BUCH
Peter Michael Meuer, 05.04.2021
Mikroben auf dem Mars, Alien-Funksprüche oder gleich ein Raumschiff: Was bedeutet es für die SF-Literatur, wenn in naher Zukunft der Nachweis außerirdischen Lebens gelingt?
In Alan Moores und Dave Gibbons Graphic Novel Watchmen sind Superheld*innen Alltag, gehen zur Arbeit, fahren mit der U-Bahn. Wo sie kaum zu finden sind: Auf Leinwänden und Papier. Wenn es sie wirklich gäbe, so begründete Moore, wären die Menschen kaum mehr an Geschichten über sie interessiert. Was erfahrbar ist, taugt demnach nicht mehr als Fiktion. „In Watchmen lesen die Leute Piratencomics“, berichtet Dr. Rebecca Haar, Produktmanagerin bei Panini. Der Hit sind die Tales of the Black Freighter.
Davon abgesehen, dass mit Pirat*innen alles besser ist – was macht dieses Gedankenexperiment mit der Phantastik und ihren Genres? Fantasy und Horror sind wohl safe. Von Elben und Zombies fehlt in der Realität jede Spur, Drachen, Geister und Killerclowns gibt es ebenfalls nicht. Zumindest nicht diese Art Killerclowns.
Akut gefährdet wären nach Watchmen-Logik allerdings die Science Fiction oder zumindest einige Subgenres. Fast wochenweise vermelden die Medien mittlerweile Chancen, Leben außerhalb der Erde zu finden und damit in die Wirklichkeit zu ziehen: Der Mars-Rover Perseverance fahndet nach Mikroben. Anscheinend aus Richtung Proxima Centauri erreichte kürzlich ein mysteriöses Radiosignal die Erde (hoffen wir, dass die Trisolarier nicht schon unterwegs sind). In dem vermeintlichen Asteroid Oumuamua vermuten manche eine Aliensonde. Und und und. Forscher*innen wie Dr. Seth Shostak von SETI sind überzeugt, dass die Menschen in den nächsten 25 Jahren außerirdisches Leben aufspüren.
Zerstören Aliens die Geschichten?
Würde ein solcher Fund also das Ende der SF einleiteten, zumindest jener mit Aliens, so wie in Watchmen die Existenz von Helden*innen mit Cape das entsprechende Comicgenre plattmacht? Dafür zurück zu Rebecca Haar. Die Stuttgarterin hat nämlich nicht nur Comicexpertise, sie ist auch Literaturwissenschaftlerin: An der Uni Tübingen lehrt sie zu Spielarten der Phantastik, auch zu Star Trek und Doc Who. So gern sie die Watchmen mag, auf die Science Fiction lässt sich Moores Superhelden-Gedankenspiel ihrer Meinung nach nicht übertragen.
Der Nachweis außerirdischen Lebens würde die SF laut Haar natürlich nicht verschwinden lassen. „Er dürfte neue Perspektiven in diesem ohnehin vielseitigen Genre etablieren.“ Wissenschaftliche Entdeckungen führten allerdings zu Transformationsprozessen in der Literatur. „Wenig überraschend ist gerade die Science Fiction dafür ein gutes Beispiel“.
So seien in den 1950er und 1960er Jahren Supercomputer und Roboter in Erzählungen aufgetaucht. Und das nicht als Kulisse, sondern mit technikphilosophischem Momentum. Haar nennt Beispiele: Roboter Robby in Fred M. Wilcoxs Alarm im Weltall (1956) oder Computer HAL 9000 aus Kubricks und Clarkes 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) neigten zu Fehlfunktionen, was die damaligen Ängste vor der neuen Technik darlegte. Philip K. Dick diskutierte 1968 in Träumen Androiden von elektrischen Schafen? die Frage nach der Menschlichkeit der Androiden. „Science Fiction reagiert auf aktuelle Entwicklungen“, fasst Haar zusammen. Momentan lasse sich das etwa an „unzähligen Romanen, Filmen, Serien“ erkennen, die sich mit Künstlichen Intelligenzen auseinandersetzen, nachdem diese dank Siri, Alexa und Co. im Alltag der Menschen immer mehr Raum einnehmen – Beispiele sind Ridley Scotts aktuelle Serie Raised by Wolves oder Tom Hillenbrands Hologrammatica.
Zum spezifischen Thema der Science Fiction im Film ein Einschub von Simon Spiegel vom Filmseminar der Universität Zürich. Im Bewegtbild habe sie ein stärker „ästhetisches Moment“, hat er beobachtet, exakte Wissenschaftlichkeit sei hier weniger wichtig. Dennoch orientiere sich SF auch im Film an dem, was aktuell sei.