Judith Vogt, 07.01.2022
Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Aliette de Bodard, in Frankreich lebend und auf Englisch schreibend.
Aliette de Bodard ist eine der wenigen französischen Science-Fiction- und Fantasy-Autor*innen, die international richtig abräumen. Das liegt auch daran, dass die 1982 in den USA geborene Franko-Vietnamesin auf Englisch schreibt. Das allein ist natürlich kein Garant für internationalen Erfolg, de Bodard ist außerdem eine hervorragende Schriftstellerin, die vietnamesische Kultur, aber auch andere, bislang selten besuchte Erzählkosmen in ihren Romanen und Kurzgeschichten zum Leben erweckt.
Steile Schreibkarriere
De Bodard wuchs in Paris auf und lebt auch heute dort. Französisch ist ihre Erstsprache, doch ihre Eltern bestanden darauf, dass sie früh Englisch lernt. Sie schreibt nie auf Französisch – die Tatsache, dass Englisch ihre Zweitsprache ist, gebe ihr einen größeren spielerischen Freiraum.
De Bodard begann zu schreiben, während sie sich mit zweijährigen Kursen auf die École Polytechnique vorbereitete, eine der führenden technischen Hochschulen Frankreichs. Im Studium schwenkte sie zunächst von Romanen auf Kurzgeschichten um.
Heute ist sie Softwareentwicklerin und veröffentlicht seit 2007, nachdem sie ein Jahr zuvor an Orson Scott Cards „Literary Bootcamp“ teilgenommen hatte. 2009 war sie Finalistin beim John W. Campbell-Award, der Newcomer im Genre prämiert (mehr zum Campbell-Award im Porträt zu Jeannette Ng). Ihre Kurzgeschichten erschienen in den bekanntesten SFF-Zines und wurden ab 2012 geradezu mit Preisen überhäuft. Sie gewann Nebula, Locus, Hugos, World Fantasy Awards und den British Science Fiction Award – bislang vor allen Dingen für Kurzgeschichten und für ihre Novelletten und Novellen, von denen „The Tea Master and the Detective“, eine gendergeswappte Sherlock-Holmes-Hommage über eine Detektivin und ein Tee-zubereitendes Raumschiff, sicher die bekannteste ist.
Trotz ihres gigantischen internationalen Erfolgs – im Februar konnte man auf Twitter live verfolgen, wie ihr neues, bei TOR Books erschienenes „Tiger Heart“ die Amazon-Bestenlisten im Sturm nahm – ist sie im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr bekannt und beachtet. Der erste Teil ihrer Urban-Fantasy-Trilogie in einem verheerten Paris, „Dominion of the Fallen“, erschien als „Das Haus der Gebrochenen Klingen“ bei Droemer – aber bereits 2017, sodass ich wenig Hoffnung hege, dass die Trilogie weiter übersetzt wird.
Das liegt vielleicht auch an der Literaturform, in der de Bodard international Ruhm erlangt hat: Kurzgeschichten, Novelletten und Novellen sind im deutschsprachigen Raum schwierig und höchstens als Sammelband zu vermarkten, wie die vier „Murderbot“-Bände von Martha Wells, die 2020 als „Tagebuch eines Killerbots“ bei Heyne erschienen.
Zusammenhängende Erzählwelten
Ihr bekanntestes Science-Fiction-Universum ist sicherlich die Hugo-nominierte Xuya-Erzählwelt, eine komplexe, detailreiche Perspektive auf eine vietnamesische ferne Zukunft zwischen den Sternen.
De Bodard entwirft in Fantasy und SF alternative Geschichtsverläufe, in denen heute ausgelöschte oder marginalisierte Kulturen im Vordergrund stehen – wie zum Beispiel „Servant of the Underworld“, ein Fantasy-Mystery-Roman in einem alternativen Aztekenreich des 15. Jahrhunderts.
Sie wandert mühelos zwischen den Genre-Welten, wie z.B. mit „In the Vanishers’ Palace“, einer vietnamesischen Fantasy-Variante von „Die Schöne und das Biest“ – aber sowohl das Biest als auch die Besucherin im Palast sind Frauen. Und auch in „Fireheart Tiger“ steht eine Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen im Mittelpunkt: Eine adlige Diplomatin muss in einem präkolonialen Fantasy-Vietnam auf dem Parkett von Politik und Intrigen gegen ihre erste Liebhaberin antreten.