Science Fiction

Science Fiction von Frauen #5: Ann Leckie

Ann Leckie
Judith Vogt, 10.06.2019
 

Bemerkenswerte Autorinnen in der Science Fiction gab es schon immer. Ann Leckie ist eine von ihnen. Teil 5 unserer "Science Fiction von Frauen"-Reihe.

Vor kurzem saß ich auf der LuxCon mit Elizabeth Bear, Adrian Tchaikovsky und Aliette de Bodard zusammen (ich weiß, ich Angeberin – aber das war ganz schön toll!), und wir unterhielten uns über Science-Fiction-Autorinnen. Tchaikovsky sagte: „Gefühlt hat es mit Ann Leckie begonnen, dass diese irrsinnig guten ‚neuen‘ Autorinnen bemerkt werden.“

Was ist so bemerkenswert an Ann Leckie?

Leckie betrat die SF-Bühne 2013 mit ihrem Debütroman „Die Maschinen“ (Ancillary Justice) – da war sie schon Ende vierzig und heimste prompt den Hugo-Award und so ziemlich jeden anderen namhaften Genre-Preis für den besten Roman ein. Und mit den beiden Folgebänden wurde klar: Ann Leckie war gekommen, um zu bleiben, nicht nur in der SF, sondern, mit ihrem in diesem Jahr erscheinenden Roman „The Raven Tower“ auch in der Fantasy.

Doch Leckie hatte nicht erst mit knapp fünfzig angefangen zu schreiben: Ihre bisherigen Versuche hatten nur nicht gefruchtet, und mit dem Schreiben von „Die Maschinen“ begann sie aus purer Langeweile, als sie in Elternzeit zu Hause war (übrigens war sie zu dieser Zeit emsige Teilnehmerin des NaNoWriMo, des National Novel Writing Month, der längst nicht mehr „national“ ist). Sie war gefangen im meist weiblichen Dilemma, dass sie, wenn sie wieder arbeiten ginge, für die Kinderbetreuung mehr hätte bezahlen müssen, als sie verdient hätte. Gleichzeitig empfand sie die Zeit mit den Kindern zu Hause zwar als schön, aber nicht sehr intellektuell stimulierend. Als sie so weit war, dass sie dachte, das Hirn liefe ihr bald aus den Ohren heraus, fasste die den Entschluss, endlich ihren jahrzehntelang gehegten Plan, einen Roman zu schreiben, in die Tat umzusetzen.

Sichtbarkeit im Genre

Leckie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Kurzgeschichten veröffentlicht, arbeitete im vergangenen Jahrzehnt für SFF-Online-Magazine und Podcasts und war Secretary der Science Fiction and Fantasy Writers of America – auch bereits während ihrer Arbeit an ihrem Debütroman. Sie hegte bereits früh den Wunsch, Schriftstellerin zu werden, und obwohl ihre Eltern immer hofften, sie möge aus dem Alter herauswachsen, in dem sie sich für Science-Fiction interessierte, unterstützten sie doch ihren Wunsch. Wie viele US-amerikanische Autor*innen besuchte Leckie schließlich im Jahr 2005 einen Clarion Writer’s Workshop – eine vergleichbar anerkannte Institution gibt es leider im deutschsprachigen Raum noch nicht. Davor hatte sie oft damit gehadert, dass sie sich selbst nicht kompetent genug fühlte, um zu schreiben, ein Gefühl, dass sich erst durch die Vernetzung mit anderen Autor*innen legte. Nach ihrem NaNoWriMo-Manuskript, das bereits parallel zu „Die Maschinen“ spielte, aber noch nicht ganz „Die Maschinen“ war, begann sie, die Lücken im Worldbuilding erst einmal mit Kurzgeschichten zu füllen – auch, weil in den Clarion-Kursen die Arbeit an Kurzgeschichten empfohlen wird.

Apropos Clarion: Dort hatte Leckie das Glück, eine Woche lang mit Octavia Butler als Lehrerin zu arbeiten, die ihre Bewerbungskurzgeschichte gelesen hatte und ihr sagte: „Du bist eigentlich keine Kurzgeschichtenschreiberin, oder? Du bist Romanautorin.“ Für Leckie liegt der Spaß an Romanen an der Tiefe, die das Worldbuilding erhalten kann – Geografie, Geschichte, coole Seitenplots. Wohingegen Kurzgeschichten sehr effizient sein müssen. Eine eigene Kunstform, die sie zwar auch beherrscht, aber die sich nicht wie die beinahe körperliche Erleichterung anfühlen, sich in einem Roman „ausstrecken“ zu können.

