Englischsprachige Romane
Einige Romane, die ich gern besonders hervorheben würde, sind leider noch nicht auf Deutsch erschienen. Die ungekrönte Königin harter, frauenzentrierter Science-Fiction ist Kameron Hurley. Kein einziges Buch von ihr ist bisher auf Deutsch erschienen (ja, ich prangere das an!). Aber egal ob „Apocalpse Nyx“, „The Stars Are Legion“ oder „The Light Brigade“, kompetente und knallharte Space-Lesbians gibt es in jedem Hurley-Roman!
Auch Aliette de Bodard, auf Englisch schreibende franco-vietnamesische Autorin, ist bislang nicht übersetzt. Für ihre Novelle „The Tea Master and the Detective“ erhielt sie gerade frisch den Nebula-Award. Ihr self-gepublishter Roman „In the Vanishers’ Palace“ ist die Science-Fiction-Variante von „Die Schöne und das Biest“, in dem eine Gelehrte in einer verwüsteten Welt von einer der letzten Drachen entführt wird. Nach und nach fühlt sie sich immer mehr zu ihrer Entführerin hingezogen …
Über Ann Leckies Gender-Mindfuck habe ich ja bereits in ihrem Porträt hier auf Tor Online berichtet: In der Ancillary-Trilogie („Die Maschinen“ und die beiden Fortsetzungen) wird das generische Femininum verwendet und verschiebt unseren Blick auf das Männliche als „Standardgeschlecht“. In Leckies bislang noch nicht auf Deutsch erschienenem Roman „Provenance“ kehren Leser*innen in dasselbe Universum zurück, diesmal mit einer lesbischen Protagonistin in einer Geschichte, in der es großangelegt um Machtdynamiken, Familienpolitik und interstellare Konflikte geht.
(Gender-)queere Klassiker
Aber queere Protagonist*innen sind nicht erst gestern erfunden worden – auch in Science-Fiction-Romanen, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, wird die Binärität der Geschlechter in Frage gestellt und sexuelle Orientierung und Anziehung zum Thema gemacht.
Das berühmteste Beispiel ist sicherlich Ursula K. Le Guins „Die linke Hand der Dunkelheit“, in dem das Volk eines ganzen Planeten geschlechtsneutral ist, außer zu „Paarungszeiten“, zu denen sie genderfluid wechselnde Geschlechter annehmen. Bei Le Guins „Freie Geister“ lebt der Protagonist zudem eine Zeit lang mit einem schwulen Freund zusammen und führt eine sexuelle Beziehung mit ihm, bevor er wertfrei zu dem Schluss kommt, dass er sich mehr zu Frauen hingezogen fühlt – das geschieht zwar nur am Rande, Le Guin wirft damit jedoch in den Raum, dass auch sexuelle Anziehung eine Sache der Kultur ist und dass es in einer Gesellschaft, die in dieser Hinsicht keine Wertung vornimmt, vollkommen gängig ist, Bisexualität und andere Ausprägungen sexueller oder romantischer Vielfalt „auszuprobieren“.
Aber genug zu Le Guin! Eine Autorin, die einen noch viel radikaleren Ruf genoss und genießt, ist Joanna Russ, aus deren Feder das hervorragende Sachbuch „How to Suppress Women’s Writing“ stammt, in dem sie Anfang der Achtziger den Umgang mit Literatur von Frauen anprangerte (eine übrigens immer noch viel zu aktuelle Lektüre und ein echter Augenöffner).
Ihr Roman „The Female Man“ („Planet der Frauen“ bzw. „Eine Weile entfernt“) verknüpft vier Zeiten und Welten von vier Protagonistinnen, die sich alle in verschiedenen gesellschaftlichen Entwürfen von „Gender“ befinden. Dadurch, dass sie aufeinandertreffen und die Welten wechseln, beginnen sie, die Entwürfe ihrer eigenen Heimat in Frage zu stellen. Ein Klassiker zum Thema „Genderqueerness“!
In „China Mountain Zhang“ („ABC Zhang“) nahm Maureen F. McHugh 1992 die Perspektive eines chinesisch-puertoricanischen schwulen Mannes ein, der im weltumspannenden chinesischen Kommunismus des 22. Jahrhunderts aufwächst. McHughs Roman ist sehr charakterzentriert und malt einen plausiblen und ungewöhnlichen Weltenentwurf.