Science Fiction

Die Bilderwelten des Simon Stålenhag - Retrofuturistische Science-Fiction-Kunst in erzählenden Bildbänden aus Schweden

Die Bilderwelten des Simon Stålenhag
Christian Endres
27.04.2022

Drei Bände, ein Rollenspiel und eine Amazon-Serie gibt es bereits zu den Bilderwelten von Simon Stålenhag. Mit Das Labyrinth erscheint jetzt Band 4, den Christian Endres zum Anlass genommen hat, uns das Schaffen des schwedischen Autors näher vorzustellen.

Der Schwede Simon Stålenhag begeistert seit Jahren mit seinen retrofuturistischen Cyberpunk-Alternativwelten, die er mittels Bilder und Prosa zum Leben erweckt. In seinen Illustrationen vereint Stålenhag dabei auf imposante Weise klassische Landschaftsgemälde mit typischen Science-Fiction-Elementen. Man sieht sofort, dass ihn der schwedische Naturmaler Lars Johnsson beeinflusst hat, aber auch die amerikanischen Konzept-Künstler Ralph McQuarrie und Syd Mead, die mit ihrer Arbeit an Star Wars und Blade Runner die SF bis heute geprägt haben.

Ursprünglich veröffentlichte der 1984 geborene Stålenhag seine Bilder nach und nach ohne konkretes Ziel oder größeren Zusammenhang im Internet. Schließlich kombinierte er seine beliebten Parallelwelt-Impressionen mit Unterstützung episodischer Texte zu erzählenden Artbook-Panoramen und narrativen Bildbänden, die seit 2014 erscheinen. Obendrein entstanden ein Pen&Paper-Rollenspiel und ein von Stålenhag produzierter Soundtrack. Projekte, deren Finanzierung immer wieder per Kickstarter gesichert wird. Und während Amazon Tales from the Loop als Streaming-Serie umsetzte, optionierten die Russo Brothers The Electric State für eine Verfilmung.

Bei Fischer TOR liegt nach Tales from the Loop, The Electric State und Things from the Flood mit Das Labyrinth jetzt bereits das vierte querformatige Buch von Simon Stålenhag auf Deutsch vor. Ein willkommener Anlass für einen Streifzug durch seinen SF-Kosmos.

Schwedische Nostalgie

Tales from the Loop setzt in einer schwedischen Parallelwelt der 1980er ein. Der titelgebende Teilchenbeschleuniger hat die Wirklichkeit verändert, zu der nun hochentwickelte Roboter und Drohnen, Dinosaurier, tierische Cyborgs und vieles mehr gehören. Doch Stålenhag bildet keinen Krieg ab, stattdessen illustriert und beschreibt er eine Co-Existenz. Dieses friedliche Nebeneinander liefert einen angenehmen, einnehmenden Gegenpol zu den üblichen Konflikten des Genres und geradezu nostalgisch-utopisches Feeling.

Das Sequel Things from the Flood führt dann in die 1990er derselben Welt. Aus der Loop-Einrichtung flutet angeblich kontaminiertes Wasser, was Sperrzonen nötig macht und Verschwörungstheorien gedeihen lässt. Inmitten von all dem ragen gewaltige futuristische Fabrikkomplexe auf, ziehen Maschinen-Riesen und Robo-Vagabunden umher, trifft man militärische Drohnen und junge menschliche Hacker.

In beiden Bänden erschafft Stålenhag eine Alternate-Reality-Variation seiner Jugend außerhalb Stockholms. Er zelebriert die Kunst des Retrofuturismus, lädt also die Erinnerungen an die Vergangenheit mit den Visionen der Zukunft und den Motiven der Fantastik auf. Diese Fusion ergibt Steampunk und, noch präziser, Cyberpunk. Dazu gehört auch die klobige, aus heutiger Sicht schon wieder überholt wirkende Technologie aus den Anfängen des Computer-Zeitalters und der Ära des ersten Cyberpunk-Booms.

Stålenhags staunenswerte Bilder und vielseitige Textvignetten haben eine Wechselwirkung und sorgen mit ein paar anderen Gimmicks für starkes Worldbuilding. Im Mittelpunkt steht die Symbiose von Natur, Mensch und Menschengeschaffenem. Alltägliches, Fantastisches, Gewohntes, Fremdartiges, Nostalgisches und Futuristisches verschmelzen zu einer Übernatürlichkeit – einer Hyperrealität, der trotz allem ein stets greifbarer Realismus anhaftet. Außerdem stattet Stålenhag seine Welt mit einem allgegenwärtigen Sinn von Weite aus, und einem ganz eigenen Sense of Wonder.

Ein fantastisches Setting für viele Bilder, Ideen, Schicksale und Geschichten. Stålenhags Bücher laden zum intensiven Betrachten und langen Verweilen ein, ohne jedes Geheimnis ihrer verwandelten Wirklichkeiten preiszugeben. Dazu passt, dass Stålenhag mit seinen knappen Texten zumeist ‚nur’ unterstützt, lieber anreißt und anregt, statt alles bis in den letzten Winkel auszuleuchten, bis ins letzte Detail auszuerzählen. So bleibt genug Raum, um selbstständig noch tiefer in diesen Kosmos einzutauchen, ihn mit der eigenen Vorstellungskraft zu entschlüsseln und zu erforschen.

Endzeit und Postapokalypse

Der eigenständige Band The Electric State handelt ebenfalls von Menschen und Robotern, jedoch auch von Abhängigkeit und Evolution – und ist in einer alternativen Version der amerikanischen 1990er angesiedelt, die zum Schlachtfeld von Drohnen, Kampfbots und Luftschiffen wurden. Die Endzeit wird von einem künstlichen Superintellekt beherrscht, viele Menschen sind von Neurohelmen abhängig, überall streifen autonome Roboter und seltsame Chimären umher. Ungeachtet aller Gefahren begeben sich ein kleines Mädchen und sein treuer Bot auf einen Roadtrip. Die bis dato so optimistische Science-Fiction Stålenhags erhält hier einen deutlich spürbaren Zusatz an Dunkelheit und sogar Horror.

Womit wir bei der Neuerscheinung Das Labyrinth ankommen – von Stimmung und Malstil her unverkennbar Stålenhag, und doch etwas anders als seine bisherigen Werke. Die Welt besteht hier bloß noch aus Ruinen, nachdem die mysteriösen Schwarzen Sphären die Erde vergiftet haben. Wenige auserwählte Menschen überleben in unterirdischen Anlagen, gelegentlich bricht man in einem gepanzerten Fahrzeug zu seiner Expedition an die Oberfläche auf und lebt vorübergehend in einer gesicherten Station. Soldaten, Soldatinnen, Kampfschiffe und Roboter setzen derweil die Regeln einer strengen neuen Ordnung durch. Postapokalypse und Dystopie spiegeln sich auch in den Bildern wider, die wesentlich bedrückender, finsterer und bedrohlicher wirken als in Stålenhags vorangegangenen Veröffentlichungen.

Überdies ist der Text dichter denn je und erzählt eine zusammenhängende Geschichte. Visuell greift Stålenhag zwischendurch erstmals auf sequenzielle Bildfolgen wie in Comic oder Storyboard zurück. Eine interessante Erweiterung seines zeichnerisch-erzählerischen Repertoires, ohne dass er dadurch automatisch Gefahr liefe, zu viel zu enthüllen. Es geht in den jeweiligen Passagen eher um die Konzentration auf eine bestimmte Szene, einen konkreten Ablauf. Nicht nur für Fans seiner Kunst eine spannende Entwicklung. Allerdings sollte Das Labyrinth aufgrund des Krieges in der Ukraine mit einem Trigger-Hinweis versehen werden, denn es gibt einige verwüstete Stadtruinen und die blutigen Konsequenzen von extremer Gewalt zu sehen.

Doch zum Glück kann man ja mit jedem üppig bebilderten Band von Simon Stålenhag anfangen, je nach Stimmung oder Gusto. Nicht zuletzt, weil die weiten Science-Fiction-Welten, die der Schwede mit so großem interdisziplinärem Talent und multimedialem Erfolg gestaltet, trotz ihrer eindeutigen Lokalisierung universell zugänglich sind, und alle einladen, ansprechen und faszinieren.

Alle Bände wurden von Stefan Pluschkat aus dem Schwedischen übersetzt.

Christian Endres

Christian Endres schreibt für den Tagesspiegel, Tip Berlin, diezukunft.de, phantastisch!, Doppelpunkt, Geek! und viele mehr. Für Panini betreut er redaktionell die Comic-Ausgaben von Spider-Man, Batman, Conan, den Avengers und anderen. Neben den Büchern „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ und „Die Zombies von Oz“ veröffentlichte er Geschichten in Anthologien, Magazinen wie c’t und Exodus, der Heftreihe Basement Tales, Basteis Horror Factory sowie auf Englisch im Sherlock Holmes Mystery Magazine und in Heavy Metal. Er wurde bereits mit dem Deutschen Phantastik Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

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