

The Terraformers | Annalee Newitz

Die Erde ist nicht mehr bewohnbar, die Menschheit hat das All erobert. Konzerne kaufen Planeten auf, um sie über Hunderte von Jahren mittels Terraforming bewohnbar zu machen und Wohnsitze an reiche Menschen zu verkaufen, die diese selbst oder mittels eigens erstellter Gastkörper bewohnen können. Für das Terraforming sind in verschiedenen Phasen genetisch veränderte Menschen zuständig, die mehrere Hundert Jahre alt werden und gemeinsam mit Drohnen und intelligenten Tierwesen alles für die neuen Besitzer*innen vorbereiten. Klingt irgendwie nach Dystopie und Cyberpunk? Ist es aber nicht, denn erstaunlicherweise schafft Annalee Newitz es, aus dieser Prämisse einen trotzig-hoffnungsvollen Roman zu machen. Zwischen echt abgefahrenen Ideen wie sich verliebenden Cyber-Elchen und intelligenten Zügen ist das Buch eine Liebeserklärung an Demokratie, egal, wie kompliziert sie auch sein mag, und diskutiert Fragen wie öffentliches Transportwesen, Landbesitz und Tierhaltung aus einem ganz neuen Blickwinkel. Erzählt in drei Generationen mit jeweils etwa 700 Jahren Zeitabstand ist The Terraformers ein überaus schlauer und innovativer Roman, dem man auf eine positive Weise anmerkt, dass Newitz auch großartige Sachbücher schreibt.

Lena Richter

Utopien für den Alltag – Eine kurze Geschichte radikaler Alternativen zum Patriarchat | Kristen Ghodsee

Ich bin Kristen-Ghodsee-Fangirl. Ich höre seit Jahren ihren Podcast A.K. 47 – 47 Selections from the Works of Alexandra Kollontai, in dem sie Texte der Sozialistin Alexandra Kollontai vorliest und aus heutiger Perspektive kommentiert. Von den zahlreichen Sachbüchern der East-European-Studies-Dozentin kenne und liebe ich Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben und das im vergangenen Jahr erschienene Red Valkyries – und in diesem Jahr hab ich mir direkt ihr neues Buch Everyday Utopia mit in den Sommerurlaub genommen.

Erfreulicherweise hab ich es wenig später auf der Buchmesse am Suhrkamp-Stand schon in deutscher Übersetzung entdeckt, daher wird es dieses Jahr definitiv mein Hopepunk-Weihnachtsgeschenk: Ghodsee widmet sich alternativen Geschichten des menschlichen Zusammenlebens und der Sorgearbeit – und eröffnet die Kapitel immer mit persönlichen Erfahrungen und – da sie SF-Fan ist – oft mit Anekdoten, wie Star Trek, Wonder Woman oder Prinzessin Leia sie geprägt und ihr die Augen geöffnet haben.

Wusstet ihr, dass Pythagoras eine besitzlose Mathematiker*innenkommune in Süditalien gegründet hat, in der Frauen und Männer gleichberechtigt waren? Dass die Menschenaffenforschung uns Einiges über Hoden- in Relation zu Körpergröße verrät, aber nichts darüber, was die „natürliche Form“ des menschlichen Zusammenlebens ist? Welche Wohn- und Gemeinschaftsexperimente es auf der ganzen Welt gab und gibt? Ghodsee findet, schildert und kommentiert Alternativen und möchte ihre Leser*innen dazu anregen, selbst gemeinschaftliche Veränderungen zu suchen oder anzustoßen und wenn sie auch noch so klein sind.

Denn: „Believing that the future cannot be changed by our actions is just a convenient way of absolving ourselves of the need to take those actions.“

Judith Vogt

Die Prinzessinnen: Fünf gegen die Finsternis | Christian Endres 

Fünf Prinzessinnen stehen in diesem düsterem Fantasy-Roman im Mittelpunkt - aber statt Ballkleider und Schmuck tragen sie Rüstungen und Waffen. Schwertschwingend ziehen sie durch die Lande, um Jungfern in Nöten zu retten, teils auch vor ihren eigenen Familien und sich selbst. Mit Werwölfen und Ogern machen sie ebenso kurzen Prozess wie mit Gesetzlosen und Kobolden - und auch vor Drachen scheuen sie nicht zurück.

Die Prinzessinnen ist ein packender, in sich abgeschlossener Reihenauftakt, der daherkommt wie eine Mischung aus modernem Action-Kracher und düsterem Märchen. Die Story besitzt neben ihrem schnellen Tempo auch Witz und alle fünf Heldinnen haben eigene Hintergrundgeschichten. Da vergeht die Lese-Zeit zwischen den Jahren wie im Flug.

