BUCH
Judith Madera, 23.06.2020
Wer an Mangas denkt, denkt vielleicht nicht zu allererst an queere Held*innen und Geschichten. Dabei ist die Repräsentation von LGBTQ-Lebenswelten erstaunlich ausgeprägt und facettenreich. Ein paar Lektüretipps von Judith Madera.
In der japanischen Comicwelt ist LGBTQ-Repräsentation heute weit verbreitet. Erste Manga mit queeren Charakteren entstehen bereits in den 1970ern und 1980ern, hatten damals jedoch teils mit Zensur zu kämpfen. Die ersten Mangaka, die mit heteronormativen Rollenbildern brachen, waren die Zeichnerinnen der sogenannten Year 24 Group. Sie prägten Shōjo-Manga mit neuen Ideen und Inhalten, öffneten das Genre für Phantastik sowie Genderfragen und gleichgeschlechtliche Romanzen. Es waren also insbesondere weibliche Mangaka, die Charaktere zeichneten, die ihr Geschlecht wechselten, nichtbinär waren oder homoerotische Beziehungen eingingen.
Seit den 1990ern entstanden eine Vielzahl von Manga, die sich gänzlich homosexuellen Beziehungen widmen und bis heute überwiegend von Frauen gezeichnet und gelesen werden. Für queere Romantik und Erotik wurden im Westen die japanischen Begriffe Shōnen Ai und Yaoi (schwul) beziehungsweise Shōjo Ai und Yuri (lesbisch) verwendet, die heutzutage oft unter „Boys Love“ / „Girls Love“ zusammengefasst werden. Dabei ist die Trennung in Shōnen / Shōjo Ai für queere Liebesgeschichten mit Fokus auf Handlung und Charakterentwicklung und Yaoi / Yuri als Erotik, die oftmals einziger Zweck der Handlung ist, sinnvoll. Insbesondere um zu vermeiden, dass Romantik und ernsthafte, erwachsene Liebes- und Leidensgeschichten mit oftmals fetischisierenden und toxischen Yaoi-Manga in einen Topf geworfen werden.
Inzwischen haben sich jedoch auch Yaoi- und Yuri-Manga über reine Sexgeschichten hinaus entwickelt und viele Manga bieten neben expliziter, geschmackvoller Erotik auch gut durchdachte, mitreißende Handlungsbögen. Im Folgenden möchte ich euch einige Beispiele für positive Repräsentation von LGBTQ-Charakteren in der Mangawelt vorstellen, zunächst im Bereich der Shōjo-, anschließend der phantastische Shōnen-Ai- und Yaoi-Manga. Und last but not least werfen wir noch einen Blick auf actionlastige Shōjo Ai.
Diversität in Sailor Moon
In den 1990ern haben wohl viele Mädchen für Haruka Tenno / Sailor Uranus aus Pretty Guardian Sailor Moon geschwärmt. Während sie im Anime als männlich gekleidete Frau dargestellt wurde, erlebt man sie im Manga (und im neuen Anime Sailor Moon Crystal) als nichtbinäre Person, die gleichzeitig Frau und Mann ist. Haruka hat im Manga zunächst einen männlichen Körper, später sieht man sie als Frau, die sich mal maskulin und mal feminin und sexy kleidet. Sie ist eine selbstbewusste, facettenreiche Persönlichkeit, die gerne mit jungen Frauen flirtet. Ihr Herz gehört jedoch Michiru Kaio / Sailor Neptun – die beiden sind ein echtes Traumpaar, dessen Liebe durchweg positiv dargestellt wird und von den anderen Charakteren Bewunderung erfährt.
Haruka ist nicht die einzige Kriegerin mit zwei Geschlechtern in Sailor Moon. Im finalen Handlungsteil treten die Sailor Star Lights in Erscheinung, drei Kriegerinnen, die auf der Erde als Männer leben und als Boyband für ihre verschwundene Prinzessin singen. Seiya Kou / Sailor Star Fighter entwickelt Gefühle für Sailor Moon und spricht von einer „unglücklichen Liebe“ zu ihr (so mancher Fan träumt bis heute von einem Happy End für Seiya).
In der alten Animeadaption gibt es auch unter den Antagonisten queere Charaktere, was in der Übersetzung leider unsichtbar gemacht wurde. So gibt es im Dark Kingdom ein schwules Paar, das in Deutschland hetero wurde, da der feminine Zoisite eine weibliche Synchronstimme und das Pronomen „sie“ verpasst bekam. Ebenso erging es dem homosexuellen Cross-Dresser Fischauge vom Dead Moon Circus, wobei man am Körperbau erkennt, dass es sich um einen Mann handelt.
LGBT Q in Shōjo-Manga
In den Mangareihen der bekannten Zeichnergruppe Clamp finden sich immer wieder queere Charaktere. So spielt sich zwischen Subaru und Seishiro aus dem Mysterymanga Tokyo Babylon und später auch in X 1999 eine schmerzvolle Liebesgeschichte ab, da die beiden auf verschiedenen Seiten kämpfen. In ihrem Frühwerk RG Veda gibt es zwischen Kendappa-oh und Sohma eine lesbische Romanze und mit Ashura einen geschlechtslosen Charakter, der in Übersetzungen meist zum Mann oder zur Frau wird (aktuell gibt es bei Cross Cult eine wunderschöne Sammlerausgabe von RG Veda). Bei jungen LGBTQ ist vor allem die Magical-Girl-Reihe Card Captor Sakura beliebt, wo Protagonistin Sakura bisexuell, ihre beste Freundin Tomoya lesbisch (und in Sakura verliebt) und ihr Bruder Touya schwul ist, wobei dessen romantische Beziehung zu seinem besten Freund Yukito als eine der schönsten Nebenhandlungen im Genre gilt.
