Männliches Privileg und Gewalt in der Beziehung
Oft mache auch ich den Fehler, dass ich den Einfluss dieser Männer auf die Science-Fiction am liebsten vergessen würde. Ich würde sie am liebsten damit strafen, nicht mehr über sie zu reden. Aber Jeannette Ng liegt absolut richtig: Wir können ihre Bedeutung nicht herunterspielen – wir müssen sie anerkennen und auch, was das mit unserem Genre macht.
Das Genre und besonders weiße cis Männer darin müssen sich mit diesem Erbe beschäftigen, auch wenn es ihnen grundsätzlich lange eine behagliche Umgebung geschaffen hat. Wir sehen in Campbell einen Menschen, der natürlich „Gutes“ getan hat – der Leute gefördert und freundlich behandelt hat, der ein liebevoller Vater war. Wir müssen nicht nur damit leben, dass Menschen verwirrend und mit Makeln behaftet sind – sondern auch entscheiden, welche Konsequenzen wir daraus ziehen; für uns persönlich und für die Räume, in denen wir aktiv sind.
Und ja, wir müssen uns darüber klar werden, dass sich weiße cis Männer in der Science-Fiction so mies aufführen, weil sie von ihren großen Vorgängern gelernt haben, wie es geht.
Aber jetzt die gute Nachricht: Jeannette Ngs Rede hat nicht zum ersten Mal offengelegt, was für ein Mensch Campbell ist – aber sie war der berüchtigte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat: Der Award heißt nun Astounding Award for Best New Writer und trägt damit nun laut dem Herausgeber des Analog Science Fiction and Fact-Magazins (das den Award verleiht), der Tatsache Rechenschaft, dass Campbells Einstellungen und Zukunftsvisionen nicht mit denen der Menschen übereinstimmen, die nominiert sind, gewinnen und/oder den Award unterstützen.
Ng spielt auch als Newcomerin bereits eine bedeutende Rolle – sie steht mit für einen Neuaufbruch in eine bewusst politische und engagierte Phantastik. Um sich dafür auszusprechen, muss man keine alte Häsin sein, im Gegenteil, es ist unabdingbar, dass neue Autor*innen mit Ungeduld und klaren Visionen das Genre stürmen. Ng, die gerade an ihrem zweiten Roman schreibt, begrüßte die Umbenennung des Awards in einem Interview als Schritt weg von einem Mann, der viele Menschen vom Genre fern- oder gleich ganz vom Schreiben abhielt. „Nun feiern wir ein Stück Geschichte, das nicht mehr an seinen Namen gebunden ist, auf etwas neutralere Weise.“
Auch der kritische Campbell-Biograph Alec Nevala-Lee (Astounding: John W. Campbell, Isaac Asimov, Robert A. Heinlein, L. Ron Hubbard, and the Golden Age of Science Fiction) unterstützt das, da die Diskrepanz zwischen Campbells Rassismus und der Diversität der ausgezeichneten Autor*innen immer größer geworden sei. Als Science-Fiction-Schöpfer werde Campbell daran gemessen, wie er gesellschaftlichen Wandel vorhersah, und was das angehe, habe er sich als unzureichend erwiesen, so Nevala-Lee. (Mehr dazu in der Podcast-Episode We’re Officially Done with Lovecraft and Campbell.
Doch damit nicht genug: Jeannette Ng hat für ihre kurze, pointierte Rede den Hugo-Award for Best Related Work erhalten. Diese Kategorie bezog sich ursprünglich auf Sachbücher rund um Fantasy und Science-Fiction, wird aber zunehmend auch für ungewöhnliche Beiträge zum Genre verliehen, wie für den Podcast Writing Excuses, das Fanfiction-Portal Archive of Our Own oder eben für Jeannette Ngs transformierende Rede.
Aber „stimmt“ die Bezeichnung fucking fascist?
Natürlich ging das alles nicht ohne Widerstand über die Bühne. Ng wurde dafür kritisiert, undankbar oder gar „politisch“ zu sein – und dafür, den Award überhaupt angenommen zu haben. Außerdem wurde natürlich viel Für und Wider zum Thema „fucking fascist“ gesagt und geschrieben.
