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Buchtipps aus dem Otherland September 2023

Buchtipps aus dem Otherland September 2023 - Coverausschnitt "Mein Freund Pierrot", Zauberer mit Sternenumhang hat die Hand auf die Wange einer Prinzessin gelegt
© Cross Cult

Otherland, 01.09.2023

Regelmäßig gibt euch das Team der Berliner Fantasy- und Science-Fiction-Buchhandlung Otherland Tipps zu den interessantesten neuen Büchern aller Verlage.

Octavia E. Butler | Die Parabel vom Sämann
Heyne: €15, dt. Übersetzung: Dietlind Falk

Endlich wieder auf Deutsch erhältlich! Die Dystopie wurde 1993 von Octavia Butler veröffentlicht, spielt im Jahre 2025 und erschrickt mit manchen ihrer gruseligen Prophezeiungen über unsere heutige Realität. Mit der Lektüre taucht der Leser in eine düstere Zukunftsversion der Vereinigten Staaten ein.

Das Wasser ist knapp, die Schere zwischen Arm und Reich unaushaltbar groß und der Turbokapitalismus im vollen Gange. Manche Dörfer versuchen, sich noch mittels hoher Mauern vor dem Mord und Totschlag auf den Straßen zu schützen und ein einigermaßen normales Leben zu führen. In genau solch einem Dorf ist Lauren Oya Olamina aufgewachsen, die aufgrund von einem Gendefekt an der Krankheit »Hyper-Empathie« leidet, durch die sie gezwungen ist, den Schmerz ihrer Mitmenschen am eigenen Körper zu spüren. Mit solchen Voraussetzungen ist ein Leben in dieser Welt denkbar schwierig, aber Lauren ist ein unglaublicher Charakter, der sich nicht unterkriegen lässt, vor allem weil sie die wichtigste Sache nie vergisst: Hoffnung, auf eine bessere Welt.

Die Parabel vom Sämann ist ein unglaublich hartes Buch, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt und viele Gänsehautmomente garantiert. Für Fans von harten Dystopien, wie Der Bericht der Magd von Margaret Atwood und Orwells 1984.
[Esther]

Emily St. John Mandel | Das Meer der endlosen Ruhe
Ullstein: €22,99, dt. Übersetzung: Bernhard Robben

Ein unglaublich schöner Titel, der die Stimmung des Buches sehr gut einfängt.

Der Roman Das Meer der endlosen Ruhe (engl. Sea of Tranquility) wird in mehreren Geschichten und auf verschiedenen Zeitebenen erzählt.

Im Jahr 1912 wird ein junger Brite mit einer negativen Haltung gegenüber dem britischen Imperialismus von seiner Familie in eine Kolonie in Kanada verstoßen und muss sich dort zurechtfinden.

2020, kurz vor der Pandemie, versucht Mirelle, dem Bruder einer entfremdeten Freundin ein paar Fragen zu stellen, wobei sie auf eine komische Aufnahme stößt und unerwartet jemandem aus ihrer Vergangenheit begegnet.

In der Zukunft im Jahr 2203 muss die durch einen Pandemie-Roman berühmt gewordene Autorin Olive Llewellyn ihre Lesereihe aufgrund einer drohenden Pandemie abbrechen.

Schließlich treffen wir 2401 auf Gaspery, der durch Kontakte (und langes Drängeln) in eine Organisation aufgenommen wird, die Zeitanomalien untersucht. Er soll ein Ereignis untersuchen, das das gesamtes Verständnis seiner Welt auf den Kopf stellen könnte und wird.

Emily St. John Mandel zeigt uns die Perspektiven verschiedenster Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Sie alle sind durch eins verbunden: eine Zeitanomalie, die in Frage stellt, ob die Welt, in der die Figuren leben, real ist.

Das Meer der endlosen Ruhe ist ein Buch, in dem harte Themen wie Pandemie und Kolonialismus behandelt werden, auf eine Art und Weise, die zum Nachdenken über die Gegenwart und unsere Menschlichkeit anregt. Diese schweren Aspekte werden geschickt mit den interessanten und philosophischen Teilen verwoben, wodurch ein ganz eigenes Gefühl der Ruhe entsteht. Dadurch ist der Roman nicht vollständig bedrückend, sondern strahlt eine teils optimistische Sicht auf das Leben aus und was es bedeutet, am Leben zu sein.

