Peter Osteried, 04.02.2018
Frankensteins Monster ist eine tragische Figur. Ein aus Leichenteilen zusammengestückeltes Wesen, das nach Liebe und Verständnis sucht, dem jedoch nur mit Hass und Ablehnung begegnet wird. Aus dieser absoluten Einsamkeit, die die selbst von ihrem Schöpfer verlassene Kreatur erfährt, erwacht ihr Hass auf die Menschen, die sie schließlich in Gewaltakten auslebt. Ein gängiges Missverständnis ist, dass mit Frankenstein das Monster bezeichnet wird. Tatsächlich ist Frankenstein natürlich der Name seines Schöpfers.
Ein uralter Traum. Die Schaffung neuen Lebens. Die Grenzen der Wissenschaft zu überschreiten, den Tod zu überwinden und Gott ein Schnippchen zu schlagen. Künstliches Leben, das nicht durch den göttlichen Funken, sondern durch kalte Laborarbeit geschaffen wird.
Dr. Frankenstein träumt diesen Traum. Mehr noch, er ist von ihm besessen. Die Vorstellung, den Tod um seine Arbeit zu betrügen und selbst zum Schöpfer zu werden, ist gelinde gesagt faszinierend. Heute ebenso wie vor 200 Jahren, als Mary Wollstonecraft Shelley Frankenstein oder Der neue Prometheus schrieb.
Die Idee für das Buch entstand am 18. Juni 1816, als die 18-jährige Mary sich in Genf aufhielt. Sie und ihre Freunde, darunter ihr späterer Mann Percy Bysshe Shelley, Dr. John Polidori und der Poet Lord Byron, hatten England verlassen, um Europa kennenzulernen. In Genf hielt man sich in Byrons Anwesen auf, wo dieser vorschlug, dass jeder eine unheimliche Geschichte ersinnen und die anderen damit unterhalten sollte.
In jener Nacht, als Mary darüber nachsann, erschien ihr die Geschichte von Frankenstein wie in einer Vision. Vor ihrem geistigen Auge manifestierte sich das Monster und sein Schöpfer und Frankenstein nahm Gestalt an.
Im darauffolgenden Jahr, am 17. April 1817, beendete Mary die Arbeit an ihrem Roman. Das Schreiben war jedoch sehr viel einfacher als die Veröffentlichung des Werks. Kaum ein Verleger zeigte sich daran interessiert, schien die Story doch recht extrem zu sein. Lediglich ein kleiner Verlag mit ohnehin schlechten Ruf machte sich daran, Marys ersten Roman zu publizieren. Die Kritiken, die ihr Werk seinerzeit erhielt, waren gemischt, neigten tendenziell jedoch eher zu eine Verteufelung des Buchs. Viele glaubten, darin unverhohlene Blasphemie zu sehen.
Nichtsdestotrotz wurde damals ein Klassiker geboren, der Marys einziges relevantes Werk bleiben sollte. Bis zu ihrem Tod am 1. Februar 1851 hatte sie zwar weiterhin geschrieben, aber nie wieder etwas produziert, das einen für die Ewigkeit anhaltenden Erfolg wie Frankenstein hatte.
Von ihrem Mann Percy musste sich Mary, nachdem beide 1818 geheiratet haben, vier Jahre später verabschieden, als er ertrank. Seit jener Zeit war Mary eine respektable Witwe, die für sich alleine lebte, aber immerhin die schöne Vorstellung hatte, ein Buch geschaffen zu haben, das sie selbst überlebte.
Die Stummfilmära
Frankenstein entwickelte sich zu einem populären Thema für das Theater, weswegen er natürlich auch mit Beginn des Filmzeitalters für die Produzenten interessant wurde. Die erste Verfilmung des Stoffes kam 1910 in die Kinos, als die überall in den USA zahlreich vertretenen Nickelodeons diese Kurzfilme populär gemacht hatten. Verantwortlich für Frankenstein war Thomas Alva Edison, dessen Firma Edison Manufacturing Company jedes Jahr Dutzende Filme produzierte.
Edison war zu jener Zeit ein gemachter Mann, wollte jedoch mit Frankenstein neue Ufer ergründen. Dieser Film sollte schockierender als alle anderen werden, wobei Edison darauf setzte, dass das Publikum kommen würde, um sich kräftig erschrecken zu lassen. Gleichzeitig fürchtete er jedoch, dass die Geschichte von Shelleys Roman zu krass für die bewegten Bilder war. Da es aber ohnehin nicht möglich war, einen Roman für einen 14 Minuten langen Film zu adaptieren, ergaben sich starke Änderungen an der Vorlage von selbst.
Mit diesem Film, der keine »amerikanische« Geschichte erzählte, hoffte Edison auch, die anderen Weltmärkte bestens bedienen zu können, hatten sich einige ausländische Verleiher doch beschwert, dass seine Filme zu sehr auf US-Bürger zugeschnitten sind und deswegen in Europa nicht laufen würden.
Für die Regie wurde J. Searle Dawley verpflichtet, der bereits viele Male für Edison gearbeitet hatte und in dem Metier einen beachtlichen Background hatte. Immerhin beschäftigte sich Dawley seit beinahe zehn Jahren mit dem Medium Film und hatte von den Besten gelernt. Da zu jener Zeit die Aufgaben eines Produzenten und Regisseurs nicht wirklich voneinander getrennt waren, überwachte Dawley die Produktion in allen Bereichen, wobei Edison erst am Ende, als der fertige Film vorlag, seine Meinung dazu kundtat.
Die Hauptrolle des Monsters wurde mit Charles Ogle besetzt. Ogle, am 6. Juni 1865 geboren, hatte seine Karriere beim Zirkus begonnen und war später in New York am Theater aktiv gewesen. 1909 wurde er von Edisons Firma unter Vertrag genommen, woraufhin er in den nächsten fünf Jahren in Hunderten ihrer Filme mitspielte. Wie in jener Zeit üblich, war Ogle übrigens selbst für sein Make-up verantwortlich, weswegen ihm die Ehre gebührt, das erste Frankensteinmonster des Films erschaffen zu haben. Dabei erinnert das Aussehen seiner Kreatur weit mehr an die literarische Vorlage, als dies bei den meisten anderen Filmen der Fall ist.
Die Produktion startete am 17. Januar 1910, wobei der Film schon am 18. März 1910 uraufgeführt wurde. Die Herstellung lief – wie auch bei allen anderen Edison-Produktionen – rasend schnell ab.
Natürlich war es nötig, die Geschichte umzuschreiben, sodass letztlich nur noch wenig von Mary Shelleys Vorlage übrigblieb. Frankenstein ist hier ein junger Student, der davon besessen ist, menschliches Leben zu erschaffen. Mit wissenschaftlichen als auch alchemistischen Mitteln gelingt es ihm tatsächlich, eine Kreatur zu erschaffen, doch das Monster ist keine Schönheit und versetzt Frankenstein in Panik. Später taucht die Kreatur auf und erschreckt Frankensteins Verlobte. Als sich die Kreatur jedoch im Spiegel sieht und erkennt, was sie ist, vergeht sie langsam und schwindet, bis nur noch ihr Spiegelbild übrig ist.
Bemerkenswert an dieser Szene ist, dass sich das Spiegelbild hält, als Dr. Frankenstein den Raum betritt und in den Spiegel sieht. Darin erkennt er nun nicht seine eigene Spiegelung, sondern vielmehr das Monster, das letztlich auch er selbst ist. Für einen Film jener Zeit war dies ein unglaublich elegantes Ende, das auch heute noch nichts von seiner Kraft verloren hat.