Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Hao Jingfang.
Wenige Autor*innen werden ins Deutsche übersetzt, wenn sie nicht gerade auf Englisch schreiben. Selbst Genre-Romane aus den Nachbarländern liegen letztlich nur in Ausnahmefällen (und nach Netflix-Verfilmungen) im Stapel in den Buchhandlungen. Doch in den letzten Jahren gibt es einige Stimmen aus China, die wir auch im deutschsprachigen Raum vernehmen können. „Schuld“ daran ist eigentlich Ken Liu.
Englisch als Tor in den internationalen Raum
Denn der Weg zu einer deutschen Übersetzung führt oft über eine Englische – manchmal sogar tatsächlich durch die Übersetzung einer Übersetzung; so wurde zum Beispiel Haruki Murakami vor einigen Jahren noch vom Japanischen ins Englische und dann vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Hao Jingfangs Roman Wandernde Himmel hat einen deutschsprachigen Übersetzer, der aus dem Chinesischen übersetzt – und trotzdem war der erste Schritt für eine Übersetzung das Betreten des englischsprachigen Markts.
Ken Liu hat 2015 die erste Hugo-Verleihung an einen chinesischen Autor möglich gemacht: Er übersetzte Die drei Sonnen (The Three Body Problem) seines bereits mehrfach mit chinesischen SF-Preisen überhäuften Nachnamensvetters Liu Cixin ins Englische, und dieser erhielt als erster chinesischer Autor den Hugo-Award. Die drei Sonnen ist sogar erst der zweite mit dem Hugo ausgezeichnete Roman, der nicht originär auf Englisch erschien, nach einem französischen Roman 1963.
2015 übersetzte Ken Liu, selbst sino-amerikanischer SFF-Schriftsteller, Hao Jingfangs Novelle »Folding Beijing« für das Uncanny Magazine ins Englische – und damit wurde Hao auch für den deutschsprachigen Markt interessant.
Peking falten und in die USA schielen
Auch das ist natürlich nicht unproblematisch. Es wird für Leser*innen grundsätzlich einfacher, eine größere Diversität in der Science Fiction zu erfahren – aber gerade, was nicht-deutschsprachige und nicht-englischsprachige SF angeht, sind wir sehr stark darauf angewiesen, dass es Übersetzungen gibt. Und in einem Genre, das nicht keinen großen Marktanteil hat, stehen unsere Chancen, nicht-englischsprachige Autor*innen kennenzulernen, daher eher schlecht. Es ist natürlich gut, dass die großen »internationalen«, sprich US-zentrierten Awards sich diversifizieren und sich dieses Problems bewusst sind – doch damit laden wir auch die Verantwortung, sich über Sprachen- und Nationengrenzen hinweg um eine Vielfältigkeit der Science Fiction und Fantasy zu bemühen, auf den guten Willen beispielsweise der World Science Fiction Society ab. Aber blicken wir positiv in die Zukunft, so wie Hao Jingfang es tut – manchmal.
Möge die reale Zukunft positiver sein!
Hao, 1984 geboren, erhielt bereits 2002 ihren ersten Literaturpreis und einen Platz an der Chinesisch-Fakultät der Peking-Universität. Sie jedoch wollte Physik studieren und schloss noch einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an. Sie hat in China zwei Romane und zwei Kurzgeschichtensammlungen veröffentlicht, arbeitete bereits als stellvertretende Direktorin beim Thinktank China Development Research Foundation, beschäftigte sich dort mit der Entwicklung der neuen Metropole Jing Jin-Jin, die rings um Peking entstehen soll, gründete 2017 das Tong Xing College als nachhaltiges, kreatives Bildungskonzept für Kinder und wurde 2018 Gastdozentin an der Harvard Kennedy School.
2016 erhielt sie als zweite Person aus China den Hugo-Award für die beste »Novellette«. (Da es diese Kategorien im deutschsprachigen Raum so nicht gibt, hier kurz eine Erläuterung: Als Kurzgeschichte gilt ein Text, der bis zu 7.500 Wörter zählt, Novelletten haben zwischen 7.500 und 17.000 Wörtern, Novellen zwischen 17.000 und 40.000 und Romane mehr als 40.000. Im US-amerikanischen Raum eine gutgepflegte Tradition, erscheinen Novellen und Novelletten auf Deutsch meist zu einem romandicken Buch zusammengefasst, wie beispielsweise Nnedi Okorafors Binti oder Martha Wells’ Tagebuch eines Killerroboters.) In ihrer Hugo-Dankesrede schildert Hao, dass sie als Science-Fiction-Autorin verschiedene Szenarien für den Abend im Kopf hatte: Das Hugo-Award-Szenario und das Szenario, in der sie zur legendären Hugo-Loser-Party geht – sie sei sich nicht sicher, welches die bessere Alternative sei (es ist eine wirklich legendäre Party!). Auch ihre Novellette stelle ein Zukunftsszenario vor. Nicht das optimistischste für die Herausforderungen, die uns bevorstehen, aber auch nicht das düsterste, das, in dem Menschen verhungern und junge Leute in den Krieg geschickt werden, wie es meist in der Realität ende. Sie hoffe jedenfalls, dass die reale Zukunft positiver ausfallen