F.B. Knauder schreibt humoristische Fantasy mit einem Fokus auf Inklusion und realen Charakteren. Teil 2 seiner Insel-Reihe „Eine Wirtin, ein Schatten und ein Dreckswinter“ ist bereits komplett geschlechtsneutral geschrieben. Der Roman erschien am 7. August im Selfpublishing. Mehr zu ihm auf fbknauder.com.
F.B. Knauder, 27.08.2020
Kann man einen ganzen Roman geschlechtsneutral schreiben? Der Autor F. B. Knauder erzählt, wie er genau das geschafft hat, und gibt Tipps, wie das alle hinkriegen können. Spoiler: Es ist nicht schwer.
Gendern – oder: geschlechtsneutrales Schreiben – ist mittlerweile schon weitgehend akzeptiert. Oder zumindest wird es immer akzeptierter. Das gilt vor allem in der Kommunikation von Unternehmen und in journalistischen Texten. Es gibt schließlich mittlerweile genug Methoden dafür. Sterne, Unterstriche oder Doppelpunkte machen das Gendern in vielen Formen zum Kinderspiel. Aber nicht in Romanen.
Ich bin ehrlich. Mich würde es auch irritieren. Gendern mit Sonderzeichen passt irgendwie einfach nicht in die Fiktion. Das Ergebnis davon: Wir gendern in Romanen einfach gar nicht. Funktioniert halt nicht, und gut so. Richtig? Falsch.
Geschlechtsneutrale Romane sind einfach
Man kann sehr wohl ganze Romane geschlechtsneutral schreiben. Egal von welchem Genre. Egal über welches Thema. Egal mit welchen Charakteren. Ihr glaubt mir nicht? Dann lasst mich euch sagen, dass mein vor Kurzem erschienenes zweites Buch „Eine Wirtin, ein Schatten und ein Dreckswinter“ komplett gegendert ist. Und zwar nicht mit dem generischen Maskulinum. Judith C. Vogt und Christian Vogt waren mit „Wasteland“ sogar ein Jahr früher dran als ich.
Und wir drei werden nicht die Letzten sein. Denn geschlechtsneutrales Schreiben ist nicht schwer. Alles, was man dafür können muss, ist … nun ja … schreiben eben. Und damit sollten Leute, die ihr Geld damit verdienen, Worte in schöne Muster zu quetschen, doch eigentlich kein Problem haben. Oder?
Aber ich weiß, wie groß die Aufgabe wirkt. Es ist ein Skill, den wir Schreibenden uns aneignen müssen, wie alles andere auch. Und deshalb gebe ich euch hier ein paar geschickte Methoden zum Gendern in Romanen ohne Sonderzeichen mit auf den Weg. Und zwar anhand eines Beispiels. Immerhin wird alles besser, wenn wir es mit einem Beispiel erklären.
Das Original
Sie schritt zwischen toten Kriegern hindurch auf die Höhle des Biests zu. Ihr Blick wanderte langsam von einem Gefallenen zum nächsten. Über die Wunden in den Seiten der toten Soldaten. Über die abgerissenen Glieder der Schützen. Über die zertrümmerten Knochen der Magier. Sie schluckte schwer. Der Drache hatte keinen verschont. Jeder war gefallen.
Sie biss sich auf die Lippe. Wieso glaubte sie, dass sie eine Chance haben könnte, wo doch alle Soldaten des Reichs gescheitert waren? Sie atmete tief durch und fokussierte auf den Eingang der Höhle. „Weil ich die letzte Chance des Prinzen bin.“
Mit diesen Worten packte sie das Schwert fester. Es hatte so vielen Kämpfern zuvor gedient. Es war Aufgaben gewachsen, die größer waren als die mächtigsten Helden. Es war auch bereit für diese. Die Aufgabe, die keinem sonst gelungen war. Aber sie würde nicht scheitern.
