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Horrorliteratur: Alles was du über das Genre wissen musst (Teil 3/3)

Horrorliteratur
© kalhh, cubanita_traviesa – pixabay

Markus Mäurer, 08.08.2018

Im dritten und letzten Teil unserer großen Genreübersicht geht es um die zahlreichen Facetten der Horrorliteratur. Außerdem stellen wir euch ein paar der wichtigsten deutschsprachigen Horrorverlage vor. Hier geht es zu Teil 2.

Splatterpunk und Extremhorror

Die Wurzeln des Splatterpunks verorten einige bei Clive Barker und seinen Büchern des Blutes, als ungekrönter König des Genres gilt allerdings Edward Lee, der mit Romanen wie Bighead oder Novellen wie Das Schwein und Der Terratologe die Grenzen von Tabus und Ekel mehr als gesprengt hat. Der deutsche Festa Verlag hat daraus eine ganze Reihe mit dem Titel Festa Extrem gemacht, die ohne ISBN-Nummer nur beim Verlag erhältlich ist und nur an Leser ab 18 Jahren verkauft wird. Der Reiz des Genres liegt darin, eigene Grenzen des Ekels auszutesten.

Weitere bekannte Vertreter sind Poppy Z. Brite, Jack Ketchum (teilweise), Bryan Smith und Monica J. O’Rourke

Bizarro Fiction

Bei Bizarro Fiction handelt es sich um ein Horrorgenre, das die Grenzen des Möglichen und Ertragbaren bis ins Absurde und Groteske hinein steigert, so dass die dort geschilderten Grausamkeiten gar nicht ernst genommen werden können. Der bekannteste Vertreter ist Carlton Mellick III, dessen wohl bekanntestes Buch Die Kannibalen von Candyland ist, in dem es um eine Zuckerstangenfrau geht, die einen Mann als Sexsklaven entführt und Stück für Stück vernascht.

Weitere Autoren sind unter anderem Jeff Burk (Shatnerquake, 2009) und Tom Bradley.

Deutschsprachiger Horror

Wie schon in Teil 1 der Artikelreihe geschildert fand der deutschsprachige Horror nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst vor allem im Heftroman (John Sinclair, Larry Brent) statt. Vorreiter bei größeren Verlagen war Wolfgang Hohlbein, der mit Der Hexer – Die phantastischen Abenteuer des Robert Craven zunächst auch eine Heftromanserie herausbrachte, später aber Erfolg mit Romanen wie Azrael (1996) hatte. Aktuell findet der deutschsprachige Horror fast ausschließlich im Kleinverlag statt. Als herausragende Vertreter seien hier unter anderem Markus K. Korb genannt - der seit Jahren in konstant hoher Qualität Kurzgeschichtenbände abliefert, die an die Tradition von Gustav Meyrinck und Heinz Evers anknüpfen -, aber auch der inzwischen verstorbene Malte S. Sembten, Fay Hell, Tom Finn und Torsten Scheib.

Exorzismus

Schon Jesus trieb der Bibel zufolge Dämonen aus (siehe z. B. Matthäus 9, 31-34), der Vatikan beschäftigt seit Jahrhunderten Priester als Exorzisten, richtig populär wurde das Thema aber erst durch William Friedkins Verfilmung von William Peter Blattys Roman Der Exorzist (Buch 1971, Film 1973), ein Film, der das Horrorgenre im Kino auf eine neue Stufe hob und das Ende der eher harmlosen (aber stimmungsvollen) Hammer-Ära einläutete (also der heute altmodisch wirkenden Gruselfilme aus dem britischen Hammer-Studio, mit Christopher Lee, Peter Cushing usw.). Im Buch wird das übernatürliche Element, die Frage, ob Regan MacNeil wirklich von einem Dämon besessen ist, deutlich ambivalenter behandelt.

Ähnlich ambivalent und deutlich subtiler geht Paul Tremblay mit der Thematik in seinem Roman A Head Full of Ghosts (2015, gerade bei Festa auf dt. erschienen) um und macht daraus eine clever konstruierte Mediensatire, die trotz aller popkulturellen Anspielungen den Gruselfaktor nicht vernachlässigt.

Einen weiteren moderneren Ansatz fährt Robert Kirkman mit seiner Comicserie Outcast (2014), zu der er selbst die TV-Serie erschaffen hat, und in der es gleich um eine ganze Invasion von Wesenheiten geht, die Besitz von Menschen ergreifen.

