In den letzten Jahren wird eine neue, feministische Generation von Autorinnen in der Science Fiction sichtbar. Annalee Newitz ist eine von ihnen ...
Annalee Newitz ist kein unbeschriebenes Blatt, aber eine Newcomerin im Bereich der Science-Fiction. Als Journalistin, die 2008 die Science-meets-Science-Fiction-Seite io9 gegründet hat und für Gizmodo und Ars Technica arbeitet, schreibt sie bereits seit Jahren wissenschaftliche Essays und Sachbücher, von denen „Scatter, Adapt and Remember: How Humans Will Survive a Mass Extinction“ für den LA Times Book Prize nominiert war.
Ihr erster Roman, „Autonom“, erschien 2017 auf Englisch und 2018 auf Deutsch – und prompt wurden bereits die Verfilmungsrechte der Nebula-nominierten Cyberpunk-Erzählung verkauft.
Kanadische Kulisse
Die 1969 geborene Kalifornierin ist für ihre Studien weit gereist, doch sie verbringt so viel Zeit wie möglich in Kanada, besonders in Saskatchewan, dessen Prärie- und Seenlandschaft auch der Hauptschauplatz von „Autonom“ ist. Ein Zitat aus dem Song „The Last Saskatchewan Pirate“ von The Arrogant Worms eröffnet den Roman, und die Band gehört zu den musikalischen Inspirationen, die Newitz in ihrem Dank nennt. Im Song geht es um den Piraten „Tractor Jack“, der Dünger stiehlt – und das wiederum brachte Newitz dazu, ihre Protagonistin Judith „Jack“ Chen zu nennen und sie molekulare Blaupausen für Medikamente stehlen zu lassen. Nicht gerade das, was man heute unter Piraterie versteht, doch für die wissenschaftliche Redakteurin und Journalistin eine logische Fortführung gegenwärtiger Entwicklungen.
Zukunftsvision
Während die Science Fiction oft mehr darüber aussagt, wer wir heute sind, als darüber, wer wir morgen sein werden, spiegelt sich in „Autonom“ viel von dem wider, was Newitz in ihrer nonfiktionalen Arbeit erfahren und weitergedacht hat, die sich von Archäologie bis zur künstlichen Intelligenz erstreckt. Sie sagt selbst, dass sie sehr viel Zeit im Gespräch mit Forschenden, Akademiker*innen und Wissenschaftler*innen verbracht hat und somit sehr viel von der Politik, die die Wissenschaft begleitet, mitbekommen hat. Auch für „Autonom“ hat sie viele Stunden mit Recherche und Gesprächen zu synthetischer Biologie, Neurowissenschaften, Abhängigkeit, Patentrecht und Robotik verbracht.
Somit spiegelt natürlich auch Newitz‘ Debüt die Verhältnisse der Gegenwart wider – beispielsweise die für viele Menschen in den USA unbezahlbaren Medikamentenpreise und damit einhergehende Patentpiraterie. Auch versucht sie sich an einem etwas anderen Konzept der künstlichen Intelligenz: Sie empfindet es als vorauseilende Sklaverei, das heute bereits davon geredet wird, künstliche Intelligenz zu limitieren in der Annahme, dass sie menschliches Leben würde vernichten wollen. Die Ängste bezüglich künstlicher Intelligenz basieren vor allen Dingen auf den Ängsten der Menschen voreinander – muss eine Intelligenz, die sich menschenähnlich entwickelt, unweigerlich mörderische Impulse empfinden? Wäre es nicht auch möglich, dass wir es statt mit einer bösartigen Superintelligenz mit einer fremdartigen, friedlichen „Weirdo-Intelligenz“ zu tun bekommen?
Newitz’ ganz reale Sorge ist, dass wir uns zu wenig damit beschäftigen, wie intelligentes Maschinenleben überhaupt erkannt wird. Was, wenn eine künstliche Intelligenz ganz anders ist als menschliche Intelligenz und wir sie deshalb gar nicht wahrnehmen und weiterhin wie eine Maschine behandeln? Auch das ist ein großes Thema des Romans, in dessen Titel bereits steckt, dass es um das Wechselspiel von Freiheit und Fremdbestimmung geht.
Warum Science Fiction nicht Science ist
Natürlich gibt es für Newitz ganz offensichtliche Unterschiede zwischen fiktionalen und nonfiktionalen Texten – vor allen Dingen, was die Charaktere und ihre Motivationen und Geheimnisse angeht, die man natürlich in der Fiktion wie nirgends anders erforschen kann. Doch für sie war außerdem ein Faktor, dass sie im Roman eine starke Meinung zu Wissenschaften und ihrer Nutzung vertreten konnte, etwas, das sie in journalistischen Texten einem Streben nach Objektivität unterordnen muss.
Dennoch bleiben nonfiktionale Texte ihre erste große Liebe – sie wurde Autorin, um die Wahrheit zu sagen. Doch manche Wahrheiten, so Newitz, kann man nur in der Fiktion erzählen. Sie muss sich darin keine Sorgen machen, dass reale Menschen oder Firmen Schaden durch das nehmen, was sie erzählt, und muss sich nicht dem journalistischen Berufsethos unterwerfen. Das habe einfach Spaß gemacht, sagt sie.