Mira Valentin, 02.12.2022
Für Fischer Tor begab sich Autorin Mira Valentin auf eine Reise durch Raum und Zeit. Dabei entdeckte sie echte Monster auf den Orkney-Inseln und einen Eber, der von König Artus wegen zweier Friseurwerkzeuge gejagt wurde. Das und vieles mehr bildete die Grundlage für ihr opulentes Epos »Druidendämmerung« – einen Mix aus alten Sagen und moderner Fantasy, gespickt mit echten geschichtlichen Fakten.
Druiden, Artus, Avalon – und Schottland! Diese Worte ließen mein Autorinnenherz von Anfang an höherschlagen. Doch um ein solches Buch überhaupt schreiben zu können, musste ich erst einmal ins heutige Schottland des Jahres 580 reisen. Damals gab es noch keine »Schotten«, wohl aber Völker, die sich Skoten nannten und – ebenso wie die Pikten – den Norden Britanniens bevölkerten. Die Römer hatten die Inseln zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verlassen, woraufhin sich zahlreiche kleinere Königreiche bildeten, die nach und nach alle den christlichen Glauben annahmen. Was für eine spannende Zeit zwischen dem Niedergang einer alten und dem Aufstieg einer neuen Kultur – das perfekte Setting für eine fantastische Geschichte!
»Hohe Herren warfen die Standbilder ihrer Götter in Flüsse und Lochs, schmückten ihre Wände stattdessen mit Kreuzen und zwangen ihre Leibeigenen, sich ebenfalls dem toten Jesus zuzuwenden. Mit den Göttern gingen auch die Geschöpfe der alten Welt unter, denn kein guter Christ fütterte mehr einen Brownie oder steckte Fleischstückchen für die Feenkatzen in dunkle Felsspalten.«
Die alten keltischen Götter, von denen hier die Rede ist, waren vielfältig. Einige von ihnen wurden nur regional verehrt, andere genossen überregionale Beliebtheit. Besonders Muttergottheiten kamen häufig vor, ebenso Toten- und Kriegsgottheiten. »Druidendämmerung« spielt auf den Orkney Inseln, genauer gesagt auf Stronsay, die im Buch aufgrund ihrer sternähnlichen Form als »Sterninsel« bezeichnet wird. Dort wurde besonders Sea Mither verehrt – eine Meeres- und Muttergöttin, die im Sommer das schauderhafte Monster Nuckelavee ins Meer bannte. Doch im Herbst, wenn Sea Mither ihren alljährlichen Kampf mit ihrem Widersacher Teran ausfocht, entwischte ihr der Nuckelavee und zog mordend durch die Lande, ehe Teran ihn wieder einsperrte und die Herrschaft über die kalte Jahreszeit übernahm. Im folgenden Frühjahr begann der nächste Kampf und mit ihm eine weitere Gelegenheit für den Nuckelavee, um auszubrechen.
Der Nuckelavee
Und wer ist nun dieser bösartige Nuckelavee? Ich muss zugeben, dass ich nie zuvor von dieser Kreatur gehört hatte, doch während des Recherchierens und Schreibens wuchs meine Faszination für ihn ins Unermessliche.
»… der riesenhafte Leib eines Pferdes, auf dessen Rücken ein Mann ohne Beine festgewachsen war. Es hieß, die Arme des Reiters wären so lang, dass sie über den Boden schleiften, und sein Kopf rolle auf seinen Schultern hin und her, weil er keinen Hals besaß. Das Schauerlichste am Nuckelavee aber war, dass keine Haut seinen grauenvollen Körper bedeckte. Man konnte jede Bewegung seiner Sehnen und Muskelstränge deutlich sehen, auch das gelbe Blut, das durch seine Adern pulsierte.«
Klingt faszinierend und grauenvoll, oder? Alle Bewohner der Orkneys fürchten sich vor einer Begegnung mit diesem Wesen. Bis heute vermeiden sie es, den Namen „Nuckelavee« überhaupt nur auszusprechen, denn er bringt Unglück.
Einige Augenzeugen wollen dem Monster sogar begegnet sein und berichten in legendenhaften Erzählungen von ihrer Flucht vor dem Nuckelavee. Stets überlebten nur jene, die rechtzeitig einen Bachlauf übersprangen oder auf andere Weise genügend Süßwasser zwischen sich und das Monster brachten. Denn obwohl der Nuckelavee dem Meer entspringt, kann er die Berührung mit Süßwasser nicht ertragen.
In »Druidendämmerung« spielt der Nuckelavee eine besondere Rolle, ebenso wie zahlreiche andere Ungeheuer aus der keltischen Mythologie. Die bekanntesten davon sind Kelpies (Wasserpferde), Banshees (Todeshexen) und Selkies (Robben-Menschen).
Die Insel Stronsay war übrigens tatsächlich einmal der Fundort eines echten „Monsters«. Es soll ähnlich wie Nessie ausgesehen haben, war 17 Meter lang, hatte graue Haut, eine Mähne und drei Paar Gliedmaße. 1808 zog ein Fischer es tot aus dem Meer. Leider ist sein Kadaver nicht erhalten geblieben, doch es existieren interessante Zeichnungen, für die sich das Googeln lohnt.
»Hast du je eines der Loch-Monster gesehen?«
Mylo schüttelte den Kopf.
»Es heißt, sie sehen aus wie riesige Schildkröten ohne Panzer.«
»Mir hat man gesagt, wie dünne Wale mit Schlangenkopf und vier Flossen.«