Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Bina Shah.
Die in Pakistan geborene Autorin wird häufig darauf reduziert, ihr Buch Die Geschichte der Schweigenden Frauen behandle das Thema Misogynie in einer muslimisch geprägten Dystopie. Diese Art der Rezeption verhindert jedoch, dass wir Shahs Stimme so wahrnehmen, wie sie es verdient: als feministische, bikulturelle Perspektive, die eine Geschichte über Fremdbestimmung erzählt, von der wir uns in Mitteleuropa alles andere als freisprechen können.
Shah wuchs in den USA und Pakistan auf, studierte in den USA Psychologie und Educational Technology und lebt zurzeit in Karachi. Sie schreibt meist auf Englisch; unter anderem für die New York Times, den Guardian und Al Jazeera und ihren eigenen Blog „The Feministani“. Die Geschichte der Schweigenden Frauen ist ihr fünfter Roman und ihr erster Science-Fiction-Roman.
„Feminismus ist ein zeitloses Konzept“
Als Bloggerin setzt sich Shah mit dem Vorwurf auseinander, Feminismus sei ein importiertes, westliches Kulturgut. Viele junge Männer fragen sie auf den Social Media danach, schreibt sie auf „The Feministani“: „Ich habe mittlerweile verstanden, dass viele falsche Vorstellungen zu Feminismus kursieren und dass pakistanische Frauen, die Ermächtigung suchen, mit so viel Gegenwind rechnen müssen, dass wir sehr vorsichtig sein und manchmal ganz zurück an den Anfang gehen müssen, um andere verstehen zu lassen, was Feminismus als Ganzes ist und was damit zusammenhängt. Junge Frauen sehnen sich danach, dass ihr Ehrgeiz, ihre Wünsche und Hoffnungen für ihr Leben als berechtigt anerkannt werden, dass es nichts Falsches ist, sich Ermächtigung zu wünschen.“
Als pakistanische Feministin wird sie immer wieder darauf angesprochen, ob ihr Roman vor allem Aussagen zu Feminismus in muslimisch geprägten Ländern enthalte und ob sie in Pakistan mit Konsequenzen oder Einschränkungen zu rechnen habe aufgrund ihrer Arbeit als Schriftstellerin. Während Shah darüber Aufklärungsarbeit leistet, ist ihr jedoch auch wichtig klarzustellen, dass auch die europäischen und nordamerikanischen Länder noch viel feministische Arbeit vor sich haben.
Das dystopische Thema der Fruchtbarkeit
Denn die Themen, die Shah behandelt, sind vertraut: Sie entspringen der gleichen Quelle feministischer Dystopie wie beispielsweise Der Report der Magd von Margaret Atwood, mit der Shah wieder und wieder verglichen wird. Eine feministische Dystopie, die davon ausgeht, dass hierarchische Machverhältnisse in einer Postapokalypse, die die Fortpflanzungsfähigkeit der Menschheit beeinträchtigt, dort wieder einkehren, wo sie aufgehoben schienen.
Schauplatz von Shahs Roman ist Green City, die Hauptstadt von Sub-West-Asien, eine säkuläre Stadt, in der Religion und Glauben untergeordnete Rollen spielen. Was jedoch eine Rolle spielt, ist die Frage, wie das Individuelle durch äußere Umstände gezwungen wird, sich dem Allgemeinwohl unterzuordnen, und wie in einer Gesellschaft Intimität zum größten Mangel wird. Aber worum geht es überhaupt in Shahs erstem Science-Fiction-Roman?
In einer unbestimmten, näheren Zukunft gab es einen Nuklearkrieg in Pakistan und eine aus den Konflikten resultierende Krankheit tötete viele Menschen, vor allen Dingen Frauen, und stellte dadurch ein Geschlechterungleichgewicht her. In Green City lebt man nun in einem streng reglementierten Alltag, und den Preis fürs Überleben müssen die gebärfähigen Menschen zahlen: In Shahs Roman werden einer Frau im gebärfähigen Alter mehrere Männer in aufoktroyierter Polygamie zugeordnet, Beziehungen, die nur existieren, damit die Frau möglichst viele Kinder gebiert und die viele Menschen der Stadt unglücklich machen oder sogar in den Suizid treiben. Auch die Mutter der Protagonistin Sabine nahm sich das Leben. Sabine selbst jedoch rettete sich als junge Frau außerhalb der Stadt in den Untergrund, die Panah. Frauen und Mädchen aus der Panah betreten Green City nur noch aus einem Grund: Sie bieten den Mächtigen der Stadt etwas an, was diese in ihren Ehen und Familien nicht mehr erhalten – Zärtlichkeit.
Wie und ob Zärtlichkeit mit Sex verbunden ist, was das Aufsetzen und Erhalten von Hierarchie mit Menschen macht, erzählt Shah ruhig und aus verschiedenen Ich-Perspektiven. Dabei sind bei ihr die Männer durchaus nicht die Täter – das Unrecht ist systemisch, und auch Männer können sich den Traumata nicht entziehen. Shah geht da subtil vor, macht deutlich, dass Frauen dieser hierarchischen Ordnung nur entkommen können, wenn sie Männer als Beschützer oder Komplizen haben, wenn sie also von Männern ermächtigt werden.