So weit, so gut. Der Text ist zwar absichtlich mit generischen Maskulina überladen, aber damit lässt sich schon gut arbeiten. Fangen wir einfach mal ganz oben an.
1. Neutrale Begriffe
Sie schritt zwischen toten Kriegern zwischen Leichen hindurch auf die Höhle des Biests zu.
Hier habe ich die toten Krieger durch die Leichen ersetzt. Leichen sind geschlechtsneutral, und das ist wohl der wichtigste Trick zum nichtbinären Schreiben. Es gibt viele neutrale Bezeichnungen, die ihr anstelle des eigentlichen Begriffs verwenden könnt. Personen, Menschen, Leute, Angestellte und so weiter. Solange der Kontext an anderer Stelle kommt, ist alles gut.
2. Plural über Singular
Ihr Blick wanderte langsam von einem Gefallenen zum nächsten über die Gefallenen.
Das ist der zweite wichtige Trick. Den Plural verwenden. Die Logik dahinter ist ganz einfach. Die deutsche Sprache hat nur im Singular ein grammatikalisches Geschlecht (im Gegensatz zum natürlichen Geschlecht, der Unterschied wird hier erklärt), nicht im Plural. Viele Wörter werden also automatisch neutral, wenn sie in der Mehrzahl stehen.
3. Allgemeiner werden
Über die Wunden in den Seiten der toten Soldaten der Toten.
Hier bin ich allgemeiner geworden. Auch das ist praktisch beim Gendern. Manchmal reicht es, einfach einen Schritt zurückzutreten, und schon gibt es einen Begriff, den ihr verwenden könnt. Das ist ganz ähnlich wie der Punkt mit den Leuten und Menschen weiter oben.
4. Konkreter werden
Über die abgerissenen Glieder der Schützen eines Schützen. Über die zertrümmerten Knochen der Magier einer Magierin.
Das hier ist die umgekehrte Strategie. Ihr könnt konkreter werden und euch direkt auf eine bestimmte Person beziehen, die ein definitives Geschlecht hat. In diesem Fall geht es eben nicht um viele, sondern um nur einen Schützen und eine Magierin. Passt hier aber auf, dass ihr die Geschlechter gleichmäßig repräsentiert, und verlasst euch nicht allein darauf. Nichtbinäre Personen – weder Mann, noch Frau – kommen so nämlich wiederum gar nicht vor.
5. Achtung: Pronomen
Sie schluckte schwer. Der Drache hatte keinen niemanden verschont. Jeder war gefallen. Alle waren gefallen.
Keine:r und jede:r sind gemeine Wörter. Sie schleichen sich gern ein, beziehen sich aber eben nur auf ein Geschlecht. Der schnelle Weg hinaus: niemand und alle.
6. Organisationen zur Rettung
Sie biss sich auf die Lippe. Wieso glaubte sie, dass sie eine Chance haben könnte, wo doch alle Soldaten des Reichs gescheitert waren das ganze Militär des Reichs gescheitert war?
Manchmal müsst ihr weg von Personen an sich gehen. Stattdessen könnt ihr euch auf die Organisationen stützen, zu denen sie gehören. Die Polizei, der Staat, das Militär, die Schule, die Zeitung und so weiter. Euer Vorteil: Solche Begriffe verwenden wir ja ohnehin schon in der Alltagssprache.
7. Partizipien nutzen
Sie atmete tief durch und fokussierte auf den Eingang der Höhle. „Weil ich die letzte Chance des Prinzen bin.“ Mit diesen Worten packte sie das Schwert fester. Es hatte so vielen Kämpfern Kämpfenden zuvor gedient.
Diese Form sind wir zwar nicht gewohnt, aber sie ist eine gute Rettung in letzter Sekunde. Partizipien wie Backende, Entwickelnde, Laufende und so weiter haben aus Prinzip kein Geschlecht. Wenn euch also gar kein anderes Wort einfällt, könnt ihr immer auf die Tätigkeit der Personen ausweichen.
