Science Fiction

Science Fiction von Frauen #12: Octavia Butler

Science Fiction von Frauen #12: Octavia Butler
© cr. Ching-Ming Cheung / pixabay

BUCH

 

Judith Vogt, 12.05.2020

Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Octavia Butler.

Octavia E. Butler starb vor 13 Jahren im Alter von nur 59 Jahren. Sie war die erste Schwarze Science-Fiction-Autorin, die einen Hugo-Award erhielt (für ihre Kurzgeschichte „Speech Sounds“). Einige ihrer Romane finden gerade ihren Weg in die Serien- und Filmlandschaft und haben Autorinnen wie Nnedi Okorafor oder N.K. Jemisin inspiriert.

Prophetische Gabe? Aber sicher!

Octavia Butler spielt in ihren Science-Fiction-Romanen mit Zeitreisen und dem daraus resultierenden Paradoxon, mit Alien-Invasionen, Fremdheit, Vertrautem und menschlichem Mit- und Gegeneinander. Was sie dabei am präzisesten vorhersah, war ihre eigene Zukunft. Im Buchdeckel ihres Tagebuchs, das 2016 veröffentlich wurde, hielt die Autorin fest:

„Ich werde eine Bestseller-Autorin sein. Nach Imago wird jedes meiner Bücher auf den Bestsellerlisten stehen. Meine Romane werden auf diese Liste gelangen, egal, ob Verlage sie bewerben oder nicht. […] Ich werde einen Weg finden. So soll es sein! Sieh zu, dass es so ist!“ (Die ganze Seite lässt sich hier lesen.“

Dass dies keine selbsterfüllende Prophezeiung war, erklärt sich wohl von selbst. Octavia Estelle Butler, geboren am 22. Juli 1947 in Pasadena, wuchs in ärmlichen Verhältnissen als Halbwaise und Tochter einer Haushälterin auf. Die oft sogenannte „Mutter des Afrofuturismus“ war trotz ihrer Körpergröße schüchtern und zurückhaltend und litt unter ihrer Dyslexie, doch ihre Stimme wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte lauter und lauter.

Sie war die erste einflussreiche Autorin, die Schwarze Frauen in imaginäre Welten einfügte, sie als Protagonistinnen mit telepathischen Kräften ausstattete oder ihnen den Schlüssel in die Hand gab, um sich einer grausamen Vergangenheit zu stellen.

Viele der Türen, die ihr zu Lebzeiten verschlossen blieben, haben sich posthum geöffnet: Octavia Butlers Fiktionen und Visionen sind aktuell wie nie, und ihr Vermächtnis wird Jahr für Jahr umfangreicher, während die Stimmen von Autor*innen of Color mehr und mehr gehört und damit auch Butlers Einfluss immer offensichtlicher wird.

Butlers Werke stellen Fragen und stellen Perspektiven in Frage; über die Vergangenheit, über die Gesellschaft der Gegenwart, über die Zukunft. Über das Fremde und über ganz Naheliegendes. Ihre Science-Fiction war immer auch dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit verpflichtet und zeigt gleichzeitig das Hässliche an menschlichem Zusammenleben auf, die Ungleichheiten, die Machtstrukturen, die unterbewussten Unterdrückungsmechanismen. Sie erzählt davon, wie man sich in Machtgefüge einfügt und wie man daraus ausbricht, zeitweise bemerkenswert prophetisch.

In den beiden Romanen „Die Parabel vom Sämann“ und „The Parable of Talents“ sah sie den politischen Niedergang der USA bis zum Slogan „Make America Great Again“ voraus (entweder das, oder jemand aus Trumps Wahlkampfstrategieteam hat einen seltsamen Sinn für Humor).

Pessimistin und Pragmatikerin von Beruf

Anders als viele andere Science-Fiction-Autor*innen bezeichnete sich Butler als Pessimistin. „Wir sind nicht auf lange Haltbarkeit getrimmt“, sagte sie in einem Interview im Jahr 2000. Bereits in den Neunzigern glaubte sie, dass wir uns als Spezies selbst zerstören, weil sie schon damals wahrnahm, wie alle Warnungen vor der Klimakrise ungehört verhallten. Dass Dürren und andere Wetterextreme bereits auf dem afrikanischen Kontinent Menschenleben forderten und auch die politischen und sozialen Gefüge von Ländern und Gemeinschaften veränderten, war ihr längst bewusst – doch wenige wollten es in den Neunzigern hören; oder zumindest nicht die Richtigen.

Die „Parabel“-Romane sind dabei besonders eindringlich: Butler nutzt die telepathische Gabe der Protagonistin, um diese mit dem Leid um sie herum zu konfrontieren. Das ist ebenso eine Gabe wie eine Art Behinderung, eine „Hyperempathie“, die eine ganze besondere Art von „Auserwählter“ kreiert. In Butlers Romanen zeichnet sich immer wieder Pragmatismus als Gegenmaßnahme zu Pessimismus aus: Wenn das Schlimmste passiert, dann bereite dich vor, handle bestimmt und verantwortungsbewusst, nimm mit, was du brauchst.

Diese Haltung zieht sich auch durch ihren Roman „Kindred“ – die Protagonistin kommt dem Grund für ihre plötzlichen, lebensbedrohlichen Zeitreisen nie auf die Spur. Es ist Zufall oder Schicksal, eine Art äußere Kraft, die sie nicht ergründen kann. Sie bereitet sich jedoch so gut vor, wie es ihr nur möglich ist, nimmt Medizin, Karten und auch Waffen in den Vorbürgerkriegssüden mit. Darin spiegelt sich sicherlich auch Erlebtes wider. Unvorhergesehener Schrecken ist im Leben Marginalisierter allgegenwärtig, deshalb ist es so wichtig, darauf vorbereitet zu sein.

