Science Fiction

Science Fiction von Frauen #2: Becky Chambers

Science Fiction von Frauen #2: Becky Chambers
Judith Vogt, 28.03.2019
 

Seit Jahren prägen Autorinnen mit ihren Geschichten das als Männerdomäne bekannte Genre der Science Fiction. Wir werfen ein Schlaglicht auf die Frauen in der SF-Literatur – Teil 2 widmet sich der TOR-Autorin Becky Chambers.

Von Raketenwissenschaft und Crowdfunding

Rebecca Marie Chambers wurde 1985 in Südkalifornien geboren, als Kind einer Astrobiologin und eines Raumfahringenieurs. Natürlich richtete sich ihr Blick früh auf die Sterne und auf die Geschichten, die man mit den Sternen erzählen kann, und neben ihrem Theaterstudium und einigen Jahren Arbeit im Theater schrieb sie Texte für The Mary Sue, Tor.com und viele andere Online-Portale.

Für ihren Debütroman fand sie jedoch erst einmal keinen Verlag – Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten entstand 2012 dank einer Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Kickstarter. Dreiundfünfzig UnterstützerInnen trugen $ 2.810 zusammen, um Chambers‘ Projekt einer optimistischen, diversen, queeren Space Opera zu verwirklichen.

Auch nach dem Crowdfunding fand Becky Chambers nicht sofort einen Verlag, sondern vermarktete das Buch als Indie-Autorin. Erst 2015 kam es bei Hodder & Stoughton und Harper Voyager unter und wurde prompt für so ziemlich alle großen Genrepreise nominiert, darunter der Arthur C. Clarke Award. 2016 setzte sie die Reihe mit Zwischen zwei Sternen fort, das in die Endauswahl des begehrten Hugo-Awards kam. 2018 folgte der dritte Teil der voneinander inhaltlich unabhängigen Romane der Wayfarer-Serie – Record of a Spaceborn Few –, das in diesem Monat unter dem Titel Unter uns die Nacht bei Fischer TOR erscheint.

Zudem hat sie online und in Magazinen einige Kurzgeschichten und Novellen aus dem Genre Solarpunk veröffentlicht, und 2020 wird eine neue Serie von ihr starten.

Interessiert an allem

Auch wenn es kein Widerspruch zu sein scheint, als Tochter zweier Astrowissenschaftler eine Karriere als Science-Fiction-Autorin einzuschlagen, war Chambers hin- und hergerissen. Sie hätte auch gern eine naturwissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen, aber nach eigener Aussage ist ihr Dilemma, dass sie sich einfach für alles interessiert – die für NaturwissenschaftlerInnen notwendige Spezialisierung würde ihr sehr schwerfallen. Damit schlägt sie in ihrer »MINT-Fächer«“-Familie etwas aus der Art, sie war der Sonderling, als sie Theaterwissenschaften studierte, wo sie sich jedoch auch nie richtig zu Hause fühlte. Während die Herzen ihrer KollegInnen auch in der Freizeit fürs Theater schlugen, verbrachte sie ihre Abende mit Videospielen und Star Trek. In die Science Fiction und Fantasy hatte ihre Mutter sie schon als Kind begleitet, hatte mit ihr Star Wars geschaut und ihr Der Herr der Ringe vorgelesen.

»Raketenwissenschaft« und ihre Liebe zur Fiktion kannten also genau einen gemeinsamen Nenner: die Science Fiction.

Aber wie lebt man vom Schreiben?

Chambers versuchte das, durch Recherche herauszufinden – denn sie hat nie einen Schreibkurs besucht, was für eine US-amerikanische Autorin außergewöhnlich ist. Learning by doing also – auch durch das Schreiben von Fanfiction.

Sie begann, die Biographien von SchriftstellerInnen zu lesen, um herauszufinden, wie sie Autorin »werden« konnte. Ihr wurde klar, dass sie am besten Kurzgeschichten schreiben sollte, weil die meisten AutorInnen damit begannen, doch es gelang ihr einfach nicht. Kurzgeschichten lagen ihr nicht – sie hat mittlerweile einige veröffentlicht, doch alle erst, nachdem ihr erstes Buch erschien, und alle wurden dadurch initiiert, dass HerausgeberInnen von Anthologie auf sie zukamen und sie fragten, ob sie mitschreiben wolle. Die Geschichten, die sie erzählen wollte, brauchten Platz.