Beasts of Abigail von Spica Aoki ist romantische Dark Fantasy mit Werwölfen. Zu den wichtigsten Nebencharakteren zählt Alpha Dario, dessen Home (Rudel) fast ausschließlich aus Männern besteht, die sich schminken und feminin kleiden. Protagonistin Nina hält Dario daher zuerst für eine Frau. Als sie ihn/sie zufällig ungeschminkt mit Bart sieht, meint sie zwar „Du bist … ein Kerl!“, nutzt jedoch weiterhin das Pronomen „sie“, wobei nicht aufgeklärt wird, ob Dario trans oder nichtbinär ist – oder einfach gerne mit Geschlechterstereotypen bricht.
Fesseln des Verrats von Hotaru Odagiri begeistert mit einer bittersüßen Liebesgeschichte zwischen dem Dämon Luca und dem sogenannten „Licht der Götter“ Yuki Giou, der in seinem früheren Leben eine Frau war. Sie wollte den ewigen Kämpfen gegen Dämonen, die stets den Tod ihrer Familie und Freunde zur Folge hatten, entkommen und wünschte sich, als Mann ohne Erinnerung wiedergeboren zu werden. Yuki wird jedoch erneut in den immerwährenden Krieg hineingezogen. Luca steht ihm dabei zur Seite, da für ihn das Geschlecht keine Rolle spielt – denn „es ist die gleiche Seele“, die er immer noch aufrichtig liebt. Allerdings verbirgt Luca seine Gefühle, da er Yukis Wunsch, sich nicht an sein früheres Leben zu erinnern, respektiert. Unter den Wächtern gibt es zudem ein schwules Paar, das mit den charakterlichen Unterschieden und der Vergangenheit zu kämpfen hat, sich jedoch immer wieder findet.
Phantastische Shōnen-Ai-Manga
So mancher SFF-Leser lässt sich von einem Label wie „Boys Love“ abschrecken, dabei gibt es insbesondere in der Phantastik spannende und kreative Geschichten mit männlichen Paaren, deren Liebe teils nur angedeutet und teils offen ausgelebt wird, aber stets nur ein Element inmitten einer Vielzahl von phantastischen Ideen ist.
No. 6 spielt in einer verwüsteten Zukunft, in der die Stadt No. 6 eine scheinbar perfekte Enklave ist. Eliteschüler Shion führt ein Leben in Luxus, verliert seinen Status jedoch, als er Flüchtling Nezumi hilft. Als Shion Jahre später in einen Mordfall verwickelt wird, revanchiert sich Nezumi und führt ihn aus der Stadt, wo er zum ersten Mal die Slums vor No. 6 sieht und nach und nach das Ausmaß der Ungerechtigkeit und Kontrolle des diktatorischen Regimes erkennt.
Die Dystopie überzeugt mit einem spannenden Mix aus Science Fiction, Mystery und Thriller – und mit ihren gegensätzlichen Protagonisten. Der mit Privilegien aufgewachsene Shion ist etwas naiv, optimistisch und neugierig, Nezumi hingegen ein zynischer Pessimist, der No. 6 mit allen Mitteln bekämpft, gleichzeitig jedoch ein begnadeter Schauspieler und Sänger ist. Er ist oft hart zu Shion, weil er will, dass dieser alleine zurechtkommt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine innige Freundschaft, die bald darüber hinausgeht.
Ja-Dou von Mamiya Oki ist ein unglaublich schön gezeichneter Mix aus fernöstlicher Fantasy und Shōnen Ai. Zwischen Himmel und Hölle herrschte lange Zeit Frieden, doch seit die Dämonen die Menschenwelt eroberten, flammt die alte Feindschaft wieder auf. Generalfeldmarschall Ashray ist der Sohn eines Himmelskönigs und für seine aufbrausende, extrem sture Art bekannt. Er hat sich mit seinem Kindheitsfreund Teiou zerstritten, da dieser in einer Beziehung mit einem Dämon lebt. Während Ashray sich in Kämpfen aufreibt, ringt sein Freund Tiarandear, oberster Würdenträger des Himmels, mit seinen Gefühlen für den stürmischen Prinzen.
Bereits in The Ice-Cold Demon’s Tale erzählte Shiho Sugiura eine schwule Liebesgeschichte in einem spannenden Fantasysetting. Leider wurde diese Reihe bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Silver Diamond glücklicherweise schon, wobei die Liebe zwischen den Protagonisten hier nur angedeutet wird. Chigusa stammt aus der Welt Amato, einer verdorrten, dunklen Wüste. In unserer Welt trifft er auf den Schüler Rakan, der ein Sanome ist und Pflanzen sprießen lassen kann. Rakan begleitet Chigusa, um die Wüste wiederzubeleben, wo ungewöhnliche Pflanzen nicht nur als Nahrung dienen, sondern auch Licht spenden oder als (Schuss-)Waffen genutzt werden. Rakan wird zu einem Licht der Hoffnung für die triste Fantasywelt und Chigusa, der selbst eine Pflanze ist, entwickelt Gefühle für ihn. Meist übergeht Rakan seine Liebesbekundungen jedoch, wobei nach einigen romantischen und dramatischen Momenten deutlich wird, wie tief ihre Beziehung geht.