Jemand muss die Erste sein

Als Butler selbst mit ihrer Karriere begann – indem sie mit zwei Fingern Geschichten in die Schreibmaschine ihrer Mutter hackte, versuchte ihre Tante Hazel ihr klarzumachen, dass sie keine Autorin sein könne. Es ging einfach nicht: Die Stimme einer Schwarzen Autorin würde nicht gehört werden. Butler besuchte das College, machte einen Abschluss in Geschichte und belegte außerdem zusätzlich Schreibkurse. Ein Clarions Workshop und ein „Open Door Workshop“ der Screenwriters‘ Guild of America, der afroamerikanische und Latinx-Schriftsteller*innen fördern sollte, brachte ihr schließlich Ende der Sechziger die Aufmerksamkeit der Genregröße Harlan Ellison, der sich für ihre Geschichten zu interessieren begann. 

Es war kein sofortiger Aufstieg: Wie die Protagonistin von „Kindred“ arbeitete sie, um in ihrer Freizeit zu schreiben, manchmal mitten in der Nacht, doch sie lebte fünf Jahre lang mit Absagen und Brotjobs. Sie las viel, um noch besser zu schreiben, doch der Mangel an Schwarzen und speziell Schwarzen weiblichen Perspektiven störte sie immer.

Dazu schrieb sie in „Telling My Stories“: „Warum gibt es nicht mehr Schwarze Sci-Fi-Autor*innen? Es gibt sie nicht, weil es sie nicht gibt. Was wir nicht sehen, so nehmen wir an, können wir auch nicht sein. Welch zerstörerische Annahme.“

Wie politisch ist „politisch genug“?

In den Siebzigern wurde der Spiegel, den sie „Rassen-“, Klassen- und Geschlechterkategorien mit ihren Romanen „Patternmaster“ und „Mind of My Mind“ vorhielt, jedoch als nicht relevant und radikal genug empfunden. „Warum schreibst du diesen Kram? Du solltest etwas schreiben, das für unseren Struggle politisch relevanter ist“, wurde ihr empfohlen, so rekapitulierte sie später. Das Empfinden dessen, was Science-Fiction kann und tut, was davon relevant ist und wie es gelesen wird, ist etwas, das im Laufe der Jahrzehnte in stetem Wandel begriffen ist und immer wieder in Frage steht. Als Antwort darauf entstand Kindred, in dem Butler zeigte, wie sie sich mit als relevant empfundenen Themen auseinanderzusetzen gedenkt. Danach waren ihr die Plätze auf den weltweiten Bestsellerlisten sicher.

Das machte ihr möglich, in den Achtzigern für ihre Xenogenesis-Trilogie sogar im Amazonasgebiet und den Anden zu recherchieren. In diesem Dreiteiler geht es um Alien-„Genhändler“, die gewaltarme, soziale Spezies der Oankali, die mit organisch anmutender Technologie Menschen in eine neue Zukunft helfen wollen. Doch Menschen wollen Menschen bleiben und lieber zugrunde gehen, als zum Teil „außerirdisch“ zu werden. Die Themen der Romane blicken tief in postkoloniale und afro-diasporische Themen und schaffen noch mehr: Die Oankali kennen drei Geschlechter, von denen eines eine Mittler-Position beim Sex einnimmt. Damit hat Octavia Butler bereits Gender-Binary-Normativität durchbrochen, bevor es cool war.

Unvollendetes bleibt zurück

In den Neunzigern schrieb sie ihre Parabel-Romane, die in den 2020ern spielen und sich bedrohlich nah an der Wirklichkeit bewegen. Sie wollte die Reihe eigentlich nach dem Tod ihrer Mutter in den frühen 2000ern fortführen, doch die Recherche daran deprimierte sie zu sehr. Stattdessen schrieb sie „Fledgling“, ihren geschickt konzipierten Vampirroman, der 2005 erschien und viel Applaus erhielt. Er verknüpft den Vampirmythos mit Rassismus, als eine Vampirin dank Melanin bei Tageslicht herumlaufen kann und dafür von den älteren bleichhäutigen Vampiren vernichtet werden soll.

„Fledgling“ war leider ihr letzter Roman. Sie litt danach an hohem Blutdruck und einer davon bedingten Schreibblockade und starb nach einem Sturz im Alter von 59 Jahren. Dank ihrer Werke fand sie schon zu ihrer Lebenszeit Eingang in die Science Fiction Hall of Fame und die MacArthur Fellowship. 2006 wurde in ihrem Gedächtnis eine Art Stipendium beim Clarion Writers‘ Workshop gegründet, das speziell junge Autor*innen of color unterstützen soll – und ihr Erbe ist lange noch nicht „ausgezahlt“, sondern strahlt in dieses Jahrzehnt und sicher auch das kommende hinein, als Türöffner für viele, die nach ihr kamen und kommen werden, und als Fenster in neue Welten.

Die letzten Worte sollen Octavia Butler selbst gehören und sind ein Zitat aus den religiösen Texten, die Butler für ihre „Parabel“-Saga schrieb:

To survive
Know the past.
Let it touch you.
Then let
The past
Go.

Um zu überleben, kenne die Wahrheit. Lass zu, dass sie dich berührt. Und dann lass die Vergangenheit gehen.

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.


www.jcvogt.de