8. Umschreiben
Es war Aufgaben gewachsen, die größer waren als die mächtigsten Helden ältesten Epen.
Manchmal hilft alles nichts. Da wollt ihr einfach keine geschickte Alternative finden. Aber hier gibt es einen tollen Ausweg: den Satz einfach umschreiben. Das macht ihr beim Überarbeiten sowieso. Warum also nicht hier?
9. Aktiver schreiben
Es war auch bereit für diese. Die Aufgabe, die keinem sonst gelungen war die sonst alle in die Knie gezwungen hatte. Aber sie würde nicht scheitern.
Der letzte Tipp ist etwas allgemeiner. Schreibt aktiv. Vermeidet Substantive, soweit möglich. Verben haben kein Geschlecht, und glaubt mir: So gendert es sich gleich viel leichter.
Es gibt noch mehr
Das ist noch lange nicht alles. Es gibt unzählige Methoden, wie ihr komplett gegendert schreiben könnt, ohne dass ihr die Leute komplett aus ihrem Lesefluss herausreißt. Ihr könnt immer genauso szenisch und dramatisch bleiben. Genauso emotional und humorvoll. Ihr braucht dafür nur ein bisschen Sprachgefühl. Das traue ich euch zu. Wenn ihr mehr zum Thema „Geschickt Gendern“ wissen wollt, bookmarkt euch gleich mal geschicktgendern.de. In dem Genderwörterbuch findet ihr eigentlich immer hilfreiche Alternativen.
Aber – und das ist ein ganz wichtiges Aber – ich muss das alles noch einschränken. Geschlechtsneutral zu schreiben ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Unsere Gesellschaft ist immer noch so gepolt, dass wir auch bei neutralen Bezeichnungen weiterhin an Männer denken. Es kann also durchaus vorkommen, dass ihr die Lesenden extra mit der Nase draufstoßen müsst.
Und – und dieses Und ist genauso wichtig wie das Aber – inklusive Sprache endet nicht mit dem Geschlecht. Es gibt viele rassistische, ableistische, antisemitische, queermise und in sonstiger Form ausgrenzende Formulierungen, die fest in unserem Sprachgebrauch verankert sind. Um die zu finden, müsst ihr euch weiter schlaumachen und auch Sensitivity Reader für eure Projekte anheuern. Es gibt viele von ihnen, und sie verbessern eure Geschichten bestimmt immens.
Für inklusives Schreiben müsst ihr zwar ein wenig nachdenken und üben, aber es ist leichter, als ihr denkt. Es kostet vielleicht etwas Zeit, doch diese Zeit solltet ihr euch nehmen. Sie ist es wert. Und falls ihr immer noch denkt, geschlechtsneutrale Sprache macht eure Geschichten kaputt, bekommt ihr hier nochmal die überarbeitete Version des Beispieltexts.
Sie schritt zwischen Leichen hindurch auf die Höhle des Biests zu. Ihr Blick wanderte langsam über die Gefallenen. Über die Wunden in den Seiten der Toten. Über die abgerissenen Glieder eines Schützen. Über die zertrümmerten Knochen einer Magierin.
Sie schluckte schwer. Der Drache hatte niemanden verschont. Alle waren gefallen. Sie biss sich auf die Lippe. Wieso glaubte sie, dass sie eine Chance haben könnte, wo doch das ganze Militär des Reichs gescheitert war? Sie atmete tief durch und fokussierte auf den Eingang der Höhle. „Weil ich die letzte Chance des Prinzen bin.“
Mit diesen Worten packte sie das Schwert fester. Es hatte so vielen Kämpfenden zuvor gedient. Es war Aufgaben gewachsen, die größer waren als die ältesten Epen. Es war auch bereit für diese. Die Aufgabe, die sonst alle in die Knie gezwungen hatte. Aber sie würde nicht scheitern.