Campbell war konservativ, bigott, sexistisch und rassistisch – aber wirklich ein Faschist? Da stehen wir natürlich wie so oft vor der Frage, wo konservativ-bigotter, sexistischer Rassismus aufhört und Faschismus anfängt. Campbell sah sich selbst nicht als Faschist oder gar Nazi. Doch wie weiter oben schon erwähnt, stand er den „Jim Crow“-Gesetzen der racial segregation nicht besonders kritisch gegenüber und glaubte an weiße Überlegenheit und Vorherrschaft. Natürlich kann man so denken, ohne eine Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan in Betracht zu ziehen. Dass viele Menschen so denken und dabei freundliche Familienmenschen in einer Vorstadt voller weißer Lattenzäune sind, ist für den Rassismus nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland sogar unabdingbar. Die breite Masse, die Alltagsrassismen salonfähig macht, wäre empört, wenn man ihnen unterstellte, mit faschistischem Gedankengut zu liebäugeln. Aber wie Campbell-Preisträger John Scalzi es ausdrückt: „Das Mengendiagramm aus ‚Dingen, die Campbell gesagt hat‘ und ‚Was Faschist*innen sagen‘ hat, ääähhhm, Überschneidungen.“
Fest steht: Campbell hat niemals daran geglaubt, dass Autor*innen wie Jeannette Ng auf den Bühnen stehen, die er geholfen hat zu bauen. Und nicht nur das: Er hat als einer der entscheidenden Gatekeeper aktiv daran gearbeitet, Autor*innen, die nicht aussahen und dachten wie er, von diesen Bühnen fernzuhalten.
Und war es „richtig“, dass Ng den Award trotzdem angenommen hat? Aber absolut – dieser Preis kürt eine herausragende schriftstellerische Leistung eines Neuankömmlings im Genre. Es steht nicht in den Geschäftsbedingungen, dass man Fan von John W. Campbell sein muss, um ihn anzunehmen. Nnedi Okorafor und Sofia Samatar haben bereits bewirkt, dass Lovecrafts Konterfei nicht mehr den World Fantasy Award ziert. Das Genre verändert sich und ehemals große Idole werden von ihren Sockeln gestürzt. Ng macht in ihrer Dankesrede für den Hugo for Best Related Work direkt am Anfang klar: Wie bereits in der Diskussion um die Denkmäler für Kolonialherren steht dabei nicht zur Debatte, diese Menschen zu vergessen: Es geht darum, sie weniger als „Denkmal“ und mehr als historische Person zu begreifen. „Damit löschen wir Geschichte nicht aus, damit schreiben wir Geschichte“, so Ng, und außerdem: „Lasst uns besser sein als die Vermächtnisse, die uns hinterlassen wurden. Lasst sie nicht zu Prophezeiungen werden.“ Sie sagt selbst, sie habe nie geglaubt, kontrovers zu sein. Letztlich ist wohl die Existenz von lauten, kritischen Stimmen von Autorinnen of color in unserem Genre immer noch inhärent kontrovers.
Und außerdem: Hongkong!
Jeannette Ng schaffte es in ihrer sehr kurzen Rede, den Fokus außerdem noch auf ihren Geburtsort Hongkong zu richten. Für die internationale Science-Fiction wird China immer relevanter – nicht mehr nur als Markt für US-amerikanische Filme oder Bücher, sondern auch umgekehrt werden ost- und südostasiatische Stimmen in Europa und Nordamerika stärker gehört – Liu Cixin, Hao Jingfang, Xia Jia und die Sammlung chinesischer SF-Kurzgeschichten in Quantenträume sind Beispiele dafür, andere Autor*innen schreiben sich auf Englisch in die internationale SF wie Singapurer*in Neon Yang oder Francovietnamesin Aliette de Bodard.
Ng nennt Hongkong die cyberpunkigste Stadt der Welt – und während ihrer Rede 2019 fand dort gerade die größte illegale Versammlung in der Geschichte der Stadt statt. Sie bat um Solidarität mit den Protestierenden, die gegen maskierte, anonyme Sturmtruppen eines autokratischen Reichs ankämpfen. 2020, als sie pandemiebedingt ihre Hugo-Dankesrede von zu Hause aus hält, betont sie noch einmal, dass es schlimmer geworden ist. „Ich flehe euch an, den Blick nicht von Hongkong abzuwenden“, so Ng. Die Taktiken der Marginalisierung seien auf der ganzen Welt gleich. Das Tränengas, das eingesetzt werde, sei das gleiche.
„We should come together to write a future of joy and hope and change“, sagt Ng in ihrer Rede. „Now is the time. Now was always the time.“ (Wir sollten zusammenkommen, um eine Zukunft der Freude, der Hoffnung und des Wandels zu schreiben. Es ist jetzt an der Zeit. Es war immer schon jetzt an der Zeit.)
* Ng ist nichtbinär, sie benutzt die Pronomen she und they und war damit einverstanden, in dieser Reihe porträtiert zu werden.