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Horrorliteratur: Alles was du über das Genre wissen musst (1/3)

Banner Horrorliteratur: Alles was du über das Genre wissen musst
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BUCH

 

Markus Mäurer, 20.07.2018

Ganz sicher bekamen schon unsere Vorfahren eine derbe Gänsehaut, wenn sie ihrer Version der klassischen Spukgeschichte am Lagerfeuer lauschten. Doch wie ist eigentlich das Genre der Horrorliteratur entstanden? Ein Überblick in drei Teilen von Markus Mäurer.

Müsste man das Genre Horror in einem Satz definieren, wäre wohl etwas wie: "Der Einbruch des Übernatürlichen, des Grauens in die Wirklichkeit, in unsere Welt." Geschichten solchen Charakters gibt es vermutlich schon so lange, Menschen sich Geschichten erzählen - ob am Lagerfeuer oder sonst wo. Die Entstehung des Genres kann man nicht an einem bestimmten Werk festmachen oder auf eine genaue Periode festlegen. Es handelte sich eher um einen schleichenden, evolutionären Prozess, bei dem sich das Genre aus verschiedenen Strömungen (der Literatur aber auch der Kunst und Ästhetik) herausgebildet hat.

Als Genre in Buchform manifestierte es sich rückblickend in ersten Zügen im 18. Jahrhundert, so richtig im 19. Jahrhundert - auch wenn man Dante Alighieris Göttliche Komödie oder Chaucer Canterbury Tales aus dem 14. Jahrhundert durchaus schon dem Genre zuordnen könnte. Als Vorläufer des heutigen Horrors kann man wohl die Gothic Novel bezeichnen (bei uns auch als Schauerliteratur bekannt), vertreten durch AutorInnen wie Horace Walpole (Das Schloss von Otranto, 1764), Ann Radcliff (Udolphos Geheimnisse, 1794), Matthew Gregory Lewis (Der Mönch, 1796) und Charles Robert Maturin (Melmoth der Wanderer, 1820).

Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich diese Literaturgattung aus der Schwarzen Romantik, zu deren bekanntesten Werken Der Runenberg (1804) von Ludwig Tiek und Die Elixiere des Teufels (1815) von E. T. A. Hoffmann gehören.

Die Klassiker

Im Zuge der oben beschriebenen Entwicklung brachte das 19. Jahrhundert einige Autoren hervor, die bis heute enormen Einfluss auf das Genre haben. Allen voran natürlich Edgar Allen Poe, dessen Werk Gedichte (Der Rabe), Kurzgeschichten/Erzählungen (Der Untergang des Hauses UsherDie Maske des roten Todes) und einen Roman (Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym) umfasst.

Die Erzählung Carmilla von Sheridan Le Fanu von 1872 über eine lesbische Vampirin in der Steiermark gilt als eine der ersten Vampirgeschichten und dürfte einen maßgeblichen Einfluss auf Bram Stokers Briefroman Dracula (1897) gehabt haben.

Dass Genregrenzen nicht so einfach zu ziehen sind, zeigte schon Mary Shelley Frankenstein oder Der moderne Prometheus von 1812 über einen Wissenschaftler, der aus Leichenteilen eine neue Kreatur zum Leben erweckt. Im Rückblick wird das Buch von vielen auch als der erste Science-Fiction-Roman angesehen. Eine ebenfalls durch Wissenschaft hervorgerufenes Monster beschreibt Robert Louis Stevenson 1896 in Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, über das Ungeheuer, das in uns allen lauert.

Zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschsprachigen Autoren dieser Zeit zählen der Österreicher Gustav Meyrink (Der Golem, 1913), Hanns Heinz Evers (Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens, 1911) und Willy Seidel (Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen, 1930).

Vielen dieser Romane und Erzählungen merkt man den Wandel der Zeit, den Übergang zum industriellen Zeitalter an. Aus rein übernatürlichen Phänomenen und Wesen werden zusehends von Menschen erschaffene vermeintliche Monster. Der Einbruch des Übernatürlichen weicht den Gefahren der Wissenschaft, die man auch im bereits Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sah. Der Mensch greift in die Natur ein und erschafft selbst Übernatürliches. Kein ganz neues Thema (siehe Der Golem, der aus der jüdischen Mythologie stammt), aber eines, das durch die industrielle Revolution an Brisanz gewann.

Geistergeschichten

Gerade Großbritannien ist eine Nation, in der fast jedes Haus, jede Burg und jede Landschaft Geschichte atmet, und wo Tradition hochgehalten wird. Und solche Geschichten und Traditionen bergen auch Gespenster, die ihre Nachfahren heimsuchen. Der Meister der englischen Geistergeschichte ist unbestritten Montague Rhodes (M.R.) James (Ghost Stories of an Antiquary, 1904), der seinen LeserInnen mit (aus heutiger Perspektive) klassischen Spukgeschichten das Fürchten lehrte.

Einen moderneren Ansatz wählte er amerikanische Schriftsteller Henry James in Das Durchdrehen der Schraube, indem er das Thema aus einer psychologischen Perspektive angeht und die Spukerscheinungen ambivalent hält.

