Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Nnedi Okorafor.
Ich habe gestern einen Tweet gelesen. Journalist*innen fragten Serena Williams, wann sie aufhören würde, sich für Gleichberechtigung einzusetzen, und sich stattdessen auf ihren Sport konzentrieren würde. Sie antwortete, an dem Tag, an dem sie aufhören würde, sich dafür einzusetzen, läge sie in ihrem Grab. Ich sah diesen Interviewausschnitt, weil er geretweeted wurde mit der Forderung, Journalist*innen mögen lieber weiße Athleten fragen, wann sie, statt sich nur auf ihren Sport zu konzentrieren, auch für gleiche Rechte eintreten würden.
Ganz ähnliche Gedanken hatte ich auch bei den Reden von Megan Rapinoe: Welcher männliche Fußballer verknüpfte seine Rede nach einer Weltmeisterschaft mit Politik, der Forderung nach mehr Toleranz und einem freundlicheren Klima untereinander und stellte sich unter anderem gegen das eigene Staatsoberhaupt? Die Last, Position zu beziehen, liegt auf den Marginalisierten. Mit Schwarzen Tennisspielerinnen und lesbischen Fußballerinnen an prominenter Spitze.
Auch Nnedi Okorafor steht an dieser Spitze.
Kult um die falschen Helden: Der World Fantasy Awards
Nnedi Okorafor, 1974 in Ohia geboren, ist das Kind nigerianischer Eltern, die als Angehörige der Igbo vor dem Biafra-Konflikt geflohen waren. Sie glaubte lange nicht, dass Science Fiction im amerikanisch geprägten Sinne ihr Genre ist. Es schien ihr zu weit entfernt von ihrer Lebenswirklichkeit, von ihren Geschichten, den Geschichten der Afroamerikaner*innen der afrikanischen Diaspora, aber auch der Geschichten, die sie bei ihren Aufenthalten in Nigeria erfuhr. Phantastische und spekulative Elemente waren stets ein Teil davon, selbst wenn sie biografisch schrieb, und doch wollte sie sich nur ungern dem amero- und eurozentristischen Genre unterordnen.
Okorafor begann zunächst mit Jugendbüchern. 2011 wurde ihr erster „Erwachsenenroman“, die Postapokalypse Wer fürchtet den Tod, mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Bei der Zeremonie war sie nicht zugegen, also wurde ihr der Award per Post zugeschickt. Okorafor war die erste Autorin of color, die diesen Award erhielt – selbst Delany und Butler hatten ihn nie verliehen bekommen. Vielleicht war sie auch deswegen die erste Autorin, die nicht darüber schweigen wollte, dass die Statuette einer Comiczeichnung H.P. Lovecrafts nachempfunden ist.
„Ich wusste, dass ich mich in einer Position befand, in der es falsch gewesen wäre, diesen Award zu erhalten und nichts dazu zu sagen, ich musste etwas sagen. Ich schrieb also diesen Blogartikel, in dem ich sehr nett herausstellte, was an der Tatsache, dass ich diesen Award bekommen und daraufhin die Büste dieses Mannes erhalten hatte, falsch war.“ Okorafor sagt, dass es hart war, herauszufinden, dass manche Autoren, die sie lange bewundert hatte, Menschen wie sie hassten. Ihr Artikel erlangte einige Berühmtheit (hier nachzulesen). Dennoch brauchten die Organisator*innen des Preises, die sich zwar prinzipiell dieser Zusammenhänge bewusst waren (aber yadda-yadda, wir wissen alle, wie es läuft, es war ja schon immer so, warum jetzt ändern?), noch ganze sechs Jahre, um das Aussehen des Awards zur Silhouette eines Baumes vor einem goldenen Mond zu verändern. Es brauchte unter anderem das Auftreten einer weiteren Autorin of color, Sofia Samatar, die während der Verleihung ebenfalls unter dem Druck stand, als marginalisierte Autorin unter den Augen der Öffentlichkeit auf der Bühne dafür einzutreten, dass es nicht tragbar ist, den Award jährlich als Lovecraft-Büste zu verleihen. „Du sitzt dann da, in deinem Bauch rumort es vor Panik, weil du auf die Bühne gehen und es sagen musst. Aber ich fand, ich hatte keine Wahl“, sagt Samatar dazu. Rapinoe, Williams, Okorafor, Samatar und viele andere: Wir muten es nach wie vor den Marginalisierten zu, die Aufklärungsarbeit zu leisten und die Fundamente für Veränderung zu legen. Wir können uns glücklich schätzen, dass sie da sind, dass sie unbequem sind.
Alles ist schon einmal erzählt worden?
Oft wird in allen Genres das Argument bemüht, alles sei schon einmal erzählt worden – oder, noch schlimmer: Alles sei eine Variante von sieben Grundplots. Ich finde die Annahme, die Science Fiction, die immer auch ein Spiegel ihrer eigenen Zeit ist, sei ebenfalls bereits zu Ende erzählt, einfach lächerlich. So wichtig, interessant und bahnbrechend ältere Stoffe auch sind: Unsere jetzige Gegenwart spiegelt sich nicht in Science-Fiction-Texten aus den Fünfzigern. Um die Probleme und Möglichkeiten unserer Gegenwart zu sehen, brauchen wir Geschichten aus dem Jetzt.
„Nein, nicht alle Geschichten sind schon einmal erzählt worden. #FightMe. Ich verachte und ignoriere diese Phrase stets, besonders als Schwarze Frau, die Science Fiction und mystische Sachen schreibt“, so formuliert es Okorafor auf ihrem Twitter-Account. Anzunehmen, alle Geschichten seien bereits erzählt worden, bezeichnet Perspektiven als ungültig, die noch nie eingenommen wurden. Okorafor und viele andere sind gekommen, um diese Perspektiven einzunehmen. Und sie sind gekommen, um zu bleiben.