Im Grunde tut man das Offensichtliche: Man trägt Farbe auf Plastik- oder Resinfiguren auf, malt sie an, macht sie bunt, und das ist wohl eher was für die Nerds unter den Nerds. Als ich einen meiner besten Freunde erstmals traf, sagte er irgendwann: „Ich bemale Zinnfiguren.“ Das löste in meinem Kopf Bilder aus, einige davon nicht vorteilhaft, und ich hielt ihn damals für ziemlich schräg. Doch dann brachte er mir eines Tages bei, wie man Minis bemalt, und das Hobby schlug mich gleich in seinen Bann, denn Bemalen geht in Wahrheit über das reine Auftragen von Farben hinaus und hat eine Historie.
Miniaturen sind ein altes Geschäft
Die Kunst rund um Miniaturen reicht bis in die Antike zurück. Anfangs dienten Zinnfiguren eher als Pilgerzeichen, später wurden sie zu Spielzeug, und zwar verstärkt seit den 1920er Jahren. Zinnfiguren mit historischen Motiven gibt es bis heute, aber in den letzten Jahrzehnten ist der Markt für phantastische Minis expandiert, und diverse Kunststoffe haben das Zinn weitgehend abgelöst.
Eine riesige Industrie ist entstanden. Einer der größten Player weltweit ist die Firma Games Workshop, die nach ihrer Gründung im Jahr 1975 eine beeindruckende Entwicklung hingelegt hat. Man kann sagen, GW hat das Mini-Gaming, die Tabletop Wargames, groß gemacht und ist heute noch immer so ziemlich der größte Player von allen. Neben GW gibt es zahllose Firmen, viele davon klein, und seit der 3D-Druck in die Privathaushalte Einzug hielt, ist die Zahl der Figurenanbieter nochmals explodiert. Viele Sculptor (Modellierer) haben sich selbständig gemacht und bieten ihre Figuren auf Patreon, Etsy oder ähnlichen Plattformen zum Download an. Was mal eine absolute Nische war, ist nun auf dem besten Wege, unübersichtlich zu werden.
Für viele hat Games Workshop alles losgetreten. Zum ersten Mal im Leben kam ich durch das Spiel Hero Quest mit Miniaturen in Berührung. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich mit meinen Freunden damit verbracht habe, durch den Dungeon zu streifen, Fallen zu entschärfen und Monster zu erschlagen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, diese Figuren auch zu bemalen.
Inzwischen male ich seit ein paar Jahren und beobachte die Szene der Malenden, die den meist grauen Modellen durch ihre Arbeit – oder Kunst – Leben einhaucht. Es ist keine gesicherte Erkenntnis, aber doch wahrscheinlich, dass die Pandemie zum Wachstum der Szene beigetragen hat, denn das Malhobby wuchs in den letzten drei Jahren merklich, und die Zahl der thematisch relevanten YouTube-Kanäle schoss wie Pilze aus dem Bildschirm. Die große Nachfrage für Brettspiele mit Miniaturen wurde und wird durch Plattformen wie Kickstarter gedeckt, auf der auch große Firmen Spiele anbieten, die zum Teil 200 Miniaturen oder mehr enthalten und schnell die 300-Euro-Grenze überschreiten. Auch der Markt für Malzubehör (Minihalter, Nasspaletten, Farben etc.) ist größer denn je.
Die Faszination des Kleinen
Was aber ist so faszinierend an diesem Hobby, dass es immer mehr Leute in seinen Bann schlägt?
Zum einen werten bemalte Minis jedes Spiel erheblich auf und erhöhen die Immersion deutlich. Zum anderen ist die Tätigkeit des Bemalens quasi therapeutisch. Man verfällt in einen Zustand der Ruhe, in dem die Zeit anders (schneller) vergeht, und in dem man sich stark auf ein Kunsthandwerk fokussiert, bei dem es kleinste Details zu bemalen gilt. Die so verbrachte Zeit gleicht durchaus einer regelmäßigen Meditation, die den Gang zur Therapie ersparen kann. Man verfällt beim Bemalen in einen Zustand tiefer Entspannung, verliert das Zeitgefühl und erholt sich vom Alltag, vergisst kurzzeitig manche Sorge. Das geht nicht nur mir so, sondern das bestätigen viele aus der Szene.
Bei manchen ist die Faszination für Minis groß, aber es fehlt wegen des vollen Terminplans die Zeit, die vielen Figuren selbst zu bemalen. In diesem Fall gibt so mancher seine Spieleminis an einen professionellen oder privaten Bemalservice. Ich hatte beispielsweise schon einmal die Ehre, für Jay Kristoff und Bernhard Hennen bemalen zu dürfen.
Die meisten, die selbst den Pinsel schwingen, malen aus Spaß, aber es gibt auch Leute, die sich mit anderen KünstlerInnen auf international bekannten Wettkämpfen messen. Wer da mitmacht, will zeigen, was er kann, und der Lohn ist die Anerkennung.
Es gibt beim Bemalen große Qualitätsunterschiede, und die Grenzen der Bemalstandards gehen fließend ineinander über. Letztlich zeigt sich die Qualität der Bemalung immer durch die Zeit, die man in eine Figur investiert. Im Wesentlichen kann man drei Standards erkennen:
Tabletop-Standard: Die Figur soll als Spielfigur eingesetzt werden. Ein Modell wird in einem kurzen Zeitraum bemalt, etwa von einer bis sechs Stunden. Hat man eine Armee zu bemalen, muss es eben schnell gehen. Meist geben sich die Maler dann mit Heldenfiguren mehr Mühe als mit der Gegner-Horde.
Display-Standard: Die Figur wird als Ausstellungsstück bemalt, in etwa 30 bis 60 Stunden. Hier geht es um jedes Detail, auch in der Farbtheorie. Eine bereits aufwändige Bemalung. Hier ein Beispiel: