Science Fiction

Das sind die besten Science-Fiction-Bücher des Jahres 2020

Banner Die besten Science-Fiction-Bücher 2020
© keller/pixabay

Christian Endres, 02.12.2020

Eine technologische Invasion, die poetische Postapokalypse, Cyberpunk vom Altmeister, ein bildgewaltiges Debüt, ein Space-Fantasy-Epos und eine Trump-Dystopie: Das ist unsere Auslese der besten Science-Fiction-Romane 2020.

Diversität und Innovation: Steinerner Himmel | N. K. Jemisin

Deutsch von Susanne Gerold • Knaur, Paperback, 432 Seiten • 14,99 Euro

N. K. Jemisin erhielt für alle drei Teile ihrer Trilogie „Die große Stille“ einen Hugo Award – ein Novum in der Geschichte des Preises. Die Filmrechte ihrer Romanbestseller sind allesamt verkauft, 2020 wurde Jemisin außerdem MacArthur Fellow, was ihre Kreativität durch finanzielle Absicherung gewährleisten soll. Wieso die US-Amerikanerin eine Ausnahmeerscheinung der modernen Phantastik und die Galionsfigur der vielfältigen, innovativen Genre-Literatur des Heute ist, zeigt ihre alle Traditionen und Muster erschütternde Science-Fantasy-Serie über seismische Mutanten und Endzeit-Zyklen, die auf Deutsch dieses Jahr mit „Steinerner Himmel“ abgeschlossen wurde. Extrem anspruchsvoll, ganz anders, wahnsinnig lohnenswert.

Poetische Postapokalypse: Mein Name ist Monster | Katie Hale

Deutsch von Eva Kemper • S. Fischer, Hardcover, 384 Seiten • 22 Euro

Darf man im Jahr der Covid-19-Pandemie einen postapokalyptischen Roman hervorheben, in dem ein Großteil der Menschheit von einer Seuche ausgelöscht wurde? Man darf und muss sogar, wenn das betreffende Buch so gut ist wie „Mein Name ist Monster“, das Romandebüt der englischen Lyrikerin Katie Hale. Eine ihrer Protagonistinnen nannte sich bereits vor dem Untergang der Zivilisation selbst Monster und zieht nun durch das entvölkerte Großbritannien, Hunger und wilde Hunde als ständige Begleiter. Ein sehr intimer Roman von großer sprachlicher Klasse, in dem es um die Postapokalypse und das Überleben, jedoch auch um Zugehörigkeit und Muttergefühle geht. Auf Anhieb auf Augenhöhe mit Atwood, Heller, McCarthy und anderen Könnern.

Afrofuturistischer Biopunk: Rosewater | Tade Thompson

Deutsch von Jakob Schmidt • Golkonda, Hardcover, 440 Seiten • 20 Euro

2066: Ein machtvolles außerirdisches Wesen ist auf der Erde gelandet und verändert die ganze Welt. Unter anderem Lagos, wo Kranke einmal im Jahr wie durch ein Wunder geheilt werden, Tote sogar auferstehen, außerirdische Xenoformen anzutreffen sind und einige Menschen durch das Alien-Netzwerk in die Gedanken anderer eindringen können. Tade Thompson, in London geboren, in Nigeria aufgewachsen und heute wieder in England lebend, begeistert mit seinem Biopunk-Krimi über ein biologisch-virtuelles Network. Für seinen faszinierenden, erfrischenden und spannenden Roman erhielt er völlig zurecht den Arthur C. Clarke Award. Schön wäre es, würden wir auch die Bände 2 und 3 der Trilogie auf Deutsch sehen.

Von Tieren und Zombies: Hollow Kingdom | Kira Jane Buxton

Deutsch von Henning Ahrens • FISCHER Tor, Paperback, 362 Seiten • 15 Euro

Vogelblick auf die Zombie-Apokalypse: In „Hollow Kingdom. Das Jahr der Krähe“ vereint die US-Amerikanerin Kira Jane Buxton klassische Tierfantasy und apokalyptischen Horror. Dabei tut sich ihr Roman natürlich vor allem durch Ich-Erzähler Shit Turd aka S. T. hervor, eine tierisch vermenschlichte Krähe. S. T. und sein Bluthund-Kumpel Dennis streunen durch das von Zombies verseuchte Seattle, klinken sich ins biologische Internet der Tiere ein und suchen ein Orakel. Das ganze ergänzt Buxton mit weiteren animalischen Blickwinkeln auf das Ende der menschlichen Zivilisation. Sicher das ungewöhnlichste, tierischste Genre-Werk des Jahres, trotz Abzügen in der B-Note.

Cyberpunk-Altmeister: Agency | William Gibson

Deutsch von C. Holfelder-von der Tann & B. Mildner • Tropen, Hardcover, 492 Seiten • 25 Euro

1984 trug William Gibson mit „Neuromancer“ erheblich dazu bei, das digitale Zeitalter zu definieren. Der Cyberspace, die Matrix – Gibson veranschaulichte und prägte diese Begriffe. Auch sein neuer Roman „Agency“ ist brutal fortschrittlich, was Tech und Sprache anbelangt. Gibson setzt auf krasse Ideen und Gegenwärtigkeit: Der US-Wahlkampf 2016 ging anders aus, Kaliforniens Wälder brennen, Drohnen überall. Dazu kommen eine immense KI, eine App-Flüsterin und Avatar-basierte Interaktion zwischen alternativen Zeitströmen. „Agency“ stellt das Sequel zu „Peripherie“ dar, das von Amazon als TV-Serie adaptiert werden soll. Klare Sache: Am Ende schreibt nach wie vor niemand cooleren, komplexeren oder aktuelleren Cyberpunk als der 72-jährige Altmeister.

Invasive Technologie: Hundert Augen | Samanta Schweblin

Deutsch von Marianne Gareis • Suhrkamp, Hardcover, 252 Seiten • 22 Euro

Tamagotchis und Furbys waren gestern: In ihrem Roman „Hundert Augen“ legt die in Argentinien geborene, in Berlin lebende Samanta Schweblin die Funktionsweise und Seele unserer digitalisierten Gesellschaft offen. In ihrem Buch breiten sich Kentukis aus - Plüschroboter, die wie Haustiere sind, allerdings von fremden Menschen irgendwo in der Ferne an Rechnern oder Tablets dank Kamerazugriff gesteuert werden. Das Erschreckende ist nicht, wie sich die Leute im Roman auf beiden Seiten der Augen verhalten, sondern wie normal uns die Akzeptanz hinsichtlich invasiver, voyeuristischer Technologie bereits erscheint. Einer der besten Romane des Jahres, nicht nur im Bereich der Phantastik.

Bildgewaltig: Last Human – Allein gegen die Galaxis | Zack Jordan

Deutsch von Jürgen Langowski • Heyne, Paperback, 544 Seiten • 15,99 Euro

Die junge Sarya, der letzte Mensch im viele Spezies umfassenden Völkerbund des Universums, wird von einer tödlichen Alienspinne auf einer Raumstation großgezogen. Sarya interagiert mit vielen Aliens, jedoch auch künstlichen Intelligenzen. Als Saryas wahre Identität ans Licht kommt, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt und kommt sie einer unglaublichen Verschwörung höherer Mächte auf die Spur. Zack Jordans Romandebüt strotzt als bunte, ambitionierte Space Opera vor großartigen Figuren, gewaltigen Bildern und philosophischen Fragen zu dem, was ein Bewusstsein oder eine Person ausmacht. Ein vielversprechendes Debüt, in dem Jordan manchmal so große Quantitäten in seinen Szenen auffährt, dass keine Leinwand und kein Screen sie fassen könnten.

Episch: Eines Menschen Flügel | Andreas Eschbach

Lübbe, Hardcover, 1256 Seiten • 26 Euro

Damit konnte man nicht unbedingt rechnen: In seinem neuen seitenstarken Roman widmet sich Bestsellerautor Andreas Eschbach, der im Thriller ebenso zuhause ist wie in der Science Fiction und letztes Jahr erst die mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Romanbiografie von Perry Rhodan vorlegte, einer Lowtech-Gesellschaft geflügelter Menschen, die sich auf einem fremden Planeten entwickelt hat. Mit viel klassischer Erzählmagie und -Lust beschreibt Eschbach ihre Kultur sowie einen Kampf um die Wahrheit über den Rest des Universums und die eigene Lebensweise. Ein dichter, detailversessener, epischer und verblüffend traditioneller Science-Fantasy-Langstreckenflug.

Dystopische Satire: Die F*ck-it-Liste | John Niven

Deutsch von Stephan Glietsch • Heyne Hardcore, Pappband, 320 Seiten • 22 Euro

Der Schotte John Niven wurde mit deftigen, bissigen, witzigen, zynischen, bitterbösen Romanen wie „Kill Your Friends“, „Coma“ und „Gott bewahre“ zum Liebling der Leser und Kritiker. Sein neuestes Werk „Die F*ck-it-Liste“, im Original im Frühjahr 2020 und somit vor den US-Wahlen erschienen, entpuppt sich als eine dystopische Near Future-Satire sowie als pulpiger Rache-Thriller. Im Jahr 2026 ist Ivanka Trump an der Macht und der ehemalige Reporter Frank Brill todkrank. Also zieht er durch die USA der Trumps und ihrer Anhänger, in der alle Medien gekauft sind, Amokläufe zum Alltag gehören und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. SF-Enthusiasten freut, wie gut Mr. Niven seine satirische, jedoch sehr plausible Zukunftsvision hinbekommen hat.

Cyberpunk: 88 Namen | Matt Ruff

Deutsch von Alexandra Jordan • FISCHER Tor, Paperback, 336 Seiten • 16,99 Euro

Matt Ruf lieben wir für Romane wie „Fool on the Hill“, „Bad Monkeys“, „Mirage“ und natürlich „Lovecraft Country“, dessen TV-Umsetzung dieses Jahr aus gutem Grund viel Lob erhielt. Ruffs neuer eigenständiger Roman „88 Namen“ führt den US-Amerikaner ins Cyberpunk-Genre zurück, das er bereits Ende der 1990er mit „G.A.S.: Die Trilogie der Stadtwerke“ beackert hat. Doch das Genre hat sich weiterentwickelt, und dem trägt Ruff mit seinem jüngsten Werk Rechnung. Denn das Leben von John Chu erstreckt sich auf die Wirklichkeit genauso wie auf die virtuelle Realität einer Fantasy-Rollenspielwelt, die einander im großen Stil beeinflussen. Ein echter Ruff, und ein echtes Vergnügen – nicht nur für Gamer oder Fans von „Ready Player One“.

Christian Endres

Christian Endres schreibt für den Tagesspiegel, Tip Berlin, diezukunft.de, phantastisch!, Doppelpunkt, Geek! und viele mehr. Für Panini betreut er redaktionell die Comic-Ausgaben von Spider-Man, Batman, Conan, den Avengers und anderen. Neben den Büchern „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ und „Die Zombies von Oz“ veröffentlichte er Geschichten in Anthologien, Magazinen wie c’t und Exodus, der Heftreihe Basement Tales, Basteis Horror Factory sowie auf Englisch im Sherlock Holmes Mystery Magazine und in Heavy Metal. Er wurde bereits mit dem Deutschen Phantastik Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.