Religion und Geschichte als Inspiration

Leckie zieht Vieles für ihre spekulativen Welten aus der (Religions-)Geschichte. Wie viele Science-Fiction-Settings hat auch das Radch-Imperium Ähnlichkeiten mit dem römischen Imperium – und dementsprechend erinnert auch der vorherrschende Glaube an den römischen Polytheismus. Leckie wuchs katholisch auf und ist heute Atheistin. Was sie stets störte, war die Tatsache, dass der Monotheismus als überlegen und intellektuell reifer angesehen wurde, wohingegen Polytheismus und Heidentum stets als Aberglaube dargestellt wird, weshalb sie in ihren Romanen und auch in vielen Kurzgeschichten versucht, eine andere Perspektive einzunehmen. Ihre Auseinandersetzung mit dem römischen Imperium bietet zudem die Möglichkeit, sich auch Themen wie Imperialismus und Kolonialismus zu widmen.

Gender und Schwarm als zentrale Themen

Doch Leckie hat sich noch zwei besonderen Herausforderungen in „Die Maschinen“ gestellt: Erstens ist die Protagonistin nicht nur eine KI, sondern zudem eine KI mit einem „Schwarmbewusstsein“, die aufgeteilt auf tausende Körper und sogar Schiffe agiert (mit einem Faible für Musik). Und zweitens nimmt diese KI Menschen generisch als weiblich wahr. Leckie brauchte ein paar Anläufe, um sich tatsächlich an genau diese Protagonistin zu wagen: Breq ist eine Maschine und imitiert menschliche Verhaltensmuster, agiert und denkt jedoch oft nicht vollkommen menschlich.

Zudem hat Leckie versucht, sich in eine zukünftige Gesellschaft hineinzudenken, in der vieles anders ist als in unserer heutigen Gesellschaft. Dazu gehört, dass diese Zukunft generell kein Geschlecht mehr „sieht“.

Dazu ein kleiner Exkurs: „I don’t see gender“ ist die oft genutzte Ausrede, keine Autorinnen zu lesen – man urteilt ganz objektiv und unabhängig vom Namen auf dem Cover, und weil man eben unzweifelhaft objektiv war, kann man schließlich auch nichts dafür, dass man dabei zufällig nur Männer auswählt. Ähnlich vermeintlich progressive Haltungen gibt es bei der Formulierung „I don’t see color“ – in einer perfekten Welt, wäre es natürlich nicht nötig, beides zu „sehen“, aber da wir da noch nicht angekommen sind, führt kein Weg um das Wahrnehmen von „gender“ und „color“ herum, um die Lebenswahrheiten von Menschen anderer Geschlechter oder Hautfarben anzuerkennen. Nun ist man in Ann Leckies Trilogie aber tatsächlich in der Zukunft angekommen: Auch sprachlich kennt die Gesellschaft in den Ancillary-Romanen kein Gendern – aber da ihr Roman nun einmal auf Englisch geschrieben ist, sah sich Leckie mit dem Problem konfrontiert, „he“ und „she“ verwenden zu müssen. In der deutschen Übersetzung ist das natürlich noch einmal stärker der Fall, da ja zumindest die meisten Personenbezeichnungen und Berufe im Englischen neutral sind. Im Deutschen sind diese gegendert – eine Eigenheit des Deutschen und vieler anderer Sprachen, der wir uns nicht zuletzt in der von Theresa Hannig angestoßenen Wikipedia-Debatte gegenübersehen. (https://www.change.org)

Leckie experimentierte mit den Pronomen – sie nutzte in einer Geschichte „he“ für alle Charaktere, was natürlich darin resultierte, dass sie sie selbst auch als Männer wahrnahm, und damit war sie unglücklich. Ihre nächste Idee war: „Was ist, wenn ich „she“ für alle Charaktere benutze?“ und das war die Initialzündung für das Auf-den-Kopf-stellen von Gender, das den Roman so vertrackt macht. Natürlich werden auch hier die Charaktere durch das Pronomen erst einmal als weiblich wahrgenommen, auch wenn sie es nicht sind – zumal Leckie in den meisten Fällen auch einfach darauf verzichtet, klarzustellen, wer sich welchem Geschlecht zugehörig fühlt. Im Deutschen stand der Übersetzer vor dem Problem, dass auch alle Berufsbezeichnungen weiblich klingen müssen, was leider etwas künstlich wirkt, denn die Ergänzung „-in“ ist ein Zusatz, der eben am eigentlichen Grundwort nicht dranhängt. Somit legt „die Leutnantin“ einen noch stärkeren Schwerpunkt auf das weibliche Geschlecht als „the lieutenant“ mit dem Pronomen „she“.