Die Wayfarer-Serie

»Langeweile ist so wichtig«

Da sie oft lange in öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln musste, und das sogar schon in Prä-Smartphone-Zeiten, geschah viel Weltenbau für die Wayfarer-Serie, während sie sich in Öffis langweilte. Chambers nutzt Langeweile immer noch, wenn sie beim Schreiben festhängt – online mit FreundInnen chatten oder Blogartikel zu lesen bringe ihr leider gar nichts, die einzige Möglichkeit sei, sich zurückzulehnen und die Langeweile auszuhalten, bis das Hirn den Faden der Geschichte wieder aufnimmt.

Verbindungen zur Fanfiction

Mit Unter uns die Nacht erscheint nun der dritte Teil ihrer optimistischen Wayfarer-Serie auf Deutsch. Die Menschheit befindet sich auf einer Diaspora fort von der sterbenden Erde. Neues Zusammenleben, auch mit den Alien-Spezies, ist kompliziert, neue Gesellschaften und Gemeinschaften entstehen. Chambers legt bei ihrer Saga den Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen den Figuren – was sich auf sehr positive Art und Weise liest wie Fanfiction; während sie das Dunkle im Zwischenmenschlichen anerkennt, nimmt es doch niemals überhand.

Obwohl die Wayfarer-Romane keine »Hard Science Fiction« sind, schildert Chambers Technologien und physikalische Gesetzmäßigkeiten so real wie möglich. Auch ihr KI-Ansatz und die Fragen zur Bewusstwerdung derselben sind spannend. Menschen sind in ihrem Universum nicht »der Standard« – sie nimmt für ihre Geschichten an, dass Menschen das »Andere« sind und Aliens und KIs über die bewohnten Gebiete bereits länger den Überblick haben und darin interagieren.

Alien-Design

Chambers versucht, ihre Aliens an Tiere anzulehnen, bei denen es sich nicht um Primaten handelt, und so gibt es Außerirdische, die eher an Tiefseekreaturen oder Käfer erinnern. Auch die Fortpflanzung ist, anders als in vielen Science-Fiction-Universen, oft nicht an binäre Geschlechterkonzepte gekoppelt. Geschlechterrollen, Geschlechteridentitäten und körperliche geschlechtliche Merkmale sind einfallsreich, divers und erfreulich queer. Das ist Chambers ein besonderes Anliegen: Sie selbst lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft.

Kunst spiegelt Zeitgeschehen

Chambers ist sich bewusst, dass gerade Dystopien und Grimdark-Fantasy im SFF-Genre beliebt sind, und sieht darin auch den Pessimismus, der sich in vielen von uns zur Zeit angesichts Umweltzerstörung, Klimawandel und Politik regt. Es sei gesund, diese Angst auszudrücken, doch gleichzeitig benötigten wir ein Gleichgewicht. Chambers versucht, eine positive Vision zu geben, die vielleicht die Hoffnung weckt, dass es etwas jenseits aller Dystopien gibt, auf das wir hinarbeiten können.

Self-Publishing vs. traditionelle Verlagsveröffentlichung

Chambers arbeitet nun seit über einem Jahrzehnt an der Wayfarer-Saga, und der dritte Teil wird nicht der Abschluss sein – sie gönnt sich eine Pause und startet eine zweite Serie, doch sie hat bereits versprochen, in ihr erstes Universum zurückzukehren.

Wohin sie vorerst nicht zurückkehren möchte, ist ins Self-Publishing. Nicht, weil sie es ablehnen würde – doch Indie-Publishing bedeutet, wirklich erfolgreich im Bereich Eigenvermarktung zu sein, und Chambers gibt zu, dass es ihr nicht lag, viel über sich selbst zu sprechen und sich ins Gespräch zu bringen. Beide Vertriebswege hätten ihre Vor- und Nachteile, aber beim Self-Publishing müsse man bereit sein, schnell zwischen mehrerer Hüte zu wechseln – dafür böte es AutorInnen natürlich mehr Freiheiten.

Den Traum von der Veröffentlichung der Wayfarer-Serie und des Lebens als Vollzeit-Autorin hat Becky Chambers sich bereits erfüllen können. Einen Traum hat sie aber noch: Sie möchte die Erde aus der Umlaufbahn sehen – ein Ziel fürs nächste Crowdfunding, Mrs Chambers?

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de