Lena Richter, 21.09.2023
Psychische Erkrankungen sind ein beliebtes Plotmittel in der Phantastik. Warum ihre Darstellung oft problematisch ist und wie es besser geht, zeigt uns Lena Richter.
In meinem letzten Artikel zu Behinderung und Krankheit in der Phantastik hatte ich angemerkt, dass ich psychische Erkrankungen auslassen werde, da diese genug Stoff für einen eigenen Artikel bieten würden. Und netterweise darf ich diesen Artikel jetzt schreiben! Los geht es also mit einem Überblick zu schädlichen Darstellungen, uncoolen Klischees und dann auch vielen Beispielen, die es in letzter Zeit (teilweise) besser gemacht haben.
Ich werde auch hier mit einem Disclaimer anfangen: Ich beschränke mich auf psychische Erkrankungen und greife nicht noch das Thema Neurodiversität/Neurodivergenz auf. Zur Unterscheidung sei gesagt, dass es sich bei dem Begriff Neurodivergenz um ein relativ neues und bisher noch nicht unter allen Fachleuten anerkanntes soziologisches Konzept handelt, das zum Ziel hat, zur Ent-Stigmatisierung und Ent-Pathologisierung von Gehirnfunktionen oder -entwicklungen, die von festgelegten Normen abweichen, beizutragen. Diese Abweichung von einer neurotypischen Norm kann zwar in Leidensdruck und komorbide Erkrankungen münden, aber das muss nicht zwingend passieren. Beispiele sind Autismus oder AD(H)S. Zwar werden beide als psychische Diagnosen nach den international verwendeten Klassifikationssystemen behandelt, aber sie sind unter dem Blickwinkel des Neurodivergenz-Konzepts keine Erkrankungen in dem Sinne, dass Betroffene zwingend darunter leiden oder dass sie durch eine Behandlung verschwinden würden. Oft ist es eher die auf neurotypische Menschen ausgerichtete Umgebung und der Druck, sich an diesen anzupassen, die zu Leidensdruck und ggfs. tatsächlichen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen etc. führen kann. Und ebenso wie Menschen mit psychischen Erkrankungen sind auch neurodiverse Menschen in der Phantastik oft nicht oder nicht gut repräsentiert, aber da ich mich selbst als neurotypisch einordnen würde, überlasse ich nähere Betrachtungen und Einschätzungen zu diesem Thema lieber anderen.
Übrigens sehen auch nicht alle Betroffenen von psychischen Krankheiten, die nach den oben genannten Klassifizierungen diagnostizierbar sind, ihren Zustand zwingend als Erkrankung an. So gibt es gerade im Bereich von Bipolarität oder Borderline ebenfalls Betroffene, die sich eher als neurodivers bezeichnen würden. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach und hängt auch sehr davon ab, ob die betroffene Person darunter leidet und sich selbst eine Veränderung wünscht.
„I’m not a monster“ – Falsche und stigmatisierende Darstellungen
Im zweiten Teil werde ich einige in meinen Augen gut gelungenen Beispiele von Figuren mit psychischen Erkrankungen bzw. dem Umgang damit vorstellen, doch zuvor möchte ich kurz auf die Risiken und Gefahren von falschen und stigmatisierenden Darstellungen eingehen.
Gerade in der Phantastik, und dort vor allem in den düstereren Geschichten wie Horror, manchen Superheld*innengeschichten oder auch Dark Fantasy, finden sich leider oft noch klischeehafte und falsche Darstellungen von psychisch erkrankten Menschen. Beispielsweise gibt es in Horrorgeschichten oft den „verrückten Mörder“, der wahlweise Menschen tötet, weil er sadistische Freude daran hat oder weil Stimmen im Kopf es ihm befehlen. Dabei werden dann oft noch die Begriffe wild durcheinandergeworfen und es wird von Schizophrenie gesprochen, wo eine dissoziative Identitätsstörung gemeint ist, die in der Popkultur aber auch nicht so heißt, sondern „gespaltene Persönlichkeit“ genannt wird; es wird von Psychopathie gesprochen, die es als Diagnose gar nicht mehr gibt, usw. Das führt dann beispielsweise zu einer Stigmatisierung von an Schizophrenie erkrankten Menschen, die als fälschlich als besonders gefährlich für die Menschen in ihrer Umgebung gehalten werden. Diese falsche Einordung führt dann wiederum zu noch mehr Hürden für erkrankte Menschen. Zu diesem Thema kann ich sehr den Blogartikel von Elea Brandt empfehlen, in dem das alles noch einmal genauer beleuchtet wird.
Problematisch ist es auch, wenn eine Figurenzeichnung sich gar nicht erst mit speziellen diagnostizierten Erkrankungen beschäftigt und Charaktere „einfach verrückt“ sein lässt. Völlig unberechenbare, überdrehte und sich an Gewalt erfreuende Figuren wie der Joker aus Batman oder auch teilweise der Master aus Doctor Who mögen eine Geschichte gut voranbringen, weil man sie alles tun lassen kann, was der Plot gerade benötigt, aber auch sie tun echten psychisch kranken Menschen keinen Gefallen.
Ein anderer Aspekt falscher Darstellung betrifft die Romantisierung und Verklärung von psychischen Erkrankungen. So werden beispielsweise Depressionen und Suchterkrankungen oft sowohl innerhalb von Geschichten als auch bezogen auf Künstler*innen selbst als eine Art düstere Quelle von Kreativität und tragischer schöpferischer Wirkmacht angesehen. Erzählungen über gequälte Figuren, die ihren Schmerz in Text, Musik oder Bild umsetzen und damit das Publikum begeistern, sind beliebt. Oft schwingt darin mit, dass ohne die Erkrankung ja vielleicht die Kunst weniger gut und intensiv wäre. Ob die betreffenden Figuren (oder schlimmstenfalls echten Menschen) vielleicht einfach lieber gesünder wären und dafür andere oder gar keine Kunst mehr machen würden, wird selten gefragt. Auf diese Weise wird suggeriert, dass die Erkrankung ja auch ihre „guten Seiten“ hat und dass womöglich eine Gesundung sogar den künstlerischen Ausdruck und damit auch den Ruhm oder gar das Einkommen mindern könnte. Die Vorstellung, dass bei einer Verbesserung des eigenen Gesundheitszustandes womöglich Unterstützung und Einkommen wegfallen könnte, macht es Betroffenen womöglich noch schwerer, sich Hilfe zu suchen.