Es vergeht kaum ein Jahr, indem nicht ein Film erscheint, der das Thema Exorzismus behandelt (braucht man dafür doch nur ein Bett, eine leidensfähige Schauspielerin und viel Erbsensuppe), im Buchbereich hat es sich nicht ganz so erfolgreich durchsetzen können, auch wenn Besessenheiten immer wieder als Elemente in anderen Subgenres verwendet werden.

Tierhorror

Tierhorror hat es in der literarischen Form eher schwer, obwohl es der Roman Der weiße Hai (1974) von Peter Benchley war, der mit seiner Verfilmung von Steven Spielberg zum Boom des Genres auf der Leinwand sorgte. In diesem Sommer könnte das Genre eine kleine Renaissance erfahren, da erscheint mit Meg die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Steve Alten aus dem Jahr 1997 in den Kinos (Jason Statham vs. Urzeit-Megahai). Eine deutsche Neuausgabe ist bereits in Arbeit. Nicht zu vergessen ist hier natürlich auch Stephen Kings Cujo über einen tollwütigen Bernhardiner. King gelingt es immer wieder, die größten Ängst zu thematisieren, in diesem Fall, dass sich der beste Freund des Menschen plötzlich gegen ihn wendet. Leider führte dieses Genre auch zu übertriebenen Ängsten bei Menschen, was dem Artenbestand z. B. von Haien nicht sehr zuträglich war.

Horrorthriller - verschwimmende Grenzen

Genregrenzen sind keine festen Linien, die nie überschritten werden. Es befindet sich alles in Bewegung, AutorInnen bedienen sich gerne unterschiedlichster Genreelemente. In Teil 1 habe ich Horror als den Einbruch des Übernatürlichen in unsere Wirklichkeit definiert. Aber es geht auch ohne übernatürliche Elemente. Niemand würde bestreiten, dass es sich bei John Carpenters Halloween um einen Horrorfilm handelt. Dasselbe gilt für Wes Cravens Scream, wo es "normale" Menschen sind, die in Slasher-Manier morden. Entscheidend sind die Art der Inszenierung, der Härtegrad und die Atmosphäre. Die Grenzen zum Thriller verlaufen hier fließend. Jack Ketchums Evil, über brutale Misshandlungen an Kindern durch deren Umfeld, wird aufgrund der Heftigkeit eher beim Horror eingeordnet. Viele Thriller des französischen Autors Jean-Christophe Grangé (Die purpurnen Flüsse) verdienen sich das Attribut Horror vor dem Thriller redlich durch düstere Atmosphäre und dem ambivalenten Spielen mit übernatürlichen Einflüssen. Jussi Adler-Olsen Krimi Erbarmen kann man durchaus auch dem Torture-Porn zuordnen, auch viele Thriller von Sebastian Fitzek sind Grenzgänger.

Lovecrafts Erben

Schaut man sich die Masse an Werken an, die sich bei den Ideen H. P. Lovecrafts bedient, kann man durchaus von einem eigenen Subgenre sprechen. Manchmal sind die Einflüsse sehr subtil eingestreut, mit vagen Andeutungen kosmischen Schreckens oder man bedient sich am Konzept und der Atmosphäre Lovecrafts, wie es z. B. Laird Barron (Hallucigenia) oder Thomas Ligotti (Grimscribe) regelmäßig tun. Häufig bedienen sich AutorInnen aber auch ganz offen am popkulturellen Phänomen Lovecraft, wie z. B. Jonathan L. Howard in seinen Hardboiled-Krimis Carter & Lovecraft (2015). Die einfallsloseren SchriftstellerInnen variieren einfach Lovecrafts Themen und benutzen seine Begrifflichkeiten wie "die großen Alten", "Cthulhu", "Arkham" oder "Miskatonic University". Andere weben mit großem Geschick ihr ganz eigenes kreatives Werk daraus, wie aktuell z. B. Matt Ruff in Lovecraft Country.

Coming-of-Age-Horror

Horrorgeschichten, die davon erzählen, wie Jugendliche durch das Grauen, dem sie gegenüberstehen, erwachsen werden, kann man durchaus als eigenes Genre bezeichnen. Das bekannteste und prägendste Werk dürfte Stephen Kings Es (1990) sein, aber schon Ray Bradburys Das Böse kommt auf leisen Sohlen von 1962 und Halloween (The Halloween Tree) von 1972 dürften hier die Weichen gestellt haben. Direkt nach Es wird meist Dan Simmons Sommer der Nacht (1991, erscheint demnächst als Sammelband mit dem Sequel als Elm Haven auf Deutsch) genannt, das sich hinter Kings Meisterwerk nicht verstecken braucht und sich ganz auf eine amerikanische Kindheit in den 1960er-Jahren konzentriert. Ebenfalls erwähnenswert ist Robert McCammons Unschuld und Unheil (Boy's Life,1991), wo der Gruselanteil etwas dezenter, dafür aber deutlich literarischer daherkommt, und Brian Keenes Leichenfresser (2007)

Weird Fiction

Weird Fiction ist auch so ein Grenzgänger, der sich nicht genau definieren lässt. Vor allem geht es um Geschichten, die irgendwie seltsam sind und aus der Norm fallen, aber nicht so grotesk und extrem wie die Bizarro Fiction. Zu den bekannteren Autoren kann man z. B. Robert Aickman (Dark Entries, 1964) mit seinen merkwürdigen Kurzgeschichten zählen, oder auch J. G. Ballard (Crash, 1973; Betoninsel, 1974), auch wenn dieser vor allem der Science Fiction zugeschrieben wird. Aktuellere Autoren sind Jeff VanderMeer (Stadt der Heiligen und Verrückten, 2001), Lucius Shepard (Ein Handbuch Amerikanischer Gebete, 2004), Jeffrey Thomas (Punktown, 2000) und China Miéville mit seinen Bas-Lag-Romanen (z. B. Perdito Street Station, 2000).

Fazit

Es gibt nicht den Horror, sondern eine große Bandbreite an Untergenres und verschiedensten Elementen und Einflüssen. Von subtilem Grusel, über Coming-of-Age-Horror bis zu Ekelsplatter und Torture Porn ist alles dabei. Das Genre ist so vielfältig und vital wie das Leben selbst, auch wenn es auf dem deutschsprachigen Buchmarkt meist nur in kleinen aber lebhaften Nischen stattfindet.

 

Und zu guter letzt: Hier einige Verlage, die gute Anlaufstellen für Horrorbücher sind:

Wenn es um Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum geht, ist der Festa Verlag die erst Anlaufstelle; kein Verlag veröffentlicht pro Jahr so viele Horrorbücher wie der Verlag aus Leipzig. Deutschsprachige Autorinnen bringt er allerdings prinzipiell nicht heraus.

Das Programm des Luzifer Verlags ähnelte in der Anfangszeit doch frappierend dem von Festa, mit der Zeit ist es dem Kleinverlag allerdings gelungen, ein eigenes Konzept zu entwickeln, sich vom Vorbild zu lösen und auch deutsche AutorInnen wie Andreas Gruber, Markus K. Korb oder Michael Dissieux zu veröffentlichen. Ähnlich wie bei Festa hat das Thriller-Segment allerdings stark zugenommen.

Voodoo Press war eine gute Adresse für Autoren, die bei anderen Verlagen ausgemustert wurden, doch im Laufe der Jahre konnte auch hier ein eigenes Konzept mit durchaus anspruchsvolleren Titeln wie z. B. December Park(2014) von Ronald Malfi entwickelt werden. Leider zahlte sich das nicht in steigenden Verkäufen aus, weshalb der Verlag jetzt seine Pforten geschlossen hat. Restbestände können noch erworben werden.

Amrun ist sehr breit aufgestellt, was Genrevielfalt angeht, für deutschsprachigen Horror ist der Verlag aber auf jeden Fall eine wichtige Adresse mit AutorInnen wie Faye Hell, Simona Turini und Vincent Voss im Programm.

Genreinsidern ist der Blitz Verlag schon seit Jahren ein Begriff, im Verlag findet man Frühwerke von Kai Meyer, aber auch neuere AutorInnen wie Nina Horvath oder Jörg Kleudgen sowie Heftromane und Anthologien.

Der Golkonda Verlag aus Berlin ist zwar kein ausgewiesener Horrorverlag, hat aber mit Autoren wie Laird Barron, Tobias O. Meißner oder Malte S. Sembten ein kleines und feines Angebot.

Erste Anlaufstelle für deutschsprachige Horrorkurzgeschichten ist das regelmäßig erscheinende Magazin Zwielicht, das ein breites Spektrum an Autorinnen und Autoren der Horrorszene im deutschsprachigen Raum 

 

Markus Mäurer

Der ehemalige Sozialpädagoge und Absolvent der Nord- und Lateinamerikastudien an der FU Berlin, der seit seiner Kindheit zwischen hohen Bücherstapeln vergraben den Kopf in fremde Welten steckt, verfasst seit über zehn Jahren Rezensionen für Fantasyguide.de, ist ebenso lange im Science-Fiction- und Fantasy-Fandom unterwegs (Nickname: Pogopuschel) und arbeitet seit einigen Jahren als Übersetzer phantastischer Literatur. http://lesenswelt.de/