Christian Handel

Die kleinen Wunder von Mayfair | Robert Dinsdale

Eine schwangere Jugendliche, die von zu Hause wegläuft und in einem wundersamen Spielzeugladen in London landet: Papa Jacks Emporium, ein riesiges Spielzeugkaufhaus, das zum ersten Frost seine Pforten öffnet, dessen Waren ein magisches Eigenleben entwickeln und die Besucher – groß wie klein - verzaubern. Auf den ersten 150 Seiten vermittelt das Buch eine so wunderbare Weihnachtsmagie, wie ich sie selten gelesen habe. Doch dann wechselt die Stimmung, wenn der Erste Weltkrieg ausbricht, wir mehr über die tragische Familiengeschichte der Toymakers (wie das Buch im Original heißt) erfahren und die Dramatik der Weltkriege der Geschichte eine düstere Note verleiht.

Das Buch ist schon vor ein paar Jahren erschienen und hat viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Die Magie, die die verschrobene Spielzeugmacherfamilie hier verströmt, ist einzigartig und orginell, dazu viel Herzlichkeit und ein entrücktes Wunderland, das mit der Zeit Risse bekommt, wenn die Realität sich unerbittlich hineindrängt. Allein wegen des Weihnachtszaubers im ersten Drittel lohnt sich das Buch bestens als Weihnachtsgeschenk, und trotz der düsteren Wendungen bleibt etwas vom Zauber bis zum Ende erhalten.

Markus Mäurer

Hier ein paar Fischer-Tor-Titel, die sich als Geschenk eignen

Christian Endres

Christian Endres ist Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Artikeln und anderem. Im April 2023 erscheint sein neuer Fantasy-Roman Die Prinzessinnen – Fünf gegen die Finsternis über eine Gruppe knallharter Söldnerinnen, im November die Forsetzung Helden und andere Dämonen.

Daneben schreibt er für den Tagesspiegel, Tip Berlin, diezukunft.de, phantastisch!, Doppelpunkt, Geek! und viele mehr. Für Panini betreut er redaktionell die Comic-Ausgaben von Spider-Man, Batman, Conan, den Avengers und anderen. Neben den Büchern „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ und „Die Zombies von Oz“ veröffentlichte er Geschichten in Anthologien, Magazinen wie c’t und Exodus, der Heftreihe Basement Tales, Basteis Horror Factory sowie auf Englisch im Sherlock Holmes Mystery Magazine und in Heavy Metal. Er wurde bereits mit dem Deutschen Phantastik Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

www.christianendres.de 

https://twitter.com/MisterEndres

Judith Madera

Judith Madera ist Literatopia-Chefredakteurin und Herausgeberin des Online-Fanzines PHANTAST. Seit 2019 schreibt sie gelegentlich für TOR online über Science Fiction, Anime und Manga. Mehr unter www.literatopia.de

Swantje Niemann
© privat

Swantje Niemann

Swantje Niemann wurde 1996 in Berlin geboren. Als Leserin, aber auch als Autorin ist sie am liebsten in den verschiedenen Subgenres der Phantastik unterwegs und teilt auch gerne in Blogposts und Rezensionen ihre Eindrücke von Büchern. Sie schreibt unter anderem für das Fanzine „Phantast“. 2021 erschien ihr vierter Roman, „Das Buch der Augen“. Mehr Informationen findet ihr unter https://www.swantjeniemann.de

Christian Vogt

Christian Vogt, Jahrgang 1979 und promovierter Physiker, kombinierte seine Vorliebe für Naturwissenschaft und Schriftstellerei in Fantasy- und Science-Fiction-Welten. Gemeinsam mit seiner Partnerin Judith veröffentlichte er zahlreiche Romane, darunter den historischen Fantasykrimi Anarchie Déco und den Histo-Fantasy-Roman Schildmaid: der Lied der Skaldin. Außerdem hat er als Spieldesigner bereits mehrere Pen&Paper-Erzählspiele veröffentlicht.

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/

Lena Richter

Lena Richter ist Autorin, Lektorin und Übersetzerin mit Schwerpunkt Phantastik und veröffentlichte Kurzgeschichten, Essays und Artikel. Lena ist eine der Herausgeber*innen des Phantastik-Zines Queer*Welten und spricht gemeinsam mit Judith Vogt einmal im Monat im Genderswapped Podcast über Rollenspiel und Medien aus queerfeministischer Perspektive. Im Februar 2023 erschien ihre Science-Fiction-Novelle Dies ist mein letztes Lied im Verlag ohneohren. Mehr zu ihr findet ihr auf ihrer Website lenarichter.com oder auf Twitter unter @Catrinity.

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de

Christian Handel - neu 2023
© Privat

Christian Handel

Christian Handel stammt aus der Schneewittchen-Stadt Lohr am Main, lebt und schreibt aber bereits seit vielen Jahren in Berlin. Er liebt emotionale Geschichten, die queere Themen und märchenhafte Motive aufgreifen und macht sich online und offline immer wieder für LGBTQ+ Literatur stark. Für seine Bücher wurde er unter anderem mit dem Amanda-Neumayer-Stipendium und dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Außerdem ist er einer der größten Buffy-Fans überhaupt. Mehr über ihn erfährt man auf www.christianhandel.de.

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel), arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur und ist auf Tor Online für das Content Management und die Redaktion verantwortlich.

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