Eine extrem interessante Geschichte über Zeitparadoxa und menschliches Verhalten, die die Frage aufwirft, ob wir in einer Simulation leben könnten. Und wenn ja, würde das etwas ändern?
[Louie]

Richard Swan | Die Chroniken von Sova #2 – Im Netz des Dämons
Piper: €18, dt. Übersetzung Simon Weinert

Der zweite Band von Swans Trilogie führt uns direkt in das Herz des Sovanischen Reichs, in die prächtige Hauptstadt. Richter Konrad muss feststellen, dass dem Reich selbst aus den Reihen seines eigenen Ordens Gefahr droht. Doch anstatt diese innenpolitische Bedrohung zu bekämpfen, muss er die Entführung des Kaiserenkels aufklären. Erst nach der vermeintlichen Aufklärung dieses Falls reist er in die Grenzlande, wo sein Erzfeind Barthomoläus Claver seinen Kreuzzug ausruft. Er und seine Getreuen müssen dabei feststellen, dass Claver mit Zauberkräften im Bunde ist, die weitaus erschreckender sind, als alles, was sie befürchtet hatten.

Swan steigert den Maßstab seiner Erzählung im zweiten Band. Wo man im ersten nur Andeutungen bekommen hat, spürt man das Reich nun gehörig wackeln und am Abgrund schwanken. Nach wie vor verdankt die Geschichte ihren Reiz vor allem der Erzählperspektive, denn wir erfahren von den Ereignissen durch Konrads Schreiberin Helena, die hier im zweiten Band zwar die eine oder andere Mission alleine bewältigen muss, aber eben (noch?) nicht die Hauptheldin der Geschichte ist. Dank dieser Erzählstimme kann Swan die Konflikte zwischen innerer Überzeugung und Staatsräson, die in vielen Figuren, vor allem in Konrad, toben, eindringlich darstellen. Und ja, auch das ist eine Stärke der Trilogie, dass mit dem Verfall des Reiches auch der charakterliche und innerliche Verfall der Protagonist*innen dargestellt wird, die um das, woran sie glauben, zu retten, Dinge tun (müssen?), die gegen das gehen, an was sie glauben. Das ist schon in vieler Hinsicht kluge und mitreißende und wuchtige Fantasy, der es manchmal vielleicht gut täte, wenn der Leserschaft etwas weniger erklärt würde. Zweiten Teilen wird ja oft nachgesagt, dass sie die schwächsten seien. Von Schwäche kann hier meines Erachtens nicht die Rede sein. Und man darf sehr auf den Abschluss gespannt sein.
[Simon]

Jim Bishop | Mein Freund Pierrot
Cross Cult: €35

Ich dachte zuerst, dass es sich hier um ein niedlichen Comic über Liebe und Zauberer und Hexen und Befreiung und so handelt. Quasi etwas, das ich allen Studio Ghibli Fans ohne schlechtes Gewissen in die Hand geben kann. Uff, bin ich froh, dass ich das noch nicht gemacht habe.

!!! ACHTUNG SPOILER !!!

Mein Freund Pierrot zeigt nämlich in bunten und hübschen Bildern, wie eine toxische Beziehung aussieht, in welcher eine Partei versucht, die andere Person psychisch zu manipulieren. Gaslighting, Lovebombing, Lügen und Manipulation stehen hier im Vordergrund, aber Clea ist nicht das Opfer, für das sie zunächst gehalten wird.

Ich persönlich fand die Story an einigen Stellen etwas schwach, über den Sinn bzw. die Charakterentwicklung einiger Nebencharaktere lässt sich streiten und das Ende fand ich ein bisschen meh. Aber hey, darum geht es, glaube ich in diesem Fall gar nicht. Stark fand ich nämlich, dass mich das Buch am Anfang absolut in die falsche Richtung geführt hat und mir der tiefere Sinn erst später aufgefallen ist. Dann habe ich nochmal zurückgeblättert und die düsteren Hinweise zwischen den schillernden Farben entdeckt. Uaahhh lief es mir da kalt den Rücken hinunter.

Ich bin mir sicher, dass es da draußen einige Menschen gibt, die dieses Buch absolut verschlingen werden und vielleicht auch die/den ein*en oder ander*en, die/der es im Regal braucht.
[Esther]