Die Rezeption

Die Rückmeldungen von Leser*innen auf dieses „Männer sind mitgemeint“-Experiment waren nicht vollständig positiv: Manche Leser*innen glaubten, das Buch würde einzig und allein von Frauen bevölkert. Andere befanden, es sei schlicht unlogisch, vom Aussehen eines Menschen nicht auf dessen Geschlecht zu schließen. Leckie sagt dazu, dass Bücher, sobald sie einmal erschienen sind, etwas Persönliches für Leser*innen bedeuten. Man liest sie aus der persönlichen Geschichte heraus und interpretiert die persönlichen Erfahrungen hinein. Solche Reaktionen seien also unvermeidlich. Die Rückmeldung, das „she“ sei nicht progressiv genug – sie hätte die Romane beispielsweise auch mit einem genderneutralen Pronomen schreiben können, was im Englischen beispielsweise mit „they, them“ ganz gut funktioniert –, nimmt sie ebenfalls ernst. Sie glaubt, dass es dennoch die richtige Entscheidung war, da der „Impact“ einer weiblich gegenderten Welt deutlich größer sei, als es bei der Verwendung eines neutralen Pronomens der Fall gewesen wäre. Eine vergleichbare Erkenntnis hatte übrigens auch Ursula K. LeGuin, die in „Die linke Hand der Dunkelheit“ das männliche Pronomen für ein geschlechtsneutrales und genderfluides Volk verwendet hat und rückblickend sagte, das sei vielleicht die falsche Entscheidung gewesen.

Ihre Erkenntnis durch die Arbeit am Roman und die Beschäftigung mit sowohl genderneutralen Sprachen wie Ungarisch und Finnisch als auch mit Sprachen, die alles binär gendern wie Spanisch und Französisch, sei, dass das „Gender-Binary“ eine von Sprache konstruierte Sache sei, die jedoch unsere Weltvorstellung so formt, dass wir es als biologisch und objektiv gegeben annehmen. Das „Sie“ als generisches Pronomen zu verwenden, so Leckie, zeige auf, dass das „Er“ generisch ist, das „Sie“ jedoch nicht – und das wiederum ist ein Fingerzeig auf den strukturellen Sexismus unserer Lebenswirklichkeit.

Erfahrungen mit den eigenen Kindern

Als ihre Kinder klein waren, machte Leckie einige „spektakuläre“ Erfahrungen, die alle Eltern kennen (doch nur selten Schlüsse daraus ziehen): Wann immer sie mit ihren Kindern unterwegs war, fragten Leute bei Interaktionen mit den Kindern nach deren Geschlecht. Wir wollen glauben, dass wir alle Menschen gleich behandeln, aber selbst bei Babys meinen wir, das Geschlecht kennen zu müssen, um entscheiden zu können, wie wir mit ihnen reden und umgehen sollen. Und noch eines fiel Leckie auf: Wenn jemand ihren Sohn für ein Mädchen hielt, war diese Person danach betroffen und entschuldigte sich „als sei sie auf meinen Hund getreten“. Männer mit weiblichen Pronomen und Attributen zu bedenken oder auch nur aus Versehen für nicht männlich zu halten, ist mit das Schlimmste, was man glaubt, einem Mann oder Jungen antun zu können. Und genau deshalb werden die Ancillary-Romane als so provokant empfunden: Die wenigsten von uns können tatsächlich behaupten, dass sie gender „nicht sehen“.

Über Frauen in der Science-Fiction

Dank eines vornehmlich weiblich-nerdigen Freundeskreises und der Tatsache, dass sie sich schon auf der Mädchenschule mit Science-Fiction umgab, fand Leckie es stets befremdlich, dass Science-Fiction als „Jungsding“ bezeichnet wurde.

Darauf angesprochen, sagt sie – und damit überlasse ich ihr selbst die letzten Worte für diesen Artikel: „Auf verschiedenste Weise glaube ich, dass es positive Veränderungen gibt – es gibt jetzt Bücher und Geschichten da draußen, von denen ich vermute, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht möglich gewesen wären […]. Ich sehe eine Menge großartiger neuer Autorinnen. Aber gleichzeitig scheint es eine Art zyklisches Vergessen zu geben. Frauen waren immer schon in der Science-Fiction anwesend […]. Andererseits scheint es, als wäre die Wahrnehmung, dass auch Frauen Science Fiction lesen oder schreiben immer wieder neu. Es scheint mir, als hätten wir es mit dem Dreisekundengedächtnis eines Goldfischs zu tun, wenn es um die Teilhabe von Frauen geht. Ein ziemlich selektives Dreisekundengedächtnis also.“

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de