Pulp Literatur und H. P. Lovecraft

Während in Großbritannien die Tradition gepflegt wurde, widmete man sich in den USA einem moderneren (manche würden auch sagen trivialeren) Ansatz und führte das Genre des Horrors in die Pulp-Literatur über. Pulp-Literatur an sich ist kein eigenständiges Genre, sondern eine Publikationsform. Zu den großen Pulp-Autoren zählen auch Krimischriftsteller wie Dashiell Hammett und Raymond Chandler, Abenteuerautoren wie Edgar Rice Burroughs oder Science-Fiction-Schriftsteller wie Edmond Hamilton oder John W. Campbell. Der Begriff Pulp rührt daher, dass jene Autoren ihre Geschichten vor allem in sogenannten Pulp-Magazinen (Nachfolger der Groschenhefte des 19. Jahrhunderts) wie Weird Tales oder Amazing Stories meist für niedrige Honorare veröffentlichten.

Als Übergangsautoren vom 19. Jahrhunderts hin zum Pulp könnt man Robert W. Chambers bezeichnen, dessen Der König in Gelb (1897) Pulp-Horrorautoren wie H. P. Lovecraft stark beeinflusste.

Howard Phillip Lovecraft ist der bis heute wohl prominenteste und einflussreichste Vertreter, mit seinen Geschichten um Cthulhu, die großen Alten und den kosmischen Schrecken. Dazu gehören zahlreiche Erzählungen wie Berge des Wahnsinns (1936), Cthulhus Ruf (1928) oder Der Fall Charles Dexter Ward. Weitere prominente Zeitgenossen Lovecrafts sind Clark Ashton Smith (Necropolis) und Robert E. Howard (auch wenn der vor allem für seine Fantasygeschichten bekannt ist).

Und in Deutschland?

In Deutschland hielt das Grauen durch zwei Weltkriege leider ganz real Einzug. Unter dem Naziregime fand eine starke Zensur statt und so entging uns die Pulp-Ära ebenso wie das Golden Age of Science-Fiction. Autoren wie Hanns Heinz Evers legten ein zwiespältiges Verhältnis zu den Nazis an den Tag. Einerseits trat er in die NSDAP ein und beteiligte sich an Propagandaarbeit, andererseits erhielt er 1934 ein Publikationsverbot.

Nach Ende des 2. Weltkriegs saß der Schrecken wohl noch zu tief, als das man sich schon wieder der Horrorliteratur zuwenden wollte. Nur vereinzelte Autoren, wie z. B. Hans Erich Nossack (Nekyia. Bericht eines Überlebenden) nutzten Genrelemente, um das Erlebte zu verarbeiten. Erst Ende der 60er- und dann in den 70er-Jahren erhielt der Horror durch Heftromanserien wie Larry Brent (1968), John Sinclair (1973) oder Professor Zamorra (1974) einen Aufschwung, konnte seinem Schmuddelimage aber nie so ganz entkommen.

Angloamerikanische Dominanz

In den Buchhandlungen dominierten über Jahrzehnte HorrorautorInnen aus dem englischsprachigen Raum. Darunter Briten wie James Herbert (Die Ratten, 1974), Ramsey Campbell (Die Puppen in der Erde, 1974) oder Graham Masterton (Der Dschinn, 1974), allen voran aber natürlich Amerikaner wie Stephen King (Carrie, 1974), Dean Koontz (Schlüssel zum Jenseits, 1973) und Dan Simmons (Sommer der Nacht, 1991), die das Genre teilweise in ein moderneres Zeitalter überführten, zwar klassische Horrorelemente verwendeten, sie aber mit modernen vermischten und daraus ihr ganz eigenes Ding kreierten.

Nicht zu vergessen sind da natürlich AusnahmeautorInnen wie Shirley Jackson (Spuk in Hill House, 1959), Ray Bradbury (Das Böse kommt auf leisen Sohlen, 1962), William P. Blatty (Der Exorzist, 1971) oder Robert Bloch (Psycho, 1959), deren Werke bei uns aber oft erst durch die Verfilmungen so richtig bekannt wurden, ganze Untergenre dadurch aber maßgeblich prägten.

Während Stephen King sich zum Auflagenkönig entwickelte, blieb die Horrorliteratur in Deutschland eher ein Nischenprodukt, mit nur vereinzelten Ausnahmen, die sich zu Bestsellern entwickelten, und das auch heute fast nur im Kleinverlag stattfindet. Mehr dazu in Teil 2 .

Dieser Artikel ist als grobe Übersicht über das Genre Horror gedacht, vor allem für LeserInnen, die mit dem Genre noch nicht so gut vertraut sind. Da muss natürlich etwas vereinfacht und Autoren und Entwicklungen weggelassen werden. Er erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Einige der hier fehlenden AutorInnen tauchen noch in Teil 2 auf, wenn es um die einzelnen Untergenres und den aktuellen Stand des Horrors geht. Auch kommen Werke aus nicht-englischen- oder deutschsprachigen Ländern viel zu kurz.

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen...