Judith Vogt, 25.10.2023
Ein Meme und seine Geschichte. Judith Vogt erklärt uns, was es mit der Faszination für das Römische Reich auf sich und welche Einflüsse es auf unsere Popkultur hat. Die reichen von Ursula K. Le Guin bis zu Star Trek.
Hand aufs Herz: Denkt ihr auch so oft ans Römische Reich wie der durchschnittliche US-amerikanische Mann?
Ich muss das leider mit einem klaren „Vielleicht sogar häufiger“ beantworten. Aber da ich schon gefragt wurde, ob ich die Urheberin des „Wie oft denkst du ans römische Reich“-Memes sei (bei Dis Pater, nein!), gehen wir doch mal ganz zurück. Nicht bis ins Römische Reich, keine Sorge – nur bis in den September dieses Jahres.
Der Schwede Artur Hulu, ein tiktok-Geschichtsinfluencer, ist mutmaßlich Begründer des Trends, dass Frauen ihre männlichen Partner fragen, wie oft diese ans Römische Reich denken und dann erstaunt feststellen, dass diese das sehr oft tun, während sie selbst natürlich nie einen Gedanken daran verschwenden. Der Hashtag #romanempire kommt seitdem auf über 1 Mrd. Aufrufe.
Ich fange jetzt gar nicht erst damit an, dass ich der Ansicht bin, dass auf tiktok ein unnötig gegendertes heteronormatives Ding daraus gemacht wurde und damit Geschlechterrollen zementiert, die eigentlich dringend entzementiert gehören. Ich verstehe natürlich, dass es Gedanken ans Römische Reich in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt, und während man nun US-amerikanischen Männern nachsagt, Machtfantasien mit diesen Gedanken zu verbinden, gibt es doch noch zahlreiche andere Gründe für Menschen aller Geschlechter mit Verbindungen zum mitteleuropäischen Kulturraum, ans römische Reich zu denken. Hier ein paar auf mich selbst zutreffende Beispiele:
Ceterum censeo: Es gibt gute Gründe, ans römische Reich zu denken!
- Ich habe als Kind exzessiv Asterix-Comics gelesen, und noch heute fallen mir ständig aus dem Nichts Passagen daraus ein. Was will ich machen, es ist frühkindliche Prägung!
- Ich lebe in einer von den Römern gegründeten Stadt, nämlich Aquae Granni alias Aachen. Wann immer hier jemand eine Glasfaserleitung verlegt oder auf dem Spielplatz ein etwas zu tiefes Loch buddelt, muss die Person damit rechnen, auf römische Ruinen zu stoßen und die Stadtarchäologie auf den Plan zu rufen. Wenn wir in der Innenstadt in einen Drogeriemarkt gehen, laufen wir über ein Glasfenster, unter dem erleuchtete römische Ruinen zu sehen sind. Am Eingang der Mayerschen Buchhandlung ist hinter Glas ein Mauerfragment einer unter dem Neubau vorgefundenen römischen Therme zu bewundern.
- Teile unseres Zivilrechts wie z.B. grundlegende Dinge im Erbrecht, basieren immer noch auf römischem Recht. Ich gebe zu, Erbrecht ist jetzt nicht das Alltagsthema schlechthin, aber es stellt für mich einen witzigen Zirkelschluss dar, denn mein Co-Autor Christian und ich haben vor allem im letzten Jahr besonders häufig ans römische Reich gedacht, weil wir für unseren neuen Roman „Ich, Hannibal“ recherchiert haben und beim römischen Erbrecht auf eine Menge Parallelen gestoßen sind.
- Dabei ist „Ich, Hannibal“ (das im Frühjahr 2024 bei Piper erscheint) nicht unser erster literarischer Ausflug ins Römische Reich. Durch das Meme sprechen mich eine Menge Leute wieder auf meinen ersten Science-Fiction-Roman „Roma Nova“ (alias die Space-Römer) an, aber die wenigsten wissen, dass das Buch nur die Spitze meines persönlichen Ans-römische-Reich-denken-Eisbergs darstellt: Ich habe drei Romane in der Antike vom Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ geschrieben, habe mit Christian zusammen einen ganz und gar unphantastischen historischen Zweiteiler über den Gallischen Krieg geschrieben und unser erstes „Abenteuer“ fürs Schwarze Auge ist 2012 in der Sammlung „Legenden aus Dunklen Zeiten“ erschienen und spielt im aventurischen alten Rom: Bosparan. Mit dem römischen Reich verbindet mich eine Art respektvolle Hassliebe fürs Leben.
- Der Philologe Uvo Hölscher hat 1965 bereits postuliert, die römische und griechische Antike sei uns das „nächste Fremde“: Die antike Welt sei uns hinreichend fremd, um unsere Denkgewohnheiten infrage zu stellen, und zugleich nahe genug, um relevant zu sein. Er meinte es vor allem in Bezug auf Literatur und Philosophie, und während der Ausspruch auch auf andere Bereiche ausgedehnt wurde, ist es doch in der Literatur und Popkultur nach wie vor besonders augenscheinlich, wenn wir uns Antike-Retellings und galaktische